Seine Familie, die Frau und die fünf Kinder, sieht Ali Jafar nur noch selten. Zwei Stunden fährt der 43-Jährige jeden Morgen aus seinem palästinensischen Dorf zur Arbeit nach Rahat - und zwei Stunden jeden Abend wieder zurück.
Als das Unternehmen sein Werk vor vier Jahren aus einer jüdischen Siedlung am Rand von Jerusalem in die Wüste Negev verlegte, musste Jafar nicht lange überlegen. Einen Job wie bei Sodastream, einem weltweit bekannten Hersteller von Maschinen, die Wasser mithilfe von Kohlensäure in Sprudel verwandeln, würde er so schnell nicht mehr bekommen – und schon gar nicht zu Hause im Westjordanland, wo die Arbeitslosenzahlen hoch sind und die Gehälter niedrig. Heute leitet Jafar in Rahat eine Produktionsstraße, ein Palästinenser in einer jüdischen Firma, der von sich sagt, seine Herkunft sei hier noch nie ein Thema gewesen und die Warteliste für eine Stelle bei Sodastream lang. Im Moment stehen auf ihr die Namen von 500 Palästinensern.
Für die BDS-Aktivisten ist Sodastream der Inbegriff des Bösen
Für die Aktivisten der Boykottbewegung BDS dagegen ist Sodastream der Inbegriff des Bösen. Der Konzern habe vom Landraub profitiert und sich zum Komplizen der israelischen Politik der Kolonialisierung, Enteignung und Vertreibung gemacht, behaupten sie. BDS steht für Boykott, Desinvestitionen (also Kapitalabzug) und Sanktionen. Die ständigen Boykottaufrufe sind auch ein Grund dafür, dass Sodastream nicht mehr an seinem alten Standort unweit der jüdischen Siedlung Maale Adumim produziert, sondern im israelischen Kernland. Nachdem in Großbritannien die ersten Händler auf Druck von BDS die Wassersprudler aus dem Sortiment genommen hatten, zog Sodastream-Chef Daniel Birnbaum die berühmte Reißleine, blies die geplante Erweiterung des alten Werkes ab und verlegte den Firmensitz in den Negev.
500 Palästinenser verloren damals ihren Arbeitsplatz - BDS-Gründer Omar Barghouti, der selbst ernannte Anwalt der palästinensischen Sache, feierte den Rückzug von Sodastream trotzdem als "klaren Sieg gegen eine abscheulich mitschuldige israelische Firma." Dabei gibt es in Israel kaum ein Unternehmen, in dem so viele Menschen so unterschiedlicher Herkunft so friedlich zusammenarbeiten. In Rahat stehen Juden, Christen, Araber und Drusen nebeneinander an den Fließbändern, Einwanderer aus Indien, Argentinien und Russland, junge beduinische Frauen und erfahrene Arbeiter wie Ali Jafar, der Mann mit dem langen Arbeitsweg. Es gibt Gebetsräume für Muslime und eine Synagoge im Werk, Hebräisch-Kurse für die arabisch sprechenden Beduinen, Arabisch-Kurse für die Israelis, Shuttle-Busse und kürzere Arbeitszeiten für die Beduininnen mit ihren vielen Kindern zu Hause – und wenn die Muslime am Ende des Ramadan das Fastenbrechen feiern, feiert der Rest der Belegschaft mit.
Die Firma ist der größte private Anbieter in der Wüstenstadt
Die BDS-Bewegung allerdings beeindruckt das bunte, multikulturelle Leben bei Sodastream nicht. So wie sie dem Unternehmen am alten Standort vorwarf, es verdiene sein Geld an einem Ort, an dem es nichts verloren habe, so agitierte sie auch nach dem Umzug weiter. Die Sprudlerfirma habe ihr Werk in eine Stadt verlegt, heißt es nun, die von den Israelis zur Zwangsumsiedlung von Beduinen auf dem Reißbrett entworfen worden sei. Dass Sodastream der größte private Arbeitgeber in Rahat ist, selbst etwa 900 Beduinen beschäftigt und die Arbeitslosenquote im Ort seit der Ansiedlung des neuen Werkes von satten 30 Prozent auf elf Prozent zurückgegangen ist: Geschenkt! Was nicht sein kann, darf auch nicht sein.
Erst im Mai hat der Bundestag die BDS-Bewegung als antisemitisch verurteilt: "Die Aufrufe zum Boykott israelischer Künstlerinnen und Künstler sowie Aufkleber auf israelischen Handelsgütern, die vom Kauf abhalten sollen, erinnern an die schrecklichste Phase der deutschen Geschichte." Sie erweckten unweigerlich Assoziationen zur NS-Parole "Kauft nicht bei Juden!" Eine Unternehmenssprecherin sagt dazu nur: "Wir sind eine Insel des Friedens." Den Kampf gegen Sodastream könne BDS nicht gewinnen.
Sodastream bezahlt Palästinenser weit besser als andere Unternehmen
Wie zum Trotz pflegt der Sprudelkonzern, der seit einigen Jahren zum Pepsi-Konzern gehört, deshalb sein Image als besonders vorbildliches, smartes und grünes Unternehmen. Sodastream zahlt bei Gehältern von umgerechnet 1800 bis 2600 Euro im Monat viermal so viel wie der palästinensische Durchschnittslohn. Dank der Sprudler spare die Welt jeden Tag zehn Millionen Plastikflaschen, rechnet eine Mitarbeiterin stolz vor, und schon eine einzige Sodastream-Flasche könne heute 3000 Plastikflaschen ersetzen. Auf allen Produkten klebt neuerdings auch ein Aufkleber mit dem Herkunftshinweis "Made in Israel". Untertitel: "Hergestellt von Juden und Arabern. Sie arbeiten Seite an Seite in Frieden und Harmonie."
Ali Jafar bezieht demnächst eine Werkswohnung in Beer Sheva. Von dort aus fährt er nur noch eine knappe halbe Stunde nach Rahat.
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