Startseite
Icon Pfeil nach unten
Politik
Icon Pfeil nach unten

Interview: Linke-Chefin Hennig-Wellsow: "Wir sind im Team Solidarität"

Interview

Linke-Chefin Hennig-Wellsow: "Wir sind im Team Solidarität"

    • |
    Janina Wissler (links) und Susanne Hennig-Wellsow sind seit Ende Februar die beiden Bundesvorsitzenden der Linken.
    Janina Wissler (links) und Susanne Hennig-Wellsow sind seit Ende Februar die beiden Bundesvorsitzenden der Linken. Foto: Bernd von Jutrczenka, dpa

    Die Bekämpfung der Corona-Pandemie ist mit Abstand die drängendste Frage für die Politiker in Deutschland. Von allen Parteien weiß man recht genau, wo sie dabei stehen, nur von der Linken nicht. Wollen Sie ihre Partei eher im Team Vorsicht einordnen oder im Team Lockerer?

    Susanne Hennig-Wellsow: Mich wundert, wie Sie zu dem Eindruck kommen. Stichwort CDU und die widerstreitenden Positionen ihrer Ministerpräsidenten und der Bundeskanzlerin. Daran ist ja bislang ein einheitliches Vorgehen in der Bekämpfung der Pandemie krachend gescheitert. Wenn Sie uns fragen, in welchem Team wir stehen, dann ist es definitiv das Team Solidarität.

    Solidarität ist ein großes Wort. Was heißt das genau?

    Hennig-Wellsow: Alle, die unter den Folgen der Pandemie leiden, müssen geschützt werden. Für Eltern müssen die Krankheitstage mit Kindern ausgebaut werden. Das Kurzarbeitergeld muss mindestens 1200 Euro betragen, damit Leute überhaupt davon leben können. In gleicher Höhe wollen wir ein Pandemieüberbrückungsgeld für die betroffenen Selbstständigen. Für die ist zwar jetzt Hartz IV geöffnet, aber das ist demütigend für Leute, die mitunter Jahrzehnte gearbeitet haben. Solidarisch heißt auch, dass die Unternehmen endlich verpflichtend Corona-Tests anbieten müssen.

    Das sollen sie nach dem Willen der Bundesregierung jetzt auch tun…

    Janine Wissler: Die Vorgaben sind aber wachsweich formuliert. Die Arbeitgeber müssen jetzt einmal pro Woche einen Test anbieten. Das ist zu wenig. Wir wissen von den Schnelltests, dass sie nur eine Momentaufnahme sind. Im Grunde müssen die Unternehmen jeden Tag solch einen Schnelltest anbieten. Und für Bürojobs fordern wir ohnehin, dass die Unternehmen Homeoffice ermöglichen müssen.

    Wir befinden uns voll in der dritten Corona-Welle und Bund und Länder kommen wieder zu spät. Sie regieren steigenden Infektionszahlen hinterher. Wie kann man sie brechen?

    Wissler: Wenn man Notbremsen erst bei Inzidenzwerten von 100 und 200 zieht, ist man schon mittendrin im exponentiellen Wachstum. Ein konsequenter und solidarischer Lockdown mit dem Herunterfahren der meisten Bereiche über zwei, drei Wochen wäre deutlich sinnvoller, als sich in diesem halbherzigen und belastenden Dauer-Lockdown noch über Wochen und Monate weiterzuschleppen. Aktuell laufen die Intensivstationen voll. Da kann man nicht die Schulen aufmachen und in Modellregionen den Einzelhandel öffnen.

    Liegt es an der Dominanz des Corona-Themas, dass die Linke bei den Wahlen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz nicht mit ihren Botschaften durchdringen konnte und nicht einmal in die Landtage gekommen ist?

    Hennig-Wellsow: Wir sind nicht zufrieden mit den Ergebnissen und wir werden uns damit nicht zufriedengeben. Zur Wahrheit gehört auch, dass die Amtsinhaber wie auch bei anderen Landtagswahlen gezogen haben und die Linke in dieser Polarisierung keine Rolle gespielt hat. Wir müssen den Aufbau unserer Partei in den westlichen Bundesländern natürlich vorantreiben.

    Führen in Zukunft gemeinsam «Die Linke»: Susanne Hennig-Wellsow (l) und Janine Wissler.
    Führen in Zukunft gemeinsam «Die Linke»: Susanne Hennig-Wellsow (l) und Janine Wissler. Foto: Frank May/dpa

    Das ist leicht gesagt, aber wie wollen Sie das schaffen? Sie versuchen es ja seit vielen Jahren und haben wenig Zeit. Wir befinden uns in einem Superwahljahr.

    Hennig-Wellsow: Wir müssen unsere Stärken stärken. Und natürlich gilt: Man ist nur attraktiv, wenn man sich nicht streitet.

    Die Linke ist im Osten verankert, im Westen nur zum Teil. Wie könnten diese Ideen aussehen, um das nach vorne aufzulösen?

