Herr Söder, Sie haben für kommenden Montag zur Auftaktveranstaltung für das „Zukunftsforum Automobil“ eingeladen. Was muss man sich darunter vorstellen?
Söder: Wir brauchen einen Neustart für die Zukunftsidee des Automobils. Die Diskussion der vergangenen Jahre kann sich Deutschland auf Dauer nicht mehr leisten. Denn wir sägen uns den Ast ab, auf dem wir industriepolitisch sitzen – nämlich die Automobilindustrie und deren Zulieferbetriebe. Es wird übrigens auch im Ausland nicht verstanden, warum sich Deutschland so um die eigene Achse dreht und sich industriepolitisch derart schadet. Welches andere Land auf der Welt würde seine eigene Kernindustrie so schlecht reden, wie wir es tun?
Aber die Autoindustrie hat ja auch schwere Fehler begangen – Innovationen wie das E-Auto verschlafen, Kunden in der Diesel-Affäre betrogen…
Söder: Diese Debatten kann man sachlich führen. Aber so ideologisch, wie wir es im Moment tun, untergraben wir das Vertrauen zwischen den Autoherstellern und ihren Kunden – und lähmen auch den Austausch zwischen Wirtschaft und Politik. Das Auto ist nicht unser Feind! Derzeit geht es um Vorwürfe und Verschwörungstheorien. So wollen Ideologen partout Verbote erlassen, während manche Lobbyisten jede Diskussion verhindern wollen. Den Konflikt müssen wir endlich auflösen. Wir glauben, dass wir mit unserem Autoforum verschiedene Handlungsfelder definieren können, um das Auto der Zukunft zu schaffen. Neben der aktuellen Debatte um Grenz- und Messwerte geht es doch vor allem um die Frage, wie das Auto der Zukunft aussieht. Und zwar weltweit, auf den globalen Märkten.
Und wie sieht es aus, dieses Auto der Zukunft? Und wichtiger noch: Wie fährt es?
Söder: Modern. Mit unterschiedlichen Antrieben und digitalvernetzt. Dafür brauchen wir deutsche Technologieführerschaft. Die Antriebe der Zukunft sollten emissions- und verbrauchsarm sein. Wir dürfen uns dabei nicht nur auf den Elektromotor beschränken. Wir müssen in viele Richtungen forschen, etwa die Entwicklung von synthetischen Kraftstoffen, die genauso relevant wie herkömmliche Kraftstoffe sein können.
Und das soll alles bei uns geschehen?
Söder: Klar, direkt im Autoland Bayern. Wir wollen bei uns eine eigenständige Batterietechnik entwickeln, die im gesamten energetischen Prozess bessere Werte aufweist. Auch das Aufladen an sich muss einfacher, schneller und flächendeckender möglich sein. Denn die bestehende Ladeinfrastruktur bietet im Moment zu wenige Anreize zum Umstieg.
Die deutschen Autobosse kaufen momentan Batterien aber lieber in China ein. Auch weil sie sagen, die milliardenschweren Investitionen in neue Batterietechniken würden sich so schnell nicht rechnen.
Söder: Das gilt für den Moment. Aber wollen wir ernsthaft in so einer wichtigen Technologie völlig abhängig sein von Standards, die durch andere gesetzt werden? Wir müssen daran arbeiten, dass wir in Deutschland und Europa eigene Technologiestandards definieren. Dazu brauchen wir die heimische Produktion von Batterietechnik. Hier geht es um den Erhalt und die Schaffung von neuen Arbeitsplätzen. Das geht aber nur, wenn man Geld für Forschung ausgibt. Wir in Bayern gründen Forschungsinstitute zur Batterietechnik in Bayreuth und für synthetische Kraftstoffe in Straubing. Wir stellen dafür rund 70 Millionen Euro bereit. Dabei können aus bayerischen Instituten auch nationale Zentren werden.
Die Batterietechnik ist ja nur eine Herausforderung für die Autoindustrie. Die Digitalisierung könnte sie erst recht crashen.
Söder: Das ist das zweite große Thema. Der weltweite Trend geht in Richtung autonomes Fahren. In Deutschland müssen wir uns überlegen, ob wir das umsetzen können. Es gibt bei uns erste Teststrecken, aber dort gibt es kein komplett digital autonomes Fahren. Denn das bedeutet, dass eine komplette Telematik steht, die nicht nur das Auto selbstständig fährt, sondern auch Verkehrsdaten sammelt und auswertet. Dadurch wird der komplette Verkehr intelligent gesteuert, was erhebliche Auswirkungen auf Emissionswerte und Klimaschutz hat.
