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Interview: Manfred Weber sagt, wie die Zukunft Europas aussehen könnte

Interview

Manfred Weber sagt, wie die Zukunft Europas aussehen könnte

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    EVP-Fraktionschef Manfred Weber pocht auf ein hartes Vorgehen gegen Polen und Ungarn, um die Unabhängigkeit der Justiz zu garantieren.
    EVP-Fraktionschef Manfred Weber pocht auf ein hartes Vorgehen gegen Polen und Ungarn, um die Unabhängigkeit der Justiz zu garantieren. Foto: Philipp von Ditfurth, dpa

    Statt einem Aufbruch unter der neuen Brüsseler Kommission ist der EU-Gipfel zum Haushalt geplatzt und es sind tiefe Gräben zwischen den Mitgliedstaaten aufgebrochen. Ist das ein Betriebsunfall oder eine neue Krise?

    Manfred Weber: Es zeigt die Spannungen in Europa. Die haben das Potenzial, dass es am Ende zu einer Selbstblockade der EU kommt. Hunderttausende von Studenten, Forschern, Bürgermeistern und Landwirten warten auf Klarheit über die zukünftigen Förderprogramme. Da ist es schon ein Armutszeugnis, wenn die Staats- und Regierungschefs sich nicht einigen können. Schon heute reiben sich die USA und China die Hände, weil wir Europäer nicht in der Lage sind, die großen Zukunftsfragen ausreichend zu finanzieren. Lassen Sie mich das ganz klar sagen: Es geht beim Haushaltsrahmen 2021 bis 2027 um die Schicksalsfrage, ob Europa in den nächsten Jahren handlungsfähig bleibt oder nicht.

    Warum demokratische Grundwerte wichtig für Europa sind

    Wie stehen Sie zur Streitfrage, ob im neuen EU-Haushalt Sanktionsmöglichkeiten gegen Staaten wie Polen und Ungarn vorgesehen werden, die demokratische und rechtsstaatliche Grundwerte wie die Unabhängigkeit der Justiz verletzen?

    Weber: Rechtsstaatlichkeit und demokratische Grundwerte sind die Grundvoraussetzung für Europas Zukunft: Unsere Werte sind nicht verhandelbar. Dazu gehören eine unabhängige Presse und unabhängige Gerichte: Denn sie sorgen dafür, dass eventuelle Missbräuche oder Skandale aufgedeckt und geahndet werden. Deshalb muss jetzt ein Einstieg geschaffen werden, damit künftig die Vergabe von Fördermitteln an die Einhaltung dieser Grundwerte gekoppelt wird. Man knickt derzeit vor den Staaten ein, die Druck machen. Wir lassen da nicht locker und sollten auch neue Wege gehen – zum Beispiel könnten die Kompetenzen des europäischen Staatsanwaltes erweitert werden, um die Mittelvergabe an Regierungen mit demokratischen Defiziten zu verfolgen.

    Die EU-Kommission will nun eine neue Industriestrategie vorstellen. Was erwarten Sie sich davon?

    Weber: Die Struktur unserer Industrie ist die zentrale Frage für unseren Wohlstand – und für die Möglichkeit, andere ehrgeizige Projekte umsetzen zu können. Dazu gehören der Green Deal, der digitale Aufbruch, mit dem wir verhindern müssen, dass Europa eine digitale Kolonie Chinas oder der Vereinigten Staaten wird, und die Jobsicherheit für Arbeitnehmer in der Zukunft. Die Grundlage bleibt der gemeinsame Binnenmarkt. In den vergangenen Jahren ist aber nichts passiert, um diesen Binnenmarkt zu stärken. Natürlich sind Export und globaler Handel für unsere Industrie wichtig. Aber zuerst bleibt immer das Angebot im Inneren für unsere Konsumenten und Bürger zentral.

    Wie mit Asylbewerbern in der EU umgegangen werden sollte

    Die EU-Kommission hat in jüngster Zeit Firmenzusammenschlüsse großer Unternehmen oft verhindert, die sich davon auf dem Weltmarkt bessere Chancen versprochen haben…

    Weber: Wir denken noch immer in den Kategorien des letzten Jahrhunderts, als es nationale Volkswirtschaften gab. Diese Sichtweise passt nicht mehr. Die Fusion der Eisenbahnsparten von Siemens und Alstom zu verbieten, war ein schwerer Fehler. Europäische Champions müssen gefördert, nicht gebremst werden.

    Zu den großen ungelösten Problemen der EU gehört die Migration. Auch nach Jahren gibt es keine gemeinsame Flüchtlingspolitik. Können Sie einen Ausweg erkennen?

    Weber: Die EU muss endlich außen- und sicherheitspolitisch erwachsen werden. Ich baue stark auf die deutsche EU-Ratspräsidentschaft. Man wird den Herkunftsstaaten klarmachen müssen, dass sie abgelehnte Asylbewerber zurücknehmen müssen. Und wir werden dies mit Angeboten neuer Partnerschaften kombinieren – zum Beispiel Erasmus-Austausch von Studenten und Azubis. Zusätzlich müssen an den EU-Außengrenzen Entscheidungen, ob jemand einreisen darf oder nicht, schnell fallen. Und wenn er abgelehnt wird, muss rückgeführt werden.

    Die Frage der Verteilung von Flüchtlingen in Europa bleibt dabei aber ungeklärt…

    Weber: Wenn es gelingt, einen solidarischen Kern von Ländern zu haben, die Flüchtlinge aufnehmen, kann das ein Einstieg sein.

    Und die anderen können einfach und ungestraft weiter blockieren?

    Weber: Nein, keiner darf sich einfach aus der Verantwortung davonstehlen. Das muss das Prinzip bleiben. Wer nicht aufnehmen will, wird auf andere Weise zu helfen haben – mit zusätzlicher Entwicklungshilfe, mit mehr Personal für den Grenzschutz oder schlicht mit Geld. Jeder muss seinen Beitrag leisten.

    Ratspräsidentschaft: Deutschland muss Orientierung geben

    Welche zentralen Themen sollte Deutschland im Rahmen seiner Ratspräsidentschaft aufgreifen?

    Weber: Von Deutschland wird Orientierung erwartet, wie es weitergeht in Europa. Wir erleben derzeit global einen Wettbewerb der Systeme. In China lebt eine Million Menschen in Umerziehungslagern. Die Seidenstraße wird mit einer Billion Dollar vorangetrieben. Peking bildet in Afrika jedes Jahr tausende von Journalisten aus – natürlich, um die Weltsicht Chinas zu übernehmen. Es gibt viele andere Beispiele von Ländern wie Russland im Bereich der Rüstung oder den Protektionismus der Vereinigten Staaten. Da stehen wir vor der Frage, wie stark die Europäische Union sein muss, um selbstbewusst ihren Weg gehen zu können. Dazu ist eine neue Außenpolitik mit einer Stimme und der Aufbau eines militärischen Pfeilers der EU nötig. Deutschland wäre gewichtig genug, um das durchzusetzen.

    Ist eine Bundeskanzlerin auf Abruf noch stark genug, um einen solchen Aufbruch in Europa zu organisieren?

    Weber: Angela Merkel ist nach wie vor sehr respektiert. Der Verzicht auf eine erneute Kanzlerkandidatur gibt ihr sogar noch größere Unabhängigkeit, um für ein kraftvolles Europa einzutreten, was ja im zentralen Interesse der Bundesrepublik ist.

    Lesen Sie hierzu auch: Nato-Manöver „Defender Europe 20“: Tausende US-Soldaten in Deutschland

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