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Interview: Jens Spahn: "Im Frühjahr haben wir die Pandemie überwunden"

Interview

Jens Spahn: "Im Frühjahr haben wir die Pandemie überwunden"

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    "Es gibt Spannungen - trotzdem hat die große Mehrheit der Bevölkerung zusammengehalten": Gesundheitsminister Jens Spahn.
    "Es gibt Spannungen - trotzdem hat die große Mehrheit der Bevölkerung zusammengehalten": Gesundheitsminister Jens Spahn. Foto: Ulrich Wagner

    Herr Spahn, auch im zweiten Jahr der Pandemie werden Sie bei vielen Terminen angefeindet und beschimpft. Ist Gesundheitsminister der gefährlichste Job im Kabinett?

    Jens Spahn: In einem freien Land darf sich jeder auf die Straße stellen und brüllen oder pfeifen. Ich verteidige dieses Recht ausdrücklich. Und ich habe mir vorgenommen, immer wieder zu versuchen, mit diesen Menschen ins Gespräch zu kommen und zu verstehen, was sie so wütend macht, woher dieser Hass kommt. Aber wenn da nur geschrien wird: Volksverräter, Mörder, hau ab, ist kein Gespräch möglich. Man darf trotzdem nie vergessen: Diese Lauten sind nicht die Mehrheit.

    Egal, wo Sie hinkommen, checkt vorher das Bundeskriminalamt die Lage. Auch vor unserem Interview wurden die Räume überprüft, was macht das mit Ihnen?

    Spahn: Ich lasse das nicht so sehr an mich herankommen. Wenn man anfängt, darüber nachzudenken, geht man irgendwann nicht mehr nach draußen. Ich weiß sehr zu schätzen, dass Polizistinnen und Polizisten da sind, die aufpassen. Aber klar gibt es Momente, in denen ich lieber zu Hause bei meiner Familie wäre. Mich beschäftigt, was da in unserer Gesellschaft passiert. Neulich in Nagold begegnete mir ein Mann, so um die 60 Jahre alt, der ganz freundlich aussah, bis er mich entdeckte. Und dann konnte ich beobachten, wie sein Gesicht richtig zu beben begann, wie Wut und Hass in ihm hochstiegen. Und natürlich frage ich mich in solchen Momenten, wo das herkommt. War es ein Erlebnis in der Familie, Angst um die Existenz, Sorge um die Kinder, Verschwörungstheorien? Ich versuche jedenfalls, auch diese Menschen zu verstehen. Das ist Ausgangspunkt von Politik.

    Würden Sie trotzdem gerne Gesundheitsminister bleiben, wenn es das Wahlergebnis hergibt?

    Spahn: Ja, denn ich will gestalten und dafür braucht man ein Amt.

    Sie haben vor über einem Jahr gesagt, dass Corona unsere Gesellschaft noch mehr spalten könnte als zum Beispiel die Flüchtlingskrise. Ist diese Befürchtung wahr geworden?

    Spahn: Es gibt Spannungen, in der Politik, am Arbeitsplatz, sogar in Familien - trotzdem hat die große Mehrheit der Bevölkerung zusammengehalten. Im Unterschied zur Flüchtlingskrise oder zur Finanzkrise hat Corona den Alltag jedes einzelnen grundlegend verändert. Die massiven Einschränkungen, mit denen wir leben mussten, hinterlassen Spuren. Und doch haben wir das gemeinsam gut hingekriegt und gut aufeinander aufgepasst.

    Spahn: "Keiner lebt für sich allein, jeder trägt auch Verantwortung für andere"

    Mit der 3G-Regel bleibt vor allem das Leben von Ungeimpften kompliziert…

    Spahn: Das lässt sich nicht vermeiden. Keiner lebt für sich allein, jeder trägt auch Verantwortung für andere. Menschen wollen Menschen begegnen, aber niemand will, dass aus dieser Begegnung ein Risiko wird. Roman Herzog sagte einmal: Frei können wir nur gemeinsam sein. Das gilt auch in der Pandemie. Aber wir haben schon viel geschafft. Das sollten wir miteinander wahrnehmen. Wir sind vergleichsweise gut durch die Krise gekommen. Und wir impfen uns gerade raus aus der Pandemie. War deshalb jede einzelne Entscheidung richtig? Nein. War das Krisenmanagement insgesamt erfolgreich? Ja.

