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Interview: Sigmar Gabriel noch mal als SPD-Vorsitzender? "Im Leben nicht"

Interview

Sigmar Gabriel noch mal als SPD-Vorsitzender? "Im Leben nicht"

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    Sigmar Gabriel in unserem Live-Interview mit Politikredakteurin Margit Hufnagel und Chefredakteur Gregor Peter Schmitz.
    Sigmar Gabriel in unserem Live-Interview mit Politikredakteurin Margit Hufnagel und Chefredakteur Gregor Peter Schmitz. Foto: Ulrich Wagner

    Herr Gabriel, die SPD steckt im Tief, Sie selbst dagegen sind populär wie nie. Wie erklären Sie sich das?

    Gabriel: Ich glaube, das hat nichts miteinander zu tun. Wenn ich auf Veranstaltungen rede, dann geht es ja nicht um Parteipolitik, sondern um die Frage: Was passiert da in der Welt, was heißt das für uns Deutsche? Es scheint so zu sein, dass viele Menschen das Bedürfnis nach Gespräch und Erklärung haben.

    Was wollen die Leute denn wissen?

    Gabriel: Sie stellen jedenfalls ganz andere Fragen als wir manchmal glauben. Auf die Idee, eine Debatte mit mir zu beginnen, ob ein Karnevalswitz jetzt politisch korrekt war oder nicht, ist noch keiner gekommen.

    Dienen Ihre Auftritte auch der Vorbereitung eines Comebacks?

    Gabriel: Ach Gott. Kriegt Ihr sonst keine Schlagzeilen hin? Im Ernst: Es ist ausgesprochen angenehm, nicht mehr in der Rolle zu sein, alles gutreden zu müssen, was der eigene Verein macht und alles ganz schrecklich zu finden, was die anderen machen. Als ich in die SPD eingetreten bin, hab ich auch gedacht, die Schlauen sind nur bei uns und die anderen sind lauter Sumpfblüten. Und mit der Zeit stellt man dann doch fest, es ist wohl eher Gaußsche Normalverteilung.

    Viele wünschen sich Ihre Rückkehr in die Politik, hat sich die SPD schon gemeldet?

    Gabriel: Nee. Nur meine Frau hat gesagt: Du kommst doch wohl nicht auf dumme Gedanken?

    Und? Kommen Sie auf dumme Gedanken?

    Gabriel: Ich war fast acht Jahre Vorsitzender der SPD und das reicht auch – für alle Beteiligten. Ich gebe zu, dass mir damals der Rücktritt nicht leicht gefallen ist. Aber ich würde im Leben nicht auf die Idee kommen, das noch mal zu machen.

    Ist es für Sie nicht schwierig, das Geschehen nur noch von der Seitenlinie aus zu kommentieren?

    Gabriel: Ja, na klar. Ich bin ja auch nicht freiwillig gegangen. Aber es nützt auch nichts, wenn Sie da immer drüber nachdenken. Ich blicke jedenfalls nicht im Zorn zurück.

    Was würden Sie denn momentan in der Politik gerne ändern?

    Gabriel: Wir kümmern uns in Deutschland sehr um die Gegenwart. Und ein bisschen auch um die Vergangenheit. Meine Sorge ist, dass wir unterschätzen, was da morgen auf uns zukommt. Weil es bei uns momentan gut läuft, haben viele den Eindruck, es sei windstill. Meine Vermutung ist, dass das die Stille im Auge des Orkans ist. Da ist es immer windstill. Aber außerhalb von uns geht es ganz schön zur Sache.

    Sucht sich die SPD die richtigen Themen? Sie haben gesagt, Ihre Partei dürfe nicht nur der Betriebsrat der Nation sein.

