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Interview: Svenja Schulze: Söder ist ein Leichtmatrose bei der Energiewende

Interview

Svenja Schulze: Söder ist ein Leichtmatrose bei der Energiewende

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    Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD) fordert mehr Windkraft für den Klimaschutz
    Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD) fordert mehr Windkraft für den Klimaschutz Foto: Kay Nietfeld, dpa

    Frau Ministerin, bis 2045 will Deutschland klimaneutral sein. Nach der Rüge des Bundesverfassungsgerichts hat sich die Bundesregierung ganz schnell auf dieses neue, ambitioniertere Ziel geeinigt. Aber wie ist das denn überhaupt zu schaffen?

    Svenja Schulze: Das ist keine kleine Aufgabe, denn es geht um die Art, wie wir leben, produzieren, heizen und uns fortbewegen. Aber ich bin optimistisch, dass Deutschlands Weg in die Klimaneutralität gelingen wird. Mein Klimaschutzgesetz setzt dafür den Rahmen. Das Bundesverfassungsgericht hat den Mechanismus darin gerade ausdrücklich bestätigt, also die Festlegung jährlich abnehmender CO2-Emissionen für jeden Bereich, für Industrie, Gebäude, Landwirtschaft und Verkehr. Und die Verpflichtung für die zuständigen Ministerien, bei Zielverfehlung ein Sofortprogramm nachzulegen. Mir wurde ja noch vor einem Jahr vorgeworfen, dass das alles Planwirtschaft sei. Nun hat das Gericht der Bundesregierung quasi aufgetragen, das Gesetz zu erweitern, also auch für die Zeit nach 2030 genaue Ziele festzulegen.

    Wie kam es jetzt zur schnellen Einigung mit der Union? 

    Schulze: Es gibt in der Politik Konstellationen und Zeitfenster, die man nutzen muss. Und das habe ich getan. Geholfen hat, dass wir letztes Jahr auf europäischer Ebene erfolgreich waren und die EU-Klimaziele deutlich ehrgeiziger gemacht haben. Diese spiegeln sich nun auch in der Novelle des deutschen Klimaschutzgesetzes wider.

    Aber wie sieht es denn nun mit den konkreten Maßnahmen aus?

    Schulze: Das Kabinett hat zusammen mit dem neuen Klimaschutzgesetz auch eine Art To-do-Liste für die Bundesregierung und zusätzliche Mittel dafür beschlossen. Wir haben bereits 50 Milliarden Euro im Klimaschutzprogramm, im Konjunkturpaket sind es noch einmal 40 Milliarden Euro, und jetzt sollen weitere acht Milliarden dazukommen, damit es mit der Dekarbonisierung der Industrie, mit klimafreundlicher Mobilität oder mit der Gebäudesanierung vorangeht. Aber auch bei Wäldern und Mooren, die eine ganz wichtige Rolle bei der Bindung von Kohlenstoff spielen. Und wir werden auch im Ordnungsrecht mehr tun – zum Beispiel müssen neue Gebäude noch energieeffizienter gebaut werden.

    Svenja Schulze weist Kritik der Autoindustrie an Klimagesetz zurück

    Die deutsche Auto- und Maschinenbauindustrie kritisiert die neuen Klimaziele nun scharf. Sie fürchtet, die Produktion könnte sich durch zu scharfe Klimaziele aus Deutschland verabschieden und in Regionen abwandern, in denen mehr Kohlendioxid ausgestoßen wird. Riskiert Deutschland seinen Wohlstand?