    Hennig-Wellsow: Mit Blick auf die Bundestagswahl und die noch anstehenden vier Wahlen im Osten müssen wir uns auf unsere Stärken konzentrieren. Und die haben wir, überall in der Republik. Wir wollen in Thüringen beispielsweise den Ministerpräsidenten verteidigen, da stehen wir in den Umfragen bei 30 Prozent. Es ist also möglich, dass auch Linke Wahlen gewinnen können.

    Im Westen gibt es noch viele Industriearbeitsplätze. Transferleistungen sind für den gut bezahlten Facharbeiter weniger ein Thema, ihn treibt vielmehr die Sorge um, dass die Linken ihm etwas vom Verdienst wegnehmen könnten. Könnte das der Grund sein, warum sich ihre Partei im Westen so schwertut?

    Wissler: Das glaube ich nicht. Erstens können wir alle Industriebeschäftigten beruhigen. Nach unseren Steuerkonzepten würden alleinstehende Beschäftigte bis 6500 Euro Monatseinkommen entlastet, nicht stärker belastet. Bei Familien liegt der Betrag noch deutlich höher. Wir brauchen gerade im Industriebereich linke Antworten. Wir erleben gerade, dass viele Unternehmen die Corona-Krise missbrauchen, um Arbeitsplätze abzubauen und Standorte zu schließen. Nehmen wir nur Conti, wo bundesweit über 10.000 Arbeitsplätze wegfallen sollen. Wir stehen da auf der Seite der IG Metall und der Beschäftigten, die um ihre Arbeitsplätze kämpfen. Wir brauchen Konzepte für einen sozialökologischen Umbau der Industrie.

    Wie bringen Sie die Chefs der Dax-Konzerne dazu, im Sinne linker Politik zu handeln?

    Hennig-Wellsow: Es geht um Fragen der sozialen Gerechtigkeit und des sozialen Miteinanders. Wie bindet man die Mitarbeiter in die Prozesse ein, wie schützt man sie vor Kündigungen? Das ist ein großes Thema, an dem die Konzerne nicht vorbeikönnen.

    Braucht es mehr staatliche Vorgaben?

    Wissler: Ja. Man hätte zum Beispiel die Milliardenhilfen für die Lufthansa an Bedingungen knüpfen können. Eine davon hätte eine Beschäftigungsgarantie sein müssen. Staatliche Gelder gegen staatliche Einflussnahme – das ist doch angemessen.

    Ihre frühere Fraktionschefin Sahra Wagenknecht hat ein neues Buch geschrieben. Haben Sie es mittlerweile lesen können und was halten Sie davon? Frau Wagenknecht spricht unter anderem von der Lifestyle-Linke, die nur noch Politik für Großstädter macht.

    Wissler: Mir sind Auszüge aus dem Buch natürlich nicht verborgen geblieben. Nur sehe ich solche Widersprüche, wie sie Sahra Wagenknecht formuliert, überhaupt nicht. Die Spaltung verläuft doch nicht zwischen Stadt und Land, zwischen unterschiedlichen Lebensstilen, zwischen Latte Macchiato und Pils in der Eckkneipe. Die Spaltung verläuft zwischen oben und unten. Wir stehen an der Seite all jener, die sich wehren gegen soziale Ungerechtigkeit, Rassismus und Klimawandel.

    Sieht sich als „linkskonservativ“ und will den Zusammenhalt gegen die Verheerungen des gesellschaftlichen Kapitalismus fördern: Sahra Wagenknecht, 51.
    Sieht sich als „linkskonservativ“ und will den Zusammenhalt gegen die Verheerungen des gesellschaftlichen Kapitalismus fördern: Sahra Wagenknecht, 51. Foto: Kusch, dpa

    Frau Wagenknecht hat offenbar Sorge, dass man die eine Seite verliert, wenn man der anderen ein Angebot macht. Damit hat sie recht?

    Hennig-Wellsow: Linke Politik ist, jedem Einzelnen die Freiheit zu ermöglichen, das Leben zu leben, das er oder sie möchte. Uns geht es deshalb darum, eine soziale Absicherung zu schaffen, eine solidarische Gesellschaft aufzubauen und den Klimaschutz ernst zu nehmen. Man darf nicht zu schematisch denken. Ein Arbeiter auf dem Land kann auch schwul sein und Migrationshintergrund haben. Wir stellen die soziale Frage ins Zentrum, machen aber gleichzeitig deutlich: Wir sind für alle da, Grundrechte sind für uns unteilbar.

    Frau Wagenknecht spricht ein Thema an, das in der Linkspartei immer wieder für Kontroversen sorgt – die Migration. Sie sieht einen Zusammenhang von hoher Zuwanderung und niedrigen Löhnen. Im Wahlprogramm will die Linke das Asylrecht auch auf Armuts- oder Klimaflüchtlinge ausweiten. Trifft Wagenknecht einen wunden Punkt?