    Haben wir überhaupt noch eine Chance, die Herdenimmunität zu erreichen?

    Spahn: Herdenimmunität wird immer erreicht. Die Frage ist ja nur wie: ob durch Impfung oder Ansteckung? Die Impfung ist definitiv der sicherere Weg dorthin. Und wenn ich auf die Krankenhäuser schaue, dann muss ich sagen: Es ist ein Weg, der nicht nur für einen selbst, sondern für viele andere auch, etwa für die Pflegekräfte, eine geringere Belastung bedeutet. Und je höher die Impfquote und je niedriger die Infektionsquoten sind, desto besser können wir auch die Kinder schützen, die sich noch nicht impfen lassen können.

    Aktuell steigen die Ansteckungszahlen nicht so stark wie befürchtet, woran liegt das?

    Spahn: Mit dem Ende der Ferien tragen nicht mehr so viele Reiserückkehrer das Virus zurück nach Deutschland. Durch konsequentes Testen in den Schulen wurden viele Infektionen erkannt und die Ansteckungsketten dann unterbrochen. Außerdem haben wir Ende August die 3G-Regel eingeführt. Wenn an bestimmten Orten nur noch Geimpfte, Genesene und Getestete zusammenkommen, hat das eben auch eine Wirkung. Nur: Auch letztes Jahr hatten wir um diese Jahreszeit eine solche Verschnaufpause. Wir sind also noch nicht durch. Im Herbst und Winter, wenn wir alle wieder viel mehr in Innenräumen sind und das Immunsystem weniger stark ist, steigt auch das Risiko, sich anzustecken. Vieles liegt an uns. Es gibt einige, die fordern, alle Maßnahmen abzuschaffen. Die Wahrheit ist: Wenn wir gar keine Schutzmaßnahmen mehr hätten, würden unsere Intensivstationen durch die noch zu große Zahl Ungeimpfter überlastet.

    Gesundheitsminister Spahn: "Immunität erreichen wir so oder so"

    Mancher fordert, schon jetzt alle Maßnahmen aufzuheben, wie es die Briten oder Dänen gemacht haben. Wann kommt unser „Freedom Day“?

    Spahn: Dafür ist die Impfquote noch nicht hoch genug. Aber wenn ich so im Land unterwegs bin, habe ich schon das Gefühl, dass ziemlich viel „Freedom“ schon wieder möglich ist. Wir sollten nicht vergessen, dass uns der Impfstoff – auch noch Made in Germany – wieder viel von unserem normalen Leben zurückgegeben hat. Das ist ein großes Glück.

    Wann sind wir denn durch?

    Spahn: Wenn keine neue Virusvariante auftaucht, gegen die eine Impfung nicht schützt, was sehr unwahrscheinlich ist, dann haben wir die Pandemie im Frühjahr überwunden und können zur Normalität zurückkehren. Wie gesagt: Immunität erreichen wir so oder so. Wer sich nicht impfen lässt, der wird mit einer hohen Wahrscheinlichkeit erkranken.

    Viele Menschen werden die Folgen noch lange spüren. Droht „Long Covid“ eine Art Volkskrankheit zu werden, wie manche befürchten?

    Spahn: Wir wissen noch nicht viel über Long Covid. Es gibt kein einheitliches Krankheitsbild und keine eindeutige Diagnose. Manche Patienten klagen über Müdigkeit, andere haben Atemprobleme. Bislang sind die Betroffenen eher unter 60 Jahre. Wir müssen uns stärker mit dem Thema befassen und zum Beispiel vermehrt dazu forschen. Die Fachgesellschaften entwickeln die Leitlinien fort, damit Ärzte wissen, wie man damit umgeht. Und wir wollen den Patientinnen und Patienten Informationen an die Hand geben. Oft haben Erkrankte keine Ahnung, an wen sie sich wenden sollen. Viele finden keinen Arzt, der sie behandelt, oder fühlen sich nicht ernst genommen. Um diese Patienten wollen wir uns viel mehr kümmern.“

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