    Gabriel: Betriebsräte sind etwas Wichtiges, aber keiner würde auf die Idee kommen, ihnen das ganze Unternehmen anzuvertrauen. Wir dürfen uns nicht damit zufriedengeben, uns um die Sozialpolitik zu kümmern. Wir müssen uns auch fragen, wie wir weiterhin den wirtschaftlichen Erfolg in Deutschland sichern. Ist es zum Beispiel klug, dass man für einen vorgezogenen Ausstieg aus der Braunkohle 80 Milliarden Euro ausgeben will und für künstliche Intelligenz nur drei Milliarden? Ich bin nicht so sicher.

    Sie sagen, wir verschlafen gerade die Zukunft: Ist es dann nicht unverantwortlich von der Kanzlerin, ihre Nachfolge zu verschleppen?

    Gabriel: Also, erst mal muss man zur Kenntnis nehmen, dass die Art und Weise, wie sie Politik macht, scheinbar relativ erfolgreich ist. Angela Merkel hat ein paar große Vorzüge. Sie hat viel Humor, sie trägt ihr Amt nicht wie eine Monstranz vor sich her, das hat der Politik gutgetan. Aber jetzt leben wir in einer Phase, in der sich die Menschen wieder mehr Führung wünschen. Sie empfinden es als nicht ausreichend, wenn die ganze Welt kopfsteht und keiner in der Politik mal sagt: Übrigens, wir wollen da lang, um da durchzukommen.

    Also müsste Merkel auch als Kanzlerin vorzeitig Schluss machen?

    Gabriel: Wie die Union den Übergang gestaltet, ist ihre Sache. Aber ich persönlich glaube nicht, dass Angela Merkel so dumm ist, Annegret Kramp-Karrenbauer zweieinhalb Jahre wie so einen Pudel neben sich herlaufen zu lassen.

    Annegret Kramp-Karrenbauer hat ja gerade Ärger wegen eines Witzes über das dritte Geschlecht. Sie selbst hat dafür wenig Verständnis. Und Sie?

    Gabriel: Ich kann das nur wiederholen: Wir müssen ein superglückliches Land sein, dass wir uns über so etwas aufregen. Ich rege mich eher darüber auf, dass wir 40.000 Lehrer zu wenig haben in Deutschland. Das ist doch eine Debatte in den Medien und vielleicht einer, ich weiß nicht, Humorpolizei. Haben wir vergessen, was der Begriff Narrenfreiheit heißt? Der Strauß hat mal zum Wehner gesagt: „In dem neuen Mantel sehen Sie aus wie ein Kameltreiber.“ Das wäre ja schon eine Diskriminierung arabischer Minderheiten gewesen. Der Wehner hat übrigens geantwortet: „Das kann schon sein, aber richtig echt wirkt es erst, wenn Sie vor mir hergehen.“

    Und heute wird darüber gestritten, ob Kinder im Fasching als Indianer gehen dürfen ...

    Gabriel: Wir haben sie doch nicht mehr alle! Wir sind ein Land, das die Moral unheimlich hochhält. Dagegen habe ich ja nichts. Aber ein Beispiel: Wenn der türkische Präsident kommt, dann diskutieren wir drei Monate über die Frage, ob wir den eigentlich mit militärischen Ehren empfangen dürfen. Also wenn Sie den einladen, ist es doch eine komische Vorstellung, zu sagen: Das erste, was ich mache, ist, dass ich den am Flughafen erst einmal schlecht behandle. Wenn Politik anfängt, sich völlig anders zu benehmen als der Rest der Leute, dann muss sie sich nicht wundern.

    Machen wir Deutschen zu sehr Politik nach moralischen Maßstäben?

    Gabriel: Es ist ja nichts Schlechtes, wenn man moralische Ansprüche hat. Aber das reicht nicht. Wir ärgern uns über Donald Trump deshalb so sehr, weil er uns jeden Tag den Unterschied zwischen unseren Ansprüchen und unseren Möglichkeiten zeigt. Es darf nicht immer nur um Werte gehen, sondern es muss auch um Interessen gehen. Es ist zum Beispiel ein deutsches Interesse, Europa zusammenzuhalten, weil wir alleine in der Welt von morgen zu klein und zu schwach sind.

    Von einem starken Deutschland sind aber auch nicht alle begeistert.

    Gabriel: Bevor wir in Deutschland etwas entscheiden, müssen wir mit den anderen, gerade mit den Kleinen in Europa, reden und verstehen, wie die eigentlich denken. Die alte Bonner Republik konnte das ganz gut. Der Kohl, der Schmidt, der Genscher – die gingen erst einmal alle zu den Kleinen, bevor sie erklärt haben, was Deutschland macht. Die Berliner Republik ist dagegen ein bisschen großspurig. Vieles in Europa hängt von uns ab. Und andere haben dann die Sorge, dass wir sie missachten.

    Wäre es nicht gerade deshalb wichtig, dass Deutschland auf die neuen Ideen von Frankreichs Präsident für Europa eingeht?

    Gabriel: Was immer Emmanuel Macron vorschlägt, Deutschland lässt ihn am ausgestreckten Arm verhungern. Ich habe keine Erklärung dafür. Wir verpassen eine Riesenchance, vielleicht die letzte, die wir haben. Unsere Kinder und Enkel werden uns verfluchen, wenn wir dieses Europa nicht zusammenhalten.

    Wie müsste sich Deutschland zu Donald Trump positionieren?

    Gabriel: Die Wahrheit ist: Wir können nicht mit Donald Trump, wir können aber auch nicht ohne die USA. Europa und die Amerikaner müssen daran arbeiten, dass sie nicht völlig auseinandergetrieben werden. Wir dürfen auch nicht glauben, es gäbe nur Donald Trump. Laut einer aktuellen Umfrage ist das Ansehen der

    Muss Deutschland eine stärkere Rolle in der Welt spielen?

    Gabriel: Europa und auch Deutschland sind in den letzten 70 Jahren gar nicht darauf trainiert gewesen, eine stärkere Verantwortung in der Welt zu übernehmen. Das war superbequem für uns. Aber die Zeit, in der wir die unangenehmen Dinge der Welt den Amerikanern überlassen haben, ist vorbei.

    Also hat Trump Recht, wenn er mehr Engagement von Europa fordert?

    Gabriel: Trump hat in vielen Punkten Recht. Unser Problem mit ihm ist, dass er gelegentlich die richtigen Fragen stellt, das allerdings in einer Weise macht, bei der er keine Partner mehr kennt. Nicht die Analyse ist immer falsch, aber was er hinterher macht, ist einfach lebensgefährlich. Aus seiner Sicht gibt es ja keine internationale Staatengemeinschaft. Er glaubt, die Welt ist eine Arena und nur der Stärkere setzt sich durch.

    Auf der anderen Seite sind da die Chinesen, die versuchen, sich mit viel Geld Macht kaufen. Zum Beispiel Macht über deutsche Firmen wie Kuka.

    Gabriel: Erst mal muss man fairerweise zugeben, dass wir noch immer weit mehr in China investieren als die bei uns. Zweitens: Kuka ist der Grund gewesen, warum wir Deutschen damals unsere außenwirtschaftlichen Instrumente deutlich geschärft haben. Europa muss die Möglichkeit haben, seine kritische Infrastruktur besser zu schützen. Alles, was die Chinesen bei uns erwarten, müssen wir auch bei ihnen vorfinden. Unser Irrtum war, dass wir gedacht haben,

    Sie waren Ministerpräsident, haben Ministerien und eine Partei geführt. Kann ein Politiker wirklich in allen Themen Experte sein? Was sind Ihre persönlichen Lehren?

    Gabriel: Wir sind als Politiker eigentlich Universaldilettanten. Wir verstehen von allem ein bisschen was und von nichts richtig. Aber das ist unser Job, wir müssen einem Ministerium oder einer Regierung die Marschrichtung vorgeben – und dabei unseren Mitarbeitern vertrauen.

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