Die großen deutschen Autokonzerne wollen mit wichtigen Zulieferern wie Bosch eine „Allianz für autonomes Fahren“ schmieden. Deckt sich das mit Ihren Plänen?
Söder: Ja. Das Ziel ist es, Forschungsaktivitäten so synchron zu schalten, dass wir damit wirtschaftliche Effekte erzielen. Das gilt für alle Autoländer in Deutschland. Uns schwebt ein nationaler Automobilpakt vor.
Schön, dass Sie gleich so bundesweit denken. Aber warum sollten die CDU oder sogar die SPD bei Ihren Plänen mitmachen?
Söder: Im Koalitionsausschuss aus CDU, CSU und SPD haben Annegret Kramp-Karrenbauer, Andrea Nahles und ich uns zum Ziel gesetzt, Vorstöße für die nationale Ebene zu entwickeln. Wir haben vereinbart, beim Koalitionsausschuss Mitte Februar den Auftakt zu machen. Mit dem Autoforum aus Bayern und einen Automobilpakt wollen wir dann bis zur Sommerpause eine nachhaltige Strategie formulieren.
Wir können uns nicht ernsthaft vorstellen, dass das alles so glatt lief. In der Verkehrspolitik liegen etwa zwischen SPD und CSU doch Welten.
Söder: Natürlich gibt es noch viel zu tun. Wir müssen diskutieren, wie viel Modernität wir wollen, was die finanziellen Auswirkungen sind und wie man mit Grenzwerten umgeht. Der Weg wird schon noch sehr anstrengend werden.
Aber Sie klingen durchaus optimistisch. Sehen Sie die Chance, dass der Koalitionsausschuss von CDU/CSU/SPD nun wieder zu einem Instrument wird, das Initiativen anstößt?
Söder: Der Koalitionsausschuss sollte nicht nur Streitschlichtungsinstanz sein. Es wird immer Punkte geben, wo es hakt, das ist klar. Aber es muss dort auch perspektivische und strategische Debatten geben. Es tut dem Ansehen der Großen Koalition gut, wenn sie zeigt, dass sie auch über den Tag hinausdenken kann.
Also macht Ihnen die Arbeit in Berlin auf einmal doch Spaß? In der Vergangenheit haben Sie die Hauptstadt immer gerne gemieden.
Söder: Auch wenn Journalisten das gerne mal anders sehen: Politik ist keine Frage von Spaß, sondern von Verantwortung. Es ist doch klar, dass ich als CSU-Parteivorsitzender in Berlin Präsenz zeige. Ich stimme mich dabei eng mit der CSU-Landesgruppe ab. Wir haben ein sehr konstruktives Miteinander. Es ist nicht möglich, Bundes- und Landespolitik komplett zu trennen. Das haben wir voriges Jahr im Landtagswahlkampf gemerkt.
Aber es ist natürlich auch leichter, weil Sie im Koalitionsausschuss nicht auf Angela Merkel treffen.
Söder: Sie verkürzen die Debatte wieder auf Personen. Parteien sollten in Umfragen nicht ausschließlich auf ihren eigenen Parteiwert schauen. Sie sollten vor allem auf das Ansehen der Regierung achten. Wenn dieser Wert steigt, dann steigt automatisch auch der Parteiwert. Deshalb werden wir mit den neuen Parteivorsitzenden in der Koalition konstruktiver arbeiten. Auch in Bayern werden wir uns breiter aufstellen, indem wir als Staatsregierung gut regieren und uns auch in Berlin nachhaltig einbringen. Und wir wollen auch die Zusammenarbeit mit Bundesländern wie Sachsen, Nordrhein-Westfalen oder Baden-Württemberg ausbauen.
Trotzdem: Wie beurteilen Sie die Rolle von Frau Kramp-Karrenbauer? Hat Sie die konservative Rolle der CDU bereits gestärkt?
Söder: Ja. Was viele vergessen: Annegret Kramp-Karrenbauer war nicht nur saarländische Ministerpräsidentin, sondern im Saarland auch Innenministerin. Ihre Innenpolitik hat sich von unserer in Bayern gar nicht so stark unterschieden. Insgesamt ergibt sich ein verstärktes organisches Zusammenwachsen von CDU und CSU.
Zurück zum Auto: Im Moment debattiert Deutschland so intensiv über Diesel, Fahrverbote, Grenzwerte, dass man fast von einem „Kulturkampf ums Auto“ sprechen kann.
Söder: Das Problem ist, dass die gegenwärtige Grenzwertdiskussion jede Menge Raum für Verschwörungstheorien lässt. Das muss man auflösen, und zwar mit Fakten. Entweder stimmen Grenzwerte oder sie stimmen nicht. Sind sie gesundheitsschädigend, dann muss man sie einhalten. Der Bund lässt derzeit durch die Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina klären, ob die Pneumologen recht haben, die die offiziellen Richtwerte bezweifeln. Was die Frage Feinstaub angeht, muss man auch klären, in welchem Zeitraum die Werte zu erreichen sind. Es geht um die Art der Messung. Also die Frage, ob es sinnvoll ist, nur am Auspuff zu messen oder ob man da messen muss, wo die Menschen sind. Zudem ist es wenig sinnvoll, wenn von einigen Messstationen mittels Hochrechnungen ein Gesamtwert für eine Stadt ermittelt wird. Außerdem geht es um die Frage, wie verhältnismäßig Fahrverbote überhaupt sind. Denn oft entsteht durch Fahrverbote ein Umgehungsverkehr, der die Situation nicht verbessert, sondern eher noch belastet. Außerdem müssen wir verhindern, dass Dieselfahrer Sorge haben, dass sie praktisch enteignet werden. Das birgt auch sozialen Sprengstoff.
Welche Alternativen gibt es zu Fahrverboten?
Söder: Die Strategie muss sein, auch den Umstieg vom Auto zu fördern. Aus meiner Sicht brauchen wir eine nationale Nahverkehrsoffensive. Das muss eine Gemeinschaftsaufgabe werden. Bund, Länder und Gemeinden müssen dafür mehr Geld in die Hand nehmen. Wir werden in Bayern im Frühjahr alle relevanten Partner aus Stadt und Land einladen, um eine langfristige Strategie zu erarbeiten. Wir brauchen mehr Linien, einen besseren Takt auf die Linien und günstigere Tarife. Wir brauchen einen einheitlichen Bayern-Takt und ein Bayern-Ticket.
Und Tempolimits brauchen wir auch? Ihr Parteikollege, Verkehrsminister Andreas Scheuer, hat das einen Angriff auf den „gesunden Menschenverstand“ genannt.
Söder: Ein Tempolimit bringt nichts. Erstens gibt es auf vielen Straßen bereits Geschwindigkeitsbegrenzungen. Zweitens herrscht auf vielen Straßen so viel Verkehr, dass sie faktisch kaum unbegrenzt fahren. Wir brauchen daher keine ideologischen Betrachtungen, sondern intelligente Lösungen. Ansonsten geben wir Verschwörungstheoretikern die Chance, aus einer berechtigten Sorge eine übertriebene Kampagne zu machen.
Welchen finanziellen Anteil der – ja immer noch sehr reichen – Autoindustrie wünschen Sie sich an Ihrem geplanten Autopakt?
Söder: Es ist wichtig, dass sich auch die Automobilbranche beteiligt. Schließlich geht es um ihre Märkte der Zukunft. Übrigens sollen beim Autopakt auch Gewerkschaften, Betriebsräte und Wissenschaftler mit am Tisch sitzen. Wir müssen bei diesem Thema Verständnis wecken, dass es letztlich um Arbeitsplätze geht. Wir erleben in Deutschland gerade die ersten Eintrübungen am Konjunkturhimmel. Wenn wir die nicht ernst nehmen, werden wir von der Entwicklung eingeholt.
Und wie sieht es mit dem Geld aus?
Söder: Wir können uns eine Kooperation gut vorstellen. Forschung des Staates kann die Forschung der Automobilkonzerne begleiten und beides zusammen wäre dann auch eine strategische Allianz für die Menschen im Land.
Aber das Verhältnis zwischen Politik und Autoindustrie hat gelitten?
Söder: Wir sind in Bayern mit der Wirtschaft in einem konstruktiven Dialog.
Klingt so, als ob die Autobosse die Zukunftsthemen zu lange aufgeschoben haben.
Söder: Mein Eindruck ist, dass auf allen Ebenen viele die Hoffnung hatten, das Thema erledige sich mit der Zeit. Nur gegenseitige Schuldzuweisungen helfen aber auch nicht weiter.
Es gibt Studien, wonach die Digitalisierung gerade in der Automobilbranche bis zu 50 Prozent der Jobs fressen wird. Digitalisierung ist also offenbar nicht nur Segen, sondern auch Fluch?
Söder: Die Digitalisierung bringt nicht nur Vorteile. Man muss sich Gedanken machen, wie man damit umgeht. Wenn aber die angesprochenen Vernetzungen im Verkehr gelingen, entstehen auch neue Formen von Arbeitsplätzen. Außerdem gibt es keinen Anlass zu Pessimismus: Wir haben doch heute schon weitgehend voll automatisierte Fabriken und trotzdem Rekord-Beschäftigungszahlen.
Würde es helfen, wenn sich Autobauer zusammenschließen?
Söder: Das hat es alles schon gegeben. Denken Sie nur an die „Welt AG“ aus Daimler, Chrysler und Mitsubishi. Erfolge waren überschaubar.
Wie ist Ihr persönliches Verhältnis zum Auto?
Söder: Ich persönlich fahre gerne Zug, beispielsweise zwischen Nürnberg und München. Dienstlich bin ich aber auch viel im Auto unterwegs. Zu Hause in Nürnberg habe ich ein ganz kleines Auto – und fahre viel mit dem Rad.
Kommen wir mal zur CSU. Sie wollen die Partei moderner, weiblicher, progressiver machen. Wie genau?
Söder: Generalsekretär Markus Blume wird dazu eine Arbeitsgruppe mit Junger Union, Frauen-Union und Senioren-Union bilden. Zwei Dinge wollen wir erreichen: Die gesellschaftliche Realität besser abbilden und die Basis mehr einbinden und motivieren. Die Frauen-Union kann Vorschläge machen, wie die Attraktivität der CSU bei Frauen gesteigert werden kann. Die Junge Union, wie wir attraktiv für junge Menschen werden können. Die Senioren-Union, wie man aktives Wissen der älteren Generation nutzt – obwohl sie nicht mehr im Berufsleben steht. Parallel dazu geht es um die Frage, wie wir Parteitage anders gestalten können. Da denken wir etwa an digitale Abstimmungen und Onlinebefragungen. Die Partei soll nicht als monolithischer Block in Erscheinung treten, sondern als offene Plattform.
Sie sprachen auch schon von einer neuen CSU-Denkfabrik. Wer wird ihr angehören?
Söder: Auf jeden Fall Theo Waigel. Er hatte dazu auch die Idee. Zu seiner Zeit als Parteichef waren viele Denker bei der CSU – auch kritische Köpfe. Es geht hier nicht um Vereinnahmung, sondern um Bereicherung. Wir brauchen in der Partei eine Frischluftzufuhr. Wir dürfen nicht nur im eigenen Saft kochen. Wir brauchen neue Ideen. Wir müssen durchlüften und erfrischen und zu eigenem Denken animieren.
Werden auch Kirchenvertreter dabei sein, von denen einige unter anderem Ihren Kreuzerlass kritisch sahen?
Söder: Ja, Kirche, Philosophie, Kunst, Schriftsteller – sie alle sollen sich damit beschäftigen. Die Teilnehmer müssen unserer Partei nicht unbedingt nahestehen. Aber wir wollen Themen diskutieren.
Was meinen Sie?
Söder: Momentan teilt sich die politische Meinungsbildung in eine vermeintliche Star-Wars-Kategorie: Es gibt die helle und dunkle Seite der Macht. Jedes Thema wird vor allem moralisch beurteilt. Sachliche Argumente spielen kaum eine Rolle mehr. Es ist schwer geworden, mit einem sachlichen Argument durchzudringen.
Weil Moral alles überlagert?
Söder: Genau. Es gibt zu rasch ein moralisches Label: gut oder schlecht. Ein Beispiel sind Fernsehsendungen. Früher wurde eine Schalte gemacht und die Korrespondenten wurden um eine Erklärung der Sachlage gebeten. Heute wird nur nachgefragt, wie sich der Korrespondent fühlt. Es ist sicher eine zulässige Frage, aber nicht die entscheidende.
Woran liegt das Ihrer Meinung nach?
Söder: Übliche Moralvorstellungen spielen keine große Rolle mehr. Political Correctness ist für viele zu einer Art Ersatzreligion geworden. Und dann ist da die Schwarmintelligenz der digitalen Medienwelt. Sie führt zu einer moralischen Kategorisierung. Die Schwarmintelligenz entscheidet, was richtig beziehungsweise falsch ist.
Sie sind jetzt bald ein Jahr bayerischer Ministerpräsident. Im Wahlkampf haben Sie versprochen, eine Amtszeitbegrenzung auf zehn Jahre einzuführen. Was wird daraus?
Söder: Ich bin nach wie vor für eine Amtszeitbegrenzung. Aber bislang haben wir es im Bayerischen Landtag noch nicht geschafft, die Verfassung zu ändern. Wir werden das nun diskutieren. Offenbar will die Opposition, dass ich länger regiere.
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