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Interview: Orbán-Kritiker: Keine Kompromisse bei Pressefreiheit

Interview

Orbán-Kritiker: Keine Kompromisse bei Pressefreiheit

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    Der frühere Chefredakteur von „Index.hu“, Szabolcs Dull.
    Der frühere Chefredakteur von „Index.hu“, Szabolcs Dull. Foto: Huszti Istvan

    Herr Dull, an diesem Donnerstagabend werden Sie in Potsdam mit dem renommierten "M100 Media Award" ausgezeichnet – wegen Ihres Eintretens für das Grundrecht der Pressefreiheit in Ungarn. Haben Sie Angst vor dem ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán?

    Szabolcs Dull: Nein, ich habe keine Angst vor ihm.

    Ist er in Ihren Augen ein Diktator? So wird er ja vielfach von Kritikern bezeichnet…

    Dull: Ich denke nicht. Und ich möchte Politiker auch nicht derart qualifizieren, das ist nicht meine Aufgabe als Journalist. Ich denke auch nicht parteipolitisch, wenn ich Situationen bewerte. Da geht es um rein journalistische Werte.

    Sie waren Chefredakteur des reichweitenstärksten unabhängigen Nachrichtenportals Ungarns, "Index.hu". Im Juli wurden Sie entlassen. Was war die offizielle Begründung?

    Dull: In meinem Entlassungsschreiben stand "Vertrauensverlust".

    Und warum wurden Sie wirklich entlassen?

    Dull: Ich hatte einen Monat zuvor auf Index öffentlich gemacht, dass ich das Gefühl habe, die gesamte Redaktion schwebe in Gefahr, ihre Unabhängigkeit zu verlieren. Mir war zu Ohren gekommen, dass sie neu strukturiert und von außen Einfluss auf sie genommen werden sollte. Was Viktor Orbán betrifft, muss ich ehrlich sagen: Ich weiß nicht genau, welche Rolle er dabei spielte. Ich bin lästig geworden, vor allem, weil ich klar gemacht habe: Bei der Pressefreiheit kann es keine Kompromisse geben.

    Viktor Orban, Ministerpräsident von Ungarn, kürzlich während einer Pressekonferenz nach dem Treffen der Regierungschefs der Visegrad-Staaten.
    Viktor Orban, Ministerpräsident von Ungarn, kürzlich während einer Pressekonferenz nach dem Treffen der Regierungschefs der Visegrad-Staaten. Foto: Czarek Sokolowski, dpa

    Mit welchen Mitteln wurde auf Sie und Ihre Redaktion Druck ausgeübt?

    Dull: Das begann schon damit, dass sich plötzlich jemand, der der Regierung nahe steht, in unsere Partnerfirma einkaufte, die für das Werbegeschäft zuständig ist.

    Hat Orbán versucht, direkt Einfluss auf Sie und Ihre Arbeit zu nehmen?

    Dull: Es war kein direkter Druck. Aber seine Regierung pflegte einen sehr feindlichen Umgang mit uns. Man gab uns keine Interviews, man beantwortete unsere Fragen nicht.

    Gegen Sie selbst wurde eine Diffamierungskampagne gestartet.

    Dull: Gleich am Tag nach meiner Entlassung hat ein regierungsnahes Medium versucht, mich zu verleumden. Es wurde behauptet, ich hätte das Ende von Index zusammen mit der Opposition herbeiführen wollen. Das ist absoluter Nonsens!

    Wurden Sie bedroht? Wurden Sie Opfer körperlicher Gewalt?

    Dull: Zum Glück ist es in Ungarn noch nicht so weit. Aber es gibt eine Tendenz dahin. Jemand verschaffte sich Zugriff auf meine Anrufliste. Und einmal klingelte jemand an meiner Wohnungstür. Er hatte eine eingeschaltete Kamera bei sich. Ich hatte das Gefühl, ich solle zur Rechenschaft gezogen werden.

    Erkennen Sie Index jetzt noch wieder, nachdem vor wenigen Monaten Vaszily Miklós, ein Orbán nahe stehender Unternehmer, eingestiegen ist?

    Dull: Ich muss zugeben: Ich lese Index nicht mehr so häufig. Meine Kollegen damals haben gute Arbeit geleistet...

    ...nach Ihrer Entlassung kündigten fast 100 von ihnen, fast Ihre ganze Redaktion – aus Solidarität.

    Dull: ...und Index ist heute ein anderes Portal. Der Unterschied ist deutlich.

    Nach Ihrer Entlassung demonstrierten tausende Menschen in Budapest für die Pressefreiheit. Aber würden Sie sagen, es gibt einen anhaltenden, breiten Widerstand gegen die Einschränkungen der Pressefreiheit?

    Dull: Nein, den gibt es nicht. Was es gab, das waren Demonstrationen und Solidaritätsbekundungen, wenn Redaktionen in Gefahr waren oder geschlossen wurden.

    Demonstranten protestieren gegen die Entlassung des Chefredakteurs der ungarischen Nachrichtenwebsite Index.hu.
    Demonstranten protestieren gegen die Entlassung des Chefredakteurs der ungarischen Nachrichtenwebsite Index.hu. Foto: Zsolt Szigetvary/MTI/AP/dpa

    Woran liegt das?

    Dull: Das liegt auch daran, dass bei vielen Zeitungen regierungsnahe Propagandisten in die Redaktionen gesetzt wurden. Mittlerweile setzt man sogar Politiker in sie. Ich denke aber, es wird vielen Menschen in Ungarn immer bewusster, dass die freie Berichterstattung einen Wert hat. Bei den Kommunalwahlen im vergangenen Jahr zum Beispiel gab es einen Skandal, über den nur unabhängige Medien, auch wir von Index, berichtet haben. Von einem Parteifreund Orbáns, Zsolt Borkai, kursierte ein Sexvideo von einer Luxusyacht auf der Adria. Er trat dann später als Bürgermeister von Gyor zurück.

    Warum ist die Unterstützung der Bevölkerung für Orbán eigentlich derart groß?

    Dull: In der Tat hat er bei Parlamentswahlen drei Mal eine Zweidrittelmehrheit geholt. Er hat das vor allem dadurch geschafft, weil er Maßnahmen umsetzte, die die finanzielle Situation vieler Ungarn verbessert haben. Und weil die Opposition nicht imstande war, einheitlich aufzutreten – und zwar so, dass die Menschen, die Orbán nicht unterstützen, wirklich eine Alternative gehabt hätten.

    Wohin will Orbán sein Land führen?

    Dull: Wir wissen, dass er sich schon auf die Parlamentswahlen im Jahr 2022 vorbereitet. Möglicherweise wird die Opposition dann erstmals einheitlich auftreten. Orbán sagte, er wolle bis 2030 das Land regieren und bis dahin das ganze System umgestalten.

    In Deutschland wird auf Demonstrationen – von Pegida bis hin zu denen von Gegnern der Anti-Corona-Maßnahmen – "Lügenpresse" skandiert. Oder es wird gefordert: "Stoppt die Merkel-Diktatur!" Die öffentlich-rechtlichen Sender seien "Staatsfunk". Was denken Sie, wenn Sie so etwas hören?

    Dull: Die Situation in Ungarn und in Deutschland ist natürlich nicht vergleichbar. In einer Krise wie der Corona-Krise ist es nicht überraschend, dass es Zweifler gibt. Es wird sie immer geben. Gerade deshalb brauchen wir ja glaubwürdige Medien, die recherchieren und den Menschen aufzeigen, warum dieses Problem ernst genommen werden muss. Die Corona-Krise zeigt sehr gut, warum wir freie und unabhängige Medien brauchen.

    Der Nichtregierungsorganisation "Reporter ohne Grenzen“"zufolge haben Orbán, seine Fidesz-Partei und befreundete Unternehmer die Medienlandschaft Ungarns weitgehend unter ihre Kontrolle gebracht. Ist es in Ihrem Land überhaupt noch möglich, unabhängig zu berichten?

    Dull: Es gibt noch Spielraum, und es gibt ein neues Projekt meiner ehemaligen Kollegen. Als ich mich von meiner Redaktion verabschiedet habe, habe ich meine Kollegen gebeten: Bleibt nicht still! Ich drücke ihnen die Daumen, und hoffe, dass sie ein großes neues Medium im Internet aufbauen können. Ich verfolge mit hohem Interesse, welche Hindernisse ihnen jetzt in den Weg gestellt werden.

    Sind Sie an diesem Projekt beteiligt?

    Dull: Noch bin ich vertraglich an Index gebunden, bis Februar 2021. Ich weiß, dass mich meine ehemaligen Kollegen danach willkommen heißen werden.

    Sie sehen also Ihre Zukunft in Ungarn als Journalist – trotz allem.

    Dull: Seit meiner Kindheit wollte ich Menschen informieren. Das ist sehr wichtig, auch wenn einem Steine in den Weg gelegt werden. Es geht um die Demokratie. Man darf auf keinen Fall aufgeben. Man muss für die Pressefreiheit kämpfen. Ich meine das sehr ernst, wenn ich sage, dass man nicht verstummen dürfe.

    Szabolcs Dull, 36, ist Politik-Journalist und war Chefredakteur der ungarischen Nachrichtenseite Index.hu, die täglich von mehr als einer Million Nutzern gelesen wird. Der "M100 Media Award" wird seit 2005 jährlich auf der internationalen Medienkonferenz "M100 Sanssouci Colloquium" vergeben – an Persönlichkeiten, die „Fußspuren“ in der Welt hinterlassen haben und sich für Demokratie, europäische Verständigung sowie Meinungs- und Pressefreiheit einsetzen. Zu den Preisträgern zählen der frühere FDP-Politiker Hans-Dietrich Genscher ebenso wie der Welt-Journalist Deniz Yücel.

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