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Interview: Ralf Fücks: Auf der Suche nach einer klaren Botschaft der Grünen

Interview

Ralf Fücks: Auf der Suche nach einer klaren Botschaft der Grünen

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    Die Grünen haben bis zum Bundestagswahlkampf noch einige Baustellen, die abgearbeitet werden müssen.
    Die Grünen haben bis zum Bundestagswahlkampf noch einige Baustellen, die abgearbeitet werden müssen. Foto: Peter Endig/dpa

    Herr Fücks, im Saarland sind die Grünen an der Fünf-Prozent-Hürde gescheitert, zuvor flogen sie auch schon in Mecklenburg-Vorpommern aus dem Landtag. Sind das nur Ausrutscher oder ist das bereits ein klassischer Fehlstart ins Wahljahr 2017?

    Ralf Fücks: Die Grünen hatten sicher schon bessere Zeiten, trotzdem sind diese beiden Länder nicht repräsentativ. Bundesweit sind die Grünen inzwischen eine feste Größe in der Parteienlandschaft. Unbestritten wird es allerdings höchste Zeit, in die Offensive zu gehen und klarzu- machen, wofür Grün steht.

    Die Grünen schwächeln derzeit erkennbar und liegen in Umfragen bei etwa sieben Prozent. In Nordrhein-Westfalen dürfte es für Rot-Grün nicht mehr reichen, in Rheinland-Pfalz musste man die FDP mit an Bord nehmen, um die Mehrheit zu erlangen. Was sind die Gründe für die schwindende Zustimmung?

    Fücks: Zum einen haben die Grünen ihr Alleinstellungsmerkmal für Themen wie Atomausstieg oder Gleichstellungspolitik verloren, die inzwischen in der Mitte der Gesellschaft angekommen sind. Zum anderen erleben wir gerade eine Polarisierung zwischen Bundeskanzlerin Angela Merkel und ihrem Herausforderer Martin Schulz mit der Folge, dass sich ein Teil der rot-grünen Wechselwähler eher an der SPD orientiert. Und zum Dritten ist derzeit noch nicht klar erkennbar, was die zentralen politischen Botschaften der Grünen in diesem Wahlkampf sind. Für welche Reformen, für welche Veränderungen treten sie an? Das aber ist enorm wichtig in einer Zeit großer Verunsicherung, in der Menschen nach Orientierung suchen.

    Der sogenannte Schulz-Effekt, der in der SPD eine ungeahnte Mobilisierung ausgelöst hat, hat alle Parteien überrascht. Im Falle der Grünen kommt offenbar erschwerend hinzu, dass Schulz abgewanderte SPD-Wähler von den Grünen wieder zu seiner Partei zurückholt. Wie können die Grünen darauf antworten?

    Fücks: Die Grünen müssen ihre Wähler aus ganz unterschiedlichen politischen Himmelsrichtungen gewinnen. Es bringt nichts, nur mit der SPD um den gleichen Wählerstamm zu ringen. Baden-Württemberg und Schleswig-Holstein zeigen, dass Grüne ein breites Spektrum von Wählerinnen und Wähler an sich binden können, wenn Personal und Programmatik passen. Ich bin optimistisch, weil die Grünen ein ganzes Arsenal an politischen Ideen haben, die noch lange nicht ausgedient haben.

    Und die wären?

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    Fücks: Das geht von der Energiewende über den ökologischen Umbau des Verkehrssystems bis hin zu einer Bildungsoffensive oder einem modernen Einwanderungsgesetz. Jetzt muss es gelingen, diese Themen nach vorne zu bringen.

    Dringen die Grünen mit ihren Themen überhaupt durch? Die Union kämpft für innere Sicherheit, die SPD für soziale Gerechtigkeit, im Vergleich dazu wirken die grünen Themen nachrangig.

    Fücks: Das sind sie aber nicht. Die ökologische Erneuerung der Industriegesellschaft, die grüne industrielle Revolution, ist hochaktuell – nicht nur als Antwort auf den Klimawandel, sondern als wirtschaftliches Zukunftsprojekt. Für die Autoindustrie ist das eine Überlebensfrage. Die Grünen sind die Partei der Bürgerrechte, wissen aber auch um die Bedeutung der öffentlichen Sicherheit, damit Menschen angstfrei leben können. Und sie sehen Zuwanderung als Gestaltungsaufgabe statt als Bedrohung, gegen die wir uns abschotten sollten. Jetzt ist die Zeit, wo die Grünen ihre Prioritäten setzen und mit klaren Botschaften in den Wahlkampf ziehen müssen.

    Dabei stellt sich die unvermeidliche Frage nach dem Führungspersonal: Katrin Göring-Eckardt und Cem Özdemir haben die Urwahl gewonnen, aber das war vor Schulz. Sind sie die Richtigen, um die eigenen Wähler zu mobilisieren?

    Fücks: Beide gehören zu den politisch erfahrensten Persönlichkeiten der Grünen. Sie decken unterschiedliche Themen ab, sprechen unterschiedliche gesellschaftliche Milieus an und müssen sich in keiner Weise hinter dem Spitzenpersonal der anderen Parteien verstecken. Sie sollten auch die Freiheit haben, im Wahlkampf ihre eigenen Akzente setzen. 

    Ist es ein Manko, dass beide dem Realo-Flügel angehören?

