Herr Lauterbach, man hat den Eindruck, dass Ihre Zusammenarbeit mit CDU-Gesundheitsminister Jens Spahn sehr eng ist.
Karl Lauterbach: Wir kennen uns seit 15 Jahren und sind ein eingespieltes Team, trotz aller ideologischen Unterschiede. Im Bereich Gesundheit haben wir 90 Prozent des Koalitionsvertrages umgesetzt oder zumindest die Umsetzung begonnen. Ich habe ein Interesse daran, so schnell wie möglich zu arbeiten. Denn 70 Prozent der Inhalte sind SPD-Positionen. Das war in den Verhandlungen ein Schwerpunkt von uns. Was man hat, das hat man.
Wo sind Sie denn zum Beispiel schon vorangekommen?
Lauterbach: Bei der Vergabe von Facharztterminen. Ärzte bekommen für gesetzlich Versicherte deutlich mehr Honorar, insbesondere wenn sie schnell Termine vergeben. Hier hatten Spahn und ich gemeinsame Interessen aus unterschiedlichen Hintergründen. Ähnlich ist es bei der Masernimpfpflicht, bei der Widerspruchslösung für Organspenden oder der besseren Zusammenarbeit niedergelassener Ärzte mit den Krankenhäusern. Spahn hat ein großes Interesse sich zu profilieren, ich ein inhaltliches.
Sie behaupten, dass es in Deutschland zu viele Krankenhäuser gibt. Warum?
Lauterbach: Wir haben zu viele kleine. Ich bin gegen ein flächendeckendes Krankenhaussterben. Es macht uns keine ökonomischen Probleme, so viele Krankenhäuser zu haben. Aber ich glaube, dass die Patienten bisher unterschätzen, wie groß die Qualitätsunterschiede zwischen den Krankenhäusern sind. Wir wissen, bei bestimmten Eingriffen gibt es einen Zusammenhang mit der Größe des Krankenhauses. Das wird demnächst bekannter werden durch regelmäßige Veröffentlichung der Weißen Liste, die die Komplikationsraten und die Qualitätsdefizite der einzelnen Häuser aufzeigt. Auf einer Karte kann man dann sehen, wo die Probleme liegen. Das sind Studien, die bisher nur wir Wissenschaftler und Institutsdirektoren gehabt haben. Wir machen die jetzt für die Öffentlichkeit verfügbar. Dann wird sich der eine oder andere genau überlegen, wohin er geht.
Machen Patienten bei der Krankenhauswahl etwas falsch?
Lauterbach: Oftmals bereiten sich die Menschen jahrelang darauf vor, wo sie eine Wohnung kaufen, aber sie recherchieren nicht, wo der lebenswichtige medizinische Eingriff für sie selbst oder den Ehepartner gemacht werden soll. Das wird sich ändern. Dann werden es die kleinen Krankenhäuser schwerer haben. Es ist doch klar, dass es aufgrund der Größe des Teams und dessen, was das Krankenhaus vorhält, Unterschiede gibt, falls es zu einer Komplikation kommt. Die sind dann sofort im Netz klickbar.
Was ist mit den Bürgern auf dem Land, wenn die Klinik weiter weg ist?
Lauterbach: Die Menschen sind häufiger bereit, 20 Minuten länger zu einem Klinikum zu fahren, wenn sie wissen, dass sie dort mit größerer Wahrscheinlichkeit eher überleben oder weniger Komplikationen haben. Ich kenne Leute, die fahren heute sehr weit, um ihr Auto in einer Werkstatt abzuholen. Die Bereitschaft, sich in Kliniken mit guten Ergebnissen versorgen zu lassen, wird sich ihren Weg suchen.
Ist Spezialisierung für von der Schließung bedrohte Kliniken ein Ausweg?
Lauterbach: Es ändert nichts an der Tatsache, dass wir im Vergleich zu anderen europäischen Ländern schlicht zu viele Krankenhäuser haben. Von einem Krankenhaus in Ihrer Nähe für nur ein paar Eingriffe haben Sie auch nichts. Die Medizin wird immer komplexer. Wir haben derzeit etwa 2000 Krankenhäuser. Wir haben aber nicht die Spezialisten, damit auch nur in der Hälfte dieser Häuser eine spezialisierte Krebsbehandlung stattfinden kann. Die Zahl der Spezialisten ist kleiner als die Zahl der Krankenhäuser, die wir haben. Die Flucht in das Spezialistentum hilft nichts. Dann habe ich am Ende keine Generalisten. Und die Qualität wird noch schlechter. Spezialisierung löst das Problem nicht. Wenn sich ein Krankenhaus jetzt beispielsweise auf Orthopädie spezialisiert, wird es sich davon nicht ernähren können. Es sei denn, es ist eine Privatklinik, die sich auf Privatpatienten konzentrieren kann.
Die Digitalisierung erobert das Gesundheitswesen. Was kommt da auf die Patienten zu?
Lauterbach: Die elektronische Patientenakte ist dringend notwendig und duldet keinen Aufschub mehr. Wir müssen unser Gesundheitssystem mithilfe einer Kombination aus Patienten- und Gesundheitsakte in puncto Qualität und Versorgung verbessern sowie entbürokratisieren. Die Patientenakte ist das, was die Ärzte und Krankenhäuser haben, und die elektronische Gesundheitsakte ist das, was der Einzelne nachher auf seiner App hat.
Wie soll der Patient dabei an seine Daten kommen und welche Vorteile bringt ihm das?
Lauterbach: Wir werden ein Recht etablieren, dass der Arzt die Daten seiner Patientenakte auf das Smartphone des Patienten mit der Gesundheitsakten-App laden muss und er auch ein Honorar dafür bekommt. Der Patient kann so die Behandlung seiner Krankheit optimieren und jederzeit weitere Meinungen einholen sowie über seine Gesundheitsdaten verfügen. Aber natürlich nur über alles, was er will. Aber es ist nicht so, dass die Ärzte die Daten nicht auch für andere Zwecke nutzen dürfen, die vom Patienten ausdrücklich autorisiert worden sind. Zuerst kommen der Patient und die Sicherheit. Der Datenschutz ist hier von allergrößter Bedeutung.
Ein politisches Reizthema zwischen Bund und Ländern ist die bundesweite Öffnung von Länderkrankenkassen wie der AOK. Gleichzeitig soll die Selbstverwaltung der Kassen aufgeweicht werden...
Lauterbach: Das sind Themen, die Jens Spahn entwickelt hat. Sie standen so nicht im Koalitionsvertrag. Ich wage zu prognostizieren, dass weder das eine noch das andere kommt. Das werden wir als SPD nicht mittragen. Ich halte nichts von der Zwangsöffnung der regionalen Kassen, insbesondere der AOKen, für den bundesweiten Wettbewerb, weil es ineffizient wäre. Ich finde der Mix aus regionalen Kassen und bundesweiten Kassen ist ein Wettbewerb, der sich bei uns bewährt hat und den wir auch erhalten wollen. Spahns Organisationsreform läuft auf eine deutliche Schwächung der Selbstverwaltung hinaus. Das wird von der SPD so nicht mitgetragen.
Es geht um eine Vereinheitlichung der Aufsicht. Die AOK werden von den Ländern kontrolliert, Barmer, TK, DAK & Co. vom Bundesversicherungsamt. Hat sich das nicht bewährt?
Lauterbach: Spahn unterstellt damit zum Beispiel der bayerischen CSU-Gesundheitsministerin Melanie Huml, dass sie nicht in der Lage oder bereit wäre, die AOK Bayern so ordentlich zu kontrollieren, wie es eine Bundesbehörde könnte. Ich würde mir selbst so etwas nicht bieten lassen, wenn ich der Gesundheitsminister in Bayern wäre.
Zur Person Karl Lauterbach, 56, ist der anerkannte Gesundheitsexperte der SPD-Fraktion im Bundestag. Der Arzt, Gesundheitsökonom und Universitätsprofessor aus Köln ist seit 2013 auch deren stellvertretender Vorsitzender.
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