    Schulze: Im Gegenteil. Im internationalen Wettbewerb riskiert der seinen Wohlstand, der träge wird und sich nicht auf neue Herausforderungen einlässt. Was wir in Deutschland tun, tun wir ja nicht allein. Das Pariser Klimaschutzabkommen gilt auf der ganzen Welt und wir leisten einen Beitrag dazu. Auch andere Länder haben bereits erklärt, dass sie klimaneutral werden wollen. Die USA sind zurück auf der internationalen Bühne, China hat angekündigt, kohlenstoffneutral zu werden, Kanada, Korea, Japan, sie alle haben angekündigt, etwas zu tun. Das ist gut, denn diejenigen, die das meiste CO2 ausstoßen, sagen nun, dass sie handeln. Wir in Deutschland wollen die Industrie fit machen dafür, dass sie CO2-frei produzieren kann. So fördern wir auch die energieintensiven Zweige wie Stahl, Zement oder Chemie auf dem Weg in die CO2-freie Zukunft. Das ist ein Umbau, bei dem die Industrie jetzt Planungssicherheit und Verlässlichkeit hat, was sie so dringend braucht.

    Die Auto- und Maschinenbauer sehen das offenbar eher als Gefahr … 

    Schulze: Gerade die Autoindustrie stellt sich ja gerade massiv um, Elektroautos erleben einen Boom, es gibt inzwischen lange Wartezeiten. Da sieht man doch, dass die Förderprogramme, die wir auf den Weg gebracht haben, wirklich wirken. Und wenn man sich ansieht, wie schnell sich andere wichtige Absatzmärkte vom Verbrennungsmotor verabschieden, ist die exportorientierte deutsche Autoindustrie mit der Umstellung auf Elektroautos auch wirklich gut beraten.

    Es klingt alarmierend, wenn die Industrie davon spricht, dass sie den Glauben an den Standort Deutschland verlieren könnte. Welche Perspektiven können Sie der Wirtschaft anbieten?

    Schulze: Natürlich ist das ehrgeizig, aber absolut notwendig, um die Erderhitzung zu stoppen. Das sind wir den nachfolgenden Generationen auch schuldig, wie das Verfassungsgericht ja festgehalten hat. Stellen wir uns doch nur einmal vor, wir würden diesen Weg jetzt nicht gehen. Die Kosten etwa für die Anpassung ansteigender Meeresspiegel wären gigantisch. Aber ich will lieber ermutigen. Für eine innovative Volkswirtschaft wie unsere, die heute schon führend ist im GreenTech-Bereich, ist diese Transformation eine riesige Chance. Ich verstehe gut, dass die Industrie dafür Planungssicherheit und Unterstützung der Politik braucht. Dazu bin ich gern bereit.

    Umweltministerin kritisiert CSU-Chef als unsolidarischen Leichtmatrosen

    Trotzdem geht der Ausbau der erneuerbaren Energien nur schleppend voran. Warum klappt das nicht?

    Schulze: Es ist wirklich mehr als ärgerlich, dass ausgerechnet das Wirtschaftsministerium immer noch so tut, als bräuchten wir in den nächsten Jahren keine zusätzliche Energie für die Umstellung des Verkehrs und der Industrie. Das müssen wir in der Bundesregierung einplanen und dafür benötigen wir einen schnellen weiteren Ausbau der erneuerbaren Energien. Das ist die Grundlage für alle anderen Klimaschutzmaßnahmen und müsste eigentlich die zentrale Aufgabe der Regierung sein.

    Doch leider stehen die Union und der CDU-Wirtschaftsminister auf der Bremse, das ist sehr schade. Was konkret muss passieren?

    Schulze: Wir müssen etwa im Bereich der Windkraft weg von der Diskussion darüber, wie man Windräder verhindern kann. Leider geschieht das ja in einigen Bundesländern, etwa mit Abstandsregeln. Es muss aber auf allen Ebenen darum gehen, Windräder zu ermöglichen. Und es geht natürlich auch nicht, dass Bayern ein zukünftiges Energiesystem im eigenen Land ausschließlich auf Sonnenenergie aufbauen will. Da ist der bayerische Ministerpräsident ein Leichtmatrose, der unsolidarisch auf den Windausbau in anderen Ländern setzt. Die SPD hat ein Koordinierungsgremium von Bund und Ländern vorgeschlagen, um die Genehmigungsverfahren zu beschleunigen und Flächen auszuweisen.

    SPD will Strom trotz Energiewende billiger machen

    Urlaub, Heizen, Tanken, wenn das für den Klimaschutz immer teurer wird, werden gerade ärmere Bürger hart getroffen. Wie werden sie entlastet?

    Schulze: Dass alles immer teurer wird, ist ja kein Naturgesetz. Es kommt darauf an, wie man es gestaltet. Die SPD hat sich aus guten Gründen für einen moderaten Einstieg beim CO2-Preis eingesetzt, kombiniert mit einem sozialen Ausgleich. Wir haben das Wohngeld erhöht, Bahnfahren günstiger gemacht, bauen die Ladesäuleninfrastruktur auf, unterstützen den Kauf von Elektroautos. Bei der EEG-Umlage für Erneuerbare Energien auf den Strompreis haben wir bereits einen Deckel eingezogen. Die SPD möchte die EEG-Umlage ganz abschaffen, sodass Strom auf jeden Fall billiger wird.

    Mieter sollen ja von der Hälfte des CO2-Preises entlastet werden, die andere Hälfte sollen die Vermieter tragen. Doch die klagen, dass sie ja nicht beeinflussen können, wie Mieter heizen und lüften, sie drohen mit Mieter-höhungen ...

    Schulze: Die neue Aufteilung ist fair, auch für die Vermieter. Denn nur sie können doch entscheiden, welche Heizung es in einem Haus gibt. Wir legen Förderprogramme auf, mit denen es sich lohnt, klimafreundliche Heizungsanlagen einzubauen. Die Vermieter können das sogar noch steuerlich geltend machen. Mir geht es darum, dass der CO2-Preis eine Lenkungswirkung entfaltet hin zu klimafreundlicheren Technologien. Die wird verfehlt, wenn allein die Mieter bezahlen, so wie das derzeit noch läuft. Ich bin froh, dass Bundesinnenminister Horst Seehofer geholfen hat, den Widerstand von Peter Altmaier gegen diese faire Aufteilung zu brechen.

    Kam das neue Klimaschutzgesetz jetzt eigentlich nur so schnell, um den Grünen im Wahlkampf das Lieblingsthema zu nehmen?

    Schulze: Nein, wir haben auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts reagiert.

    Aber das hätte der Bundesregierung ja durchaus länger Zeit gegeben ...

    Schulze: Wir haben uns in dieser Bundesregierung in der Verantwortung gesehen. Der Klimaschutz ist so dringend, da wäre es falsch gewesen, noch zu warten. Ich bin froh, dass die Union bei diesem Vorstoß der SPD nun mitgemacht hat, das war vor zwei Jahren ja noch ganz anders. Jetzt ist es endlich nicht mehr die Frage, ob und wie viel Klimaschutz wir machen, sondern wie wir konkret unsere Ziele erreichen.

    Steht da im Wahlkampf ein Überbietungswettbewerb bevor, alle gegen die Grünen?

    Schulze: Inwiefern das den Wahlkampf dominieren wird, ist jetzt nicht absehbar. Aber unabhängig davon ist Klimaschutz eines der zentralen Themen für die kommenden zehn Jahre. Und die SPD meint es ernst damit, schon in der Vergangenheit: Wir haben den erneuerbaren Energien zum Durchbruch verholfen, haben das Pariser Klimaabkommen mitverhandelt, das Klimaschutzgesetz forciert und den Kohleausstieg so organisiert, dass die Gesellschaft dabei nicht auseinanderfällt.

    Zur Person: Die 52-jährige SPD-Politikerin Svenja Schulze aus Düsseldorf ist seit März 2018 Bundesumweltministerin. Von 2010 bis 2017 war sie Wissenschaftsministerin des Landes Nordrhein-Westfalen.

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