    Fücks: Das hat bei der Urwahl die allergeringste Rolle gespielt. Das war eine Personenwahl. Man hat sich für die entschieden, denen man es am meisten zutraut, erfolgreich zu sein.

    Aber Göring-Eckardt hatte gar keine Gegenkandidatin, war gesetzt.

    Fücks: Das kann man ihr nicht vorwerfen.

    Winfried Kretschmann ist derzeit der beliebteste Politiker Deutschlands und hat die Grünen in Baden-Württemberg zur stärksten Partei gemacht. Was können die Grünen im Bund von ihm lernen – oder ist er nur deswegen so erfolgreich, weil er keine grüne

    Fücks: Das muss ich entschieden dementieren. Im Gegenteil, seine große Leistung ist es, dass er es verstanden hat, grüne Politik mehrheitsfähig zu machen. Die Kombination aus einer klaren Wertorientierung und einem nüchternen Pragmatismus mit einem Blick für das Machbare, seine Bereitschaft zum Dialog und zum Zuhören sind sein Erfolgsrezept. Er sucht den Konsens mit unterschiedlichen Milieus der Gesellschaft, den man braucht, wenn man etwas verändern will. Und er will nicht nur recht haben, sondern Dinge in Bewegung bringen.

    Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann wird auch beim Wahlkampf der Grünen eine entscheidende Rolle spielen.
    Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann wird auch beim Wahlkampf der Grünen eine entscheidende Rolle spielen. Foto:  Felix Kästle, dpa

    Soll Kretschmann eine wichtige Rolle im Wahlkampf spielen?

    Fücks: Das wird er ohnehin tun, weil er gefragt ist. Die Grünen haben eine ganze Reihe von vorzeigbaren Personen, die auch für die Vielfalt der Partei stehen.

    Klimaschutz, gesunde Ernährung, ökologische Landwirtschaft – vieles, was die Grünen einst gefordert haben, ist heute Konsens in der Gesellschaft. Sind die Grünen Opfer ihres eigenen Erfolgs geworden?

    Fücks: Die historische Mission der Grünen ist noch lange nicht vorbei. Wir stehen erst ganz am Anfang des ökologischen Umbaus unserer Wirtschaftsweise, erst am Einstieg der Energiewende, am Anfang der Verkehrswende. Zu zeigen, dass eine umweltfreundliche Gesellschaft gleichzeitig wirtschaftlich erfolgreich sein kann, ist unverändert die Kernaufgabe der Grünen. Der Brückenschlag zwischen Ökonomie und Ökologie ist aktueller denn je.

    Hat sich der Zeitgeist gedreht? Wird die Gesellschaft wieder konservativer, nationaler? Eine, die mehr innere Sicherheit und soziale Gerechtigkeit will?

    Fücks: Ich habe dazu gerade ein Buch mit dem Titel „Freiheit verteidigen“ geschrieben. Es gibt etwas zu verteidigen, sowohl gegen autoritäre Mächte wie China, Russland, den Iran oder die Türkei, die immer selbstbewusster auftreten und sich als Gegenmodell zur liberalen Demokratie verstehen, als auch gegen Kräfte in der eigenen Gesellschaft, die mehr Abschottung und weniger Vielfalt wollen. Der Brexit wie die Wahl Trumps waren ein Weckruf an die liberalen Gesellschaften – es ist Zeit für ein klares „So nicht!“. Es reicht aber nicht, den Status quo zu verteidigen.

    Sondern?

    Fücks: Wir müssen Antworten auf die großen Herausforderungen geben, die bei den Menschen ein Gefühl von Verunsicherung hervorrufen. Wir müssen die Frage neu beantworten, wie man Sicherheit im Wandel schaffen kann, ohne die Illusion zu erzeugen, wir könnten uns von diesem Wandel abschirmen, wie es AfD, Le Pen und Co. tun.

    Um bei der Bundestagswahl erfolgreich zu sein, muss die Grüne antworten finden. Unter anderen muss die Frage der erstarkenden Rechten in Europa beantwortet werden.
    Um bei der Bundestagswahl erfolgreich zu sein, muss die Grüne antworten finden. Unter anderen muss die Frage der erstarkenden Rechten in Europa beantwortet werden. Foto: Ina Fassbender, dpa (Symbolfoto)

    Welche Rolle spielen dabei die Grünen?

    Fücks: Sie werden gebraucht als Partei, die unkonventionelle Ideen für die Zukunft entwickelt. Das ist ihre größte Begabung. Wenn heute in Umfragen viele Leute sagen, die Grünen seien bieder und langweilig geworden, wird es Zeit, dass die Grünen ihre ideelle Kraft wieder entdecken und die Zukunft neu denken. Interview: Martin Ferber

    Ralf Fücks, Jahrgang 1951, ist seit 1996 Vorstand der grünen-nahen Heinrich-Böll-Stiftung. Der gebürtige Pfälzer engagierte sich während seines Studiums der Sozialwissenschaften, Ökonomie und Geschichte im Kommunistischen Bund Westdeutschland. 1982 wechselte er zu den Grünen, deren Vorstandssprecher er in den Jahren 1989/1990 war. Von 1991 bis 1995 war Fücks Bremer Umweltsenator. Vor wenigen Tagen erschien im Hanser-Verlag (München) sein Buch „Freiheit verteidigen – Wie wir den Kampf um die offene Gesellschaft gewinnen“ (256 Seiten, 18 Euro).

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