    Wissler: Lohndumping wird nicht durch Arbeitsmigration erzeugt, sondern durch die Deregulierung des Arbeitsmarktes und den Druck auf Erwerbslose durch Hartz IV. Wir wollen den Mindestlohn erhöhen, Leiharbeit verbieten und die soziale Absicherung verbessern. Dann kann weder der Erwerbslose mit deutschem Pass noch der Beschäftigte aus Osteuropa als Lohndrücker eingesetzt werden, weil soziale Mindeststandards für alle gelten. Auch die Wohnungsnot hat andere Ursachen. Die Zahl der Sozialwohnungen hat sich seit den 1990er Jahren halbiert, die Mieten in den Städten explodieren, auch weil große Immobilienkonzerne Wohnungen aufkaufen und die Preise in die Höhe treiben.

    Die Linke will die Nato auflösen und eine Sicherheitsarchitektur unter Einbeziehung Russlands. Nun marschieren russische Truppen an der Grenze zur Ukraine auf, Oppositionelle wie Alexej Nawalny werden in Russland unterdrückt, doch von der Linken ist auffällig wenig Kritik zu hören. Warum?

    Wissler: Wir beobachten die Entwicklungen in der Ostukraine mit Sorge, sowohl die Truppenbewegungen auf russischer Seite als auch die Planung der Ukraine, gemeinsam mit der Nato eine Militärübung durchzuführen. Dieses ganze Säbelrasseln löst doch keine Konflikte. Deshalb lehnen wir es ab, dass deutsche Panzer in Litauen an der russischen Grenze stehen. Das heißt aber nicht, dass wir Russlands Umgang mit der Opposition oder seine militärische Aufrüstung verteidigen oder gutheißen. Nein. Überhaupt nicht. Wir brauchen weltweit Abrüstung.

    Alexej Nawalny während einer Anhörung im Bezirksgericht Babuskinsky Anfang Februar.
    Alexej Nawalny während einer Anhörung im Bezirksgericht Babuskinsky Anfang Februar. Foto: Uncredited/Babuskinsky District Court/AP, dpa

    Glauben Sie, dass irgendwelche Diktatoren sich von einseitiger Abrüstung Deutschlands beeindrucken lassen?

    Wissler: Kriegsdrohungen sind doch Irrsinn. Natürlich gäbe es andere Möglichkeiten. Die Bundesregierung liefert Waffen in alle Welt und misst mit zweierlei Maß. Sie kritisiert die Missstände in Russland, zu schweren Menschenrechtsverletzungen im Nato-Partnerland Türkei schweigt sie aber. Wenn die einen Islamisten, etwa in Afghanistan, militärisch bekämpft werden und die anderen in Saudi-Arabien, die Frauen steinigen, bis vor kurzem mit deutschen Waffen beliefert werden, dann hat das nichts mit Werten zu tun, sondern mit Geopolitik.

    Gegen eine mögliche Beteiligung der Linkspartei an einer Bundesregierung wird immer wieder diese Ablehnung grundlegender Pfeiler deutscher Außen- und Sicherheitspolitik wie der Nato-Mitgliedschaft und der Teilnahme der Bundeswehr an internationalen Missionen ins Feld geführt. Wie würden Sie das Land denn vor Aggressoren schützen?

    Hennig-Wellsow: Jedenfalls nicht durch militärische Drohgebärden, Hochrüstung oder indem Deutschland Waffen in alle Welt liefert. Angesichts der deutschen Geschichte bin ich fest davon überzeugt, dass kein deutscher Soldat mit der Waffe in der Hand irgendwo im Ausland etwas zu suchen hat. Wir brauchen diplomatische Lösungen und Gespräche. Auch Sanktionen gegen die russische Bevölkerung bringen nichts. Sanktionen müssten die Oligarchen treffen, die das Land steuern, da wäre ich dafür. Und was die Regierungsfähigkeit betrifft, da weisen CDU, CSU und SPD in der Corona-Krise seit Monaten nach, dass sie das nicht sind. Die Linke weist dagegen in drei Bundesländern seit Jahren nach, dass sie gut regieren kann. Bevor Sie jetzt gleich mit dem Karlsruher Beschluss zum Berliner Mietendeckel kommen…

    Genau das hatten wir gerade vor…

    Hennig-Wellsow: Das war eine juristische Klarstellung. Bezahlbare Mieten sind Voraussetzung für Geborgenheit, es geht um Grundbedürfnisse der Menschen. Rot-Rot-Grün hat versucht, das gesetzlich im Sinne der Mieterinnen und Mieter durchzusetzen. Es ist ganz einfach: Menschen vor Rendite. Okay, wir wissen jetzt, dass eine Regelung für eine soziale Wohnungspolitik vom Bund kommen muss. Das wird eine der zentralen Fragen im Bundestagswahlkampf und wir werden ein Konzept vorlegen, wie wir nicht nur Mieterinnen und Mieter, sondern auch Gewerbetreibende und Kultureinrichtungen vor Wuchermieten wirksam schützen können.

    Lesen Sie dazu auch:

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden