Startseite
Icon Pfeil nach unten
Politik
Icon Pfeil nach unten

Interview: Robert Habeck stellt sich hinter Siemens-Chef Joe Kaeser

Interview

Robert Habeck stellt sich hinter Siemens-Chef Joe Kaeser

    • |
    Grünen-Chef Robert Habeck im Interview: „Wir haben den Anspruch, in allen gesellschaftlichen Fragen Antworten zu geben.“
    Grünen-Chef Robert Habeck im Interview: „Wir haben den Anspruch, in allen gesellschaftlichen Fragen Antworten zu geben.“ Foto: Michael Hochgemuth

    Herr Habeck, Sie machen wieder Wahlkampf in Bayern. Aber verglichen mit dem letzten Landtagswahlkampf ist Ihr Hauptgegner, die CSU, kaum noch wiederzuerkennen.

    Robert Habeck: Der bayerische Landtagswahlkampf vor anderthalb Jahren war für die Atmosphäre in der deutschen Politik entscheidend. Damals erschien der CSU ja der Versuch verführerisch, Populisten und die Sprache des Populismus bürgerlich zu adeln. Die Kollegen haben noch völlig anders geredet. Sie erinnern sich an Begriffe wie "konservative Revolution", "Asyltourismus" oder "Herrschaft des Unrechts". Davon ist wenig übrig geblieben, und das ist meiner Meinung nach der bayerischen Bevölkerung geschuldet, die Zivilcourage gezeigt hat. Das Signal war eindeutig: Wir wollen nicht, dass hier so diskutiert wird. Die CSU hat daraus die Lehre gezogen.

    Naja, Parteichef Markus Söder sagt schon noch immer, dass die Grünen der Hauptgegner seien...

    Habeck: Ich glaube, das beschreibt das Verhältnis genau richtig. Wir stehen auf Bundesebene in einer Auseinandersetzung um Ideen und Konzepte, durch die Bank. Und zur Union gehört halt die CSU, die allerdings eine changierende Rolle einnimmt – sie kritisiert aus München gerne, was sie in Berlin mitträgt. Gerade auf Landwirtschafts- und Bauerndemos ist das offensichtlich. Wir haben auch in vielem andere Vorstellungen – vom Tempolimit über Autobahn-Maut und Landwirtschaftspolitik bis zum bayerischen Polizeigesetz.

    Sie wollen ja schon lange nicht mehr nur die "Klimapartei" sein und treten mit einem umfassenden Wahlprogramm an. Reicht Ihnen das Klimathema nicht mehr?

    Habeck: Wir haben den Anspruch, in allen gesellschaftlichen Fragen Antworten zu geben. Hinzu kommt, dass die ökologische Transformation Voraussetzung dafür ist, dass Wettbewerbsfähigkeit, Arbeitsplätze, Wohlstand erhalten bleiben. Das ist alles natürlich sehr komplex, und in Wahlkämpfen wird nicht gefragt: Wie organisieren Sie eigentlich die Mobilität der Zukunft, Herr Habeck? Sondern: Tempolimit – ja oder nein? Ich bin ja für ein klares Tempolimit auf Autobahnen, wegen der Sicherheit. Aber der eigentliche Punkt ist, Mobilität so zu gestalten, dass sie umweltfreundlich, menschenfreundlich und zuverlässig ist, in den Städten und im ländlichen Raum.

    Dann fragen wir mal anders: Was sind die ganz komplexen Themen, mit denen Sie die Wähler beglücken wollen?

    Habeck: Das Erste ist, dass sich Klima- und Umweltschutz durch alle Bereiche der Politik ziehen müssen: Durch Außen- und Sicherheitspolitik, internationale Energiebeziehungen, Welthandel und vieles mehr. Das wollen wir umsetzen. Das Zweite ist der gesellschaftliche Zusammenhalt und das Vertrauen in unsere Demokratie und ihre Institutionen in Deutschland. Das Dritte ist Deutschlands Rolle in der Welt. Für die ist unserer Ansicht nach eine vertiefte europäische Einigung unerlässlich.

    Ist das auch Ihre Antwort auf den Brexit?

    Habeck: Ich bin riesig enttäuscht, dass Großbritannien die EU verlassen hat. Aber es ist hoffentlich wenigstens ein heilsamer Schock, weil nun alle sehen, der Prozess der europäischen Einigung ist theoretisch umkehrbar. Es ist kein Naturgesetz, dass wir ewig den Euro oder einen gemeinsamen Wirtschaftsraum haben. Es ist durchaus denkbar, dass Europa auch wieder in das Gegeneinander von Nationalstaaten zurückfällt, das uns die ganzen Kriege beschert hat. Das ist eine Mahnung. Wir müssen für

    Und dann ist da noch Donald Trump. Wie gehen wir als Deutsche mit ihm um, sollte er wiedergewählt werden?

    Habeck: Ich war gerade in Washington. Die Regierung von Donald Trump verfolgt einen völlig anderen Ansatz: Für sie sind Kooperation und Vereinbarungen Schwäche, "mein Land zuerst" Stärke. Europa muss sich darauf einstellen, seine Interessen selber stärker zu behaupten. Es muss eine größere Robustheit entwickeln.

    Gerade haben Sie Trump beim Weltwirtschaftsforum in Davos heftig als "Gegner" kritisiert. CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer hat Ihnen danach Naivität vorgehalten – Sie seien schließlich kein Privatmann.

    Habeck: Natürlich habe ich dort nicht als Privatmann gesprochen, privat wäre ich auch gar nicht in Davos gewesen. Ich finde, man muss unterscheiden zwischen den deutsch-amerikanischen Beziehungen und der Beziehung zu Donald Trump. Gerade in Washington haben mir viele gesagt: Wegducken und schweigen hilft nicht. Mit Donald Trump muss man Klartext reden. Man darf sich auch als Politiker nicht die Fähigkeit zur Empörung komplett abtrainieren, muss schon noch benennen, was richtig und was falsch ist. Ich bin dagegen, alles nett weg zu nuscheln.

    Aber wie würden Sie Trump als Bundeskanzler empfangen? Diese Möglichkeit muss man bei Ihren Popularitätswerten ja mal durchspielen...

    Habeck: Das "Wie würden Sie als" mal beiseitegestellt: Ich glaube, man sollte Donald Trump aus eigener Stärke heraus begegnen, egal ob aus Regierung oder Opposition heraus. Politiker verlieren jede Kraft, wenn sie als Erstes über die Beschränkung des Amtes nachdenken. Man sollte für das einstehen, was man will und sich nicht hinter einem Amt verschanzen. In Schleswig-Holstein bin ich als stellvertretender Ministerpräsident und Minister immer direkt zu den Bauern oder den Gegnern von Stromleitungen gegangen.

    Es heißt, Sie haben früher mit kritischen Landwirten erst mal einen Schnaps getrunken. Wäre das die richtige Taktik auch für Trump?

    Habeck: Ich glaube nicht, dass Alkohol die Politik von Donald Trump besser macht …

    Den Spagat im Umgang mit schwierigen Personen und Themen müssen auch Konzernchefs wie Siemens-Boss Joe Kaeser hinbekommen. Der spricht immer von der gesellschaftlichen Verantwortung seines Konzerns – aber gerade war ihm ein Minengeschäft in Australien wichtiger als der Klimaschutz.

    Habeck: Ich habe Herrn Kaeser schon häufiger gesprochen. Er weiß, dass die Marktwirtschaft neu gedacht werden muss. Er ist aber vermutlich, genau wie wir Politiker, oft zerrissen zwischen dieser grundsätzlichen Erkenntnis und realen Zwängen. Ich nehme Herrn Kaeser ab, dass er die Entscheidung über die Signalanlage für die Kohlemine in Australien nicht leichtfertig getroffen hat. Dennoch glaube ich, dass es sicher besser gewesen wäre, auf etwas Geld zu verzichten, um gesellschaftlichen Zielen treu zu bleiben.

    Aber ein Siemenschef ist doch zuerst seinen Aktionären verpflichtet, nicht der Gesellschaft...

    Habeck: Ich habe ja gesagt: Wir müssen auch die Unternehmenswelt neu denken. Besteht der Sinn eines Unternehmens einzig und allein darin, Aktionären hohe Dividenden auszuschütten, werden jede Regulierung, jede Besteuerung, jede Umweltauflage immer als hinderlich angesehen. Legt man aber fest, Unternehmensziel ist auch, Produkte zu entwickeln, die der Gesellschaft dienen und langfristige Prosperität sichern, sieht das anders aus.

    Glauben Sie auch, dass der weltgrößte Investmentfonds Blackrock aus edlen Motiven handelte, als er jüngst klimafreundlichere Bilanzen der Konzerne gefordert hat?

    Habeck: Nein, da geht es um Renditeerwartung. Auch Finanzunternehmen überlegen, wie zukünftige Geschäftsfelder aussehen. Letztlich ist jede Geldanlage eine Wette auf die Zukunft. Man versucht zu erahnen, was Leute kaufen werden. Allerdings hat die Ansage des Blackrock-Chefs in Davos eine regelrechte Schockwelle ausgelöst. Ich denke, wenn die nächste Generation von Erben ihr Geld umschichtet, wird sie das kaum in Kohlekraftwerke oder Fracking pumpen. Das wissen die Manager von Blackrock, die sind ja nicht doof.

    Erwarten Sie wirklich, dass sich Aktiengesellschaften unter dem Druck des Finanzmarkts einer Nachhaltigkeit verpflichten, wie man es allenfalls von Familienunternehmen kennt?

    Habeck: Ganz von allein passiert das nicht. Es ist an der Politik, die Richtung vorzugeben und klarzumachen, Kohle hat ausgewirtschaftet. Aktienrecht und Bilanzierungsregeln sollte man auf Nachhaltigkeit ausrichten, damit Unternehmen auch gegen den Willen von einzelnen Anlegern andere Ziele als Gewinnmaximierung verfolgen können. Wir haben außerdem einen öffentlichen Bürgerfonds für die Altersvorsorge vorgeschlagen, damit hätte man einen großen Investor, der nicht nur auf den Profit schaut. Der norwegische Staatsfonds macht es vor.

    Ihr Hauptthema bleibt die Umwelt: Nach dem Atomausstieg kommt der Kohleausstieg und der Zubau an erneuerbaren Energien ist so gering wie seit Jahren nicht mehr. Wie soll da die Energiewende funktionieren?

    Habeck: Indem man sie macht. Wir haben ein Phänomen, das sich vom Atomausstieg zum Kohleausstieg durchzieht: Immer wird gesagt, geht nicht, dann ging es doch, wenn man wollte. Vor 20 Jahren hieß es, wie absurd, 20 Prozent regenerativen Strom erreichen zu wollen. Jetzt haben wir einen Anteil von 46 Prozent, ohne Blackouts. Klar, die Energiewende ist anspruchsvoll. Sie erfordert, dass sich die Politik voll hinter Windkraftausbau und Netzausbau stellt, und die Debatten um das "Wie" führt, nicht "Ob". Und wenn wir im gesamten europäischen Raum denken, wird es leichter. In meinem Bundesland geht dieses Jahr Nordlink in Betrieb, eine große Leitung, über die Windstrom aus Deutschland und Wasserkraftstrom aus Norwegen ausgetauscht werden. Da beginnt es.

    Wie wollen Sie die Stromversorgung bei der schwankenden Ökoenergie ohne fossile Kraftwerke stabil halten?

    Habeck: Wir müssen die erneuerbaren Energien und die Endverbraucher enger miteinander verzahnen. Die meisten Verbraucher zahlen Stromtarife von 30 Cent die Kilowattstunde, unabhängig davon, ob die Sonne scheint oder der Wind bläst. An der Börse haben wir aber schon längst sehr unterschiedliche, teilweise negative Strompreise. Wenn diese Preisschwankungen auch bei den Haushalten und in der Produktion ankämen, könnte die Nutzung stärker an die Verfügbarkeit von Strom angepasst werden – was wesentlich effizienter ist. Mithilfe der Digitalisierung kann ich dann, wenn der Strompreis niedrig ist, weil gerade die Sonne scheint und der Wind weht, mein E-Auto tanken oder die Waschmaschine anschmeißen. Und insgesamt brauchen wir natürlich Speicher, da entsteht schon enorm viel.

    Inzwischen gibt es Stimmen aus der Union, die den Ausstieg aus der Kernenergie infrage stellen.

    Habeck: Diejenigen, die das sagen, müssen sich als Erstes bereit erklären, das Atommüllendlager auch in ihren Wahlkreisen unterzubringen. Manche Menschen denken, die Atomfrage in Deutschland sei gelöst. Von wegen. Wir haben kein Endlager in Deutschland. Aber wir haben 15 Standorte, an denen in Zwischenlagern hoch radioaktiver Müll aufbewahrt wird. Jetzt werden die Atomkraftwerke zurückgebaut. Das heißt, in ein paar Jahren stehen große Hallen in der Landschaft; das erfahrene Personal der Anlagen ist nicht mehr da, und die Hallen werden nur noch vom Sicherheitsdienst bewacht. Die meisten Zwischenlager sind Anfang der 2000er für 40 Jahre genehmigt worden, die ersten Genehmigungen laufen Mitte der 30er Jahre aus. Auch dann wird noch kein Endlager in Betrieb sein. Und in dieser Situation begrüßt die bayerische Landesregierung die Suche nach Endlagern offiziell, stellt aber gleichzeitig klar, in Bayern sei ein Endlager nicht denkbar. Das ist alles wirklich verantwortungslos.

    Wie einst die Anti-Atomkraft-Bewegung protestiert nun Fridays for Future für die Umwelt. Haben Sie die Sorge, dass Ihr Band mit der jungen Klimaschutzbewegung zerbricht, sobald Sie in der Regierung Ausgleich und Kompromisse suchen müssen?

    Habeck: Es ist das große Verdienst von Fridays for Future, eine große Aufmerksamkeit geschaffen zu haben für ein Thema, das wir seit 40 Jahren diskutieren. Nein, diese Sorge habe ich überhaupt nicht.

    Regiert Angela Merkel bis zum Ende, tritt die Opposition 2021 nicht gegen einen amtierenden Kanzler an. Ist das für Sie eine Chance? Wann stellen die Grünen ihren Kanzlerkandidaten auf?

    Habeck: Zum ersten Mal seit Gründung der Bundesrepublik gibt es eine Bundestagswahl, in der kein Amtsinhaber antritt. Alles kann passieren. Wenn diese offene Situation dazu führt, dass wir vor der nächsten

    Sie müssten ja erst einmal klären, ob Sie mit einem Kandidaten oder einer Kandidatin antreten – oder einem Duo.

    Habeck: Wie ich gesagt habe: Wir werden uns vor der Wahl sehr verantwortungsvoll und sehr rechtzeitig dazu melden.

    Zur Person Robert Habeck wurde 1969 in Lübeck als Sohn eines Apotheker-Ehepaares geboren. Der 50-Jährige wuchs im schleswig-holsteinischen Heikendorf auf. Nach dem Abitur studierte er Freiburg, Roskilde (Dänemark) und Hamburg die Fächer Germanistik, Philosophie und Philologie. Seine Doktorarbeit schrieb er über die "Natur der Literatur". Zusammen mit seiner Frau Andrea Paluch, die er während seines Studiums kennenlernte, verfasste er mehrere Romane und Jugendbücher. Das Paar hat vier Söhne. 2001 begann Habeck sich im Kreisverband Schleswig-Flensburg der Grünen zu engagieren. 2004 stieg er zum schleswig-holsteinischen Landesvorsitzenden der Partei auf.

    2009 zog er in den Landtag ein und wurde Fraktionsvorsitzender. Bei vorgezogenen Landtagswahlen 2012 trat er als Spitzenkandidat der Grünen an. Anschließend traten die Grünen in eine Koalitionsregierung mit SPD und dem Südschleswigschen Wählerverband ein. Habeck wurde Stellvertretender Ministerpräsident und Minister für Landwirtschaft, Umwelt und Energiewende. Nach den

    Wir wollen wissen, was Sie denken: Die Augsburger Allgemeine arbeitet daher mit dem Meinungsforschungsinstitut Civey zusammen. Was es mit den repräsentativen Umfragen auf sich hat und warum Sie sich registrieren sollten, lesen Sie hier.

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden