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Interview: Grünen-Chef Habeck: "CSU hat vergessen, was Demokratie bedeutet"

Interview

Grünen-Chef Habeck: "CSU hat vergessen, was Demokratie bedeutet"

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    Beim „Augsburger Allgemeine Forum Live“ stellte sich Grünen-Chef Robert Habeck (Mitte) den Fragen von Chefredakteur Gregor Peter Schmitz und Politikredakteurin Margit Hufnagel.
    Beim „Augsburger Allgemeine Forum Live“ stellte sich Grünen-Chef Robert Habeck (Mitte) den Fragen von Chefredakteur Gregor Peter Schmitz und Politikredakteurin Margit Hufnagel. Foto: Ulrich Wagner

    Herr Habeck, Ihre Partei erlebt zumindest in Umfragen einen Höhenflug. Werden die Grünen nach der Landtagswahl in Bayern mitregieren?

    Robert Habeck: Natürlich ist es unser Anspruch, einen Neuanfang mitzugestalten. Ob das klappt, hängt aber stark davon ab, wie sich andere verhalten. Wenn die CSU an einer Orbán-lastigen, antieuropäischen Politik festhält, wenn sie weiter Grenzen hochziehen will, wären Gespräche über eine etwaige Koalition schnell erledigt. Was dann aus Bayern werden soll, weiß ich auch nicht. Aber sicherlich wird es dann nichts mit den Grünen und der CSU.

    Haben Sie denn schon mal mit Markus Söder gesprochen?

    Habeck: Ich bin ihm mal bei Anne Will begegnet. Das war nicht so super miteinander.

    Abgesehen vom politischen Stil – Sie haben ja auch inhaltlich ganz andere politische Vorstellungen als Söder. Wo müsste sich die CSU konkret bewegen, damit es was mit Schwarz-Grün wird?

    Habeck: Überall. Die CSU hat das Land mit einer kurzen Ausnahme über Jahrzehnte allein regiert. Wir waren immer in der Opposition. Da entsteht logischerweise eine alternative Gegnerschaft in fast allen Punkten. Ich bin jetzt seit zehn Tagen in Bayern unterwegs – also quasi ein Wahl-Bayer. Da habe ich die Erfahrung gemacht, dass die Leute über viele ganz konkrete Probleme sprechen wollen – über Wohnungsnot, Flächenfraß oder wie ihre Eltern im Alter gepflegt werden. Dass sie die Themen, die Tagesschau und Talkshows dominieren, nämlich Abschiebung oder Grenzkontrollen, aber gar nicht so sehr beschäftigen.

    Für die CSU scheinen diese Themen aber geradezu existenziell zu sein.

    Habeck: Die CSU hat die Migration in den Mittelpunkt ihres Wahlkampfes gestellt und ihr Parteichef hat es als Mutter aller Probleme definiert. Zumindest in den Umfragen hat sie damit 15 Prozentpunkte verloren. Wenn das keine Antwort darauf ist, worüber die Menschen gerne reden wollen, dann weiß ich nicht, welche Antwort man noch haben will.

    Sie haben in den Jamaika-Sondierungen schon mit der CSU verhandelt. Wie haben Sie das erlebt?

    Habeck: Nach der Bundestagswahl herrschte zwischen allen Beteiligten ziemlich lange eine Katerstimmung. Erst allmählich folgte ein vorsichtiges Herantasten, ob man nicht vielleicht doch zusammen mal einen Kaffee trinken sollte – oder sich zumindest mal Guten Morgen sagen, wenn man sich sieht. Aber die CSU hat sich dann für eine Wortwahl entschieden, die einer großen Volkspartei nicht würdig ist. Die CSU hat die politische Mitte für rechtspopulistische Parolen geöffnet.

    Aber Parteichef Horst Seehofer hat doch immer gesagt, an den Grünen wäre Jamaika nicht gescheitert. Ist das nicht richtig?

    Habeck: Schön, dass Herr Seehofer die Grünen sympathisch fand. Ich habe das anders in Erinnerung. Die haben damals ihren internen Machtkampf zwischen Herrn Söder und Herrn Seehofer in den Sondierungen ausgetragen. Es war ihnen wichtiger, dem anderen noch irgendwie einen mitzugeben, als Erfolge in den Verhandlungen zu erzielen. Insofern kann ich Herrn Seehofer das Kompliment leider nicht zurückgeben.

    Die CSU scheint angesichts des drohenden Wahldebakels in Panik zu geraten. Wie erklären Sie sich das?

    Habeck: Wenn eine Partei zu lange alleine regiert, ist das schlecht für ihre Grundeinstellung. Die Demokratie hat ja eigentlich nicht vorgesehen, dass Wahlen nichts ändern. Wenn die Wahlniederlage keine schmerzhafte Selbstverständlichkeit ist, sondern eine Katastrophe, ein GAU, dann kommt man auf komische Ideen. Dann wird aus dem Mitbewerber plötzlich ein Feind, der mit allen Mitteln bekämpft werden muss. Und dann kommt es zu einer sprachlichen Verrohung, wie wir sie in den letzten Monaten erlebt haben. Die CSU hat möglicherweise vergessen, was Demokratie bedeutet. Also muss sie es wieder lernen. Und ich glaube, das wird am 14. Oktober passieren.

    Bayern boomt und dennoch scheint den Menschen irgendwie bange zu sein. Woran liegt das?

    Habeck: Ich habe eher eine Verunsicherung erlebt. Eine Suche. Und eine Entschlossenheit, Dinge nicht mehr einfach laufen zu lassen. In Bayern ist die Demokratie gerade dabei, ihre eigene Sprache wieder zu finden. Viele Leute wollen sich nicht mehr treiben lassen von Gebrülle, von Angstmacherei, von Hass und Ausgrenzung. Irgendwann wurde uns Menschen offenbar mal beigebracht, dass wir auf Angst stärker reagieren als auf alles andere. Das war vor 40000 Jahren sicher auch sinnvoll, sonst hätten uns vielleicht Säbelzahntiger oder so gefressen. Aber wir sind heute eben nicht mehr in einem Zustand der Verwilderung. Es ist ein Wert, nicht dem niedersten Instinkt zu folgen. Von der bayerischen Landtagswahl könnte erstmals seit drei Jahren das Signal ausgehen, dass eine Mehrheit nicht einer Politik der Angst folgt, sondern einer Politik der Zivilcourage.

    In der aktuellen Folge unseres Podcasts "Bayern-Versteher" widmen wir uns der Landtagswahl am Sonntag. Hier können Sie reinhören:

    Warum wurden immer mehr Menschen zugänglich für die vermeintlich einfachen Antworten von Populisten?

    Habeck: Die Verunsicherung reicht weit hinein in den Mittelstand bis zu Spitzenverdienern, die Angst haben, etwas zu verlieren. Die Welt verändert sich rasant, aber die Politik hat verlernt, sich etwas zuzutrauen und die Fäden in die Hand zu nehmen. Viele Menschen haben aber große Zweifel, dass eine Politik, die sagt, „Wir regeln die Dinge nicht für euch“, die richtige Antwort ist.

    Warum profitieren von diesem Gefühl gerade die Grünen so stark?

    Habeck: Ich glaube, dass wir ein paar Dinge anders gemacht haben als andere. Eine Studie hat gerade gezeigt, dass sich alle Parteien in den letzten Jahren hin zum Populismus entwickelt haben. Nur die Grünen nicht. Dass wir damit Erfolg haben, ist in einer Zeit, in der es immer mehr um Zuspitzung geht, schon erstaunlich. Wenn ich Ihnen heute ein Interview gebe, dann bekomme ich am meisten Aufmerksamkeit, wenn ich sage, dass Herr Seehofer zurücktreten muss, oder dass Frau Merkel zurücktreten muss, oder dass jedenfalls irgendwer zurücktreten muss. Insofern ist es, taktisch betrachtet, Quatsch, nicht populistisch zu sprechen. Aber jetzt sehen wir zum ersten Mal, dass es auch anders gehen kann. Offensichtlich fühlen sich Menschen angesprochen, wenn man ihnen zuhört, sie ernst nimmt, mal nachdenkt, auch mal Zweifel zulässt. Und wenn eine relevante Zahl von Menschen jetzt sagt: Schau mal, das ist ja eine ganz andere Qualität der Debatte, das finden wir viel interessanter, dann ist extrem viel gewonnen. Ich bilde mir ein, dass genau das gerade in Bayern passiert.

    Abgesehen davon steht Bayern doch sehr gut da. Warum hat die CSU so wenig davon?

    Habeck: Für vergangene konkrete Taten wird man in der Regel nicht gewählt. Das kann man unfair finden, aber so ist es. Man wird allerdings schon gewählt oder eben nicht gewählt für die Art, wie man mit Problemen umgegangen ist. Die Wählerinnern und Wähler fragen sich sehr wohl, ob es einem Politiker gelungen ist, Vertrauen aufzubauen.

    Robert Habeck mit Gregor Peter Schmitz und Margit Hufnagel.
    Robert Habeck mit Gregor Peter Schmitz und Margit Hufnagel. Foto: Ulrich Wagner

    Müssen die Grünen pragmatischer werden, um mit der Union zu regieren?

    Habeck: Wenn Sie pragmatisch werden und dafür Ihre Ideale verraten müssen, dann wird das nichts. In meiner Partei herrschte früher mal die Vorstellung von den Fundis mit ihren utopischen Vorstellungen auf der einen Seite und den Realos, die immer unter dem Verdacht stehen, die Partei mit ihrem pragmatischen Kurs zu verkaufen, auf der anderen Seite. Dieser Denkansatz ist aber überwunden. Das sind keine Gegensätze. Wir müssen unsere Ziele klar oder sogar radikal beschreiben – und dann lässt sich ja darüber verhandeln, auf welchem Weg wir dahin kommen.

    Aber Sie stimmen schon zu, dass sich Ihre Partei verändert hat?

    Habeck: Selbstverständlich. Ich hoffe, dass sich jede Partei verändert. Veränderung ist das Wesen der Demokratie und es ist doch sehr hilfreich, wenn immer wieder neue Ideen dazukommen. Wir waren mal eine Protestpartei und heute sind wir die Verteidiger von Rechtsstaatlichkeit und liberaler Demokratie. Dafür sind wir überhaupt nicht gegründet worden, aber irgendjemand muss es ja machen.

    Diese neue Rolle ist ja durchaus umstritten bei den Grünen. Wie lange kann das gut gehen?

    Habeck: Jede Veränderung bedeutet, dass Leute Fragen stellen. Aber das Grandiose an der Demokratie ist doch, dass man sich entscheiden kann, was man richtig findet, und dann stimmen andere – entweder die Wähler oder die Parteimitglieder – darüber ab, ob sie das auch gut finden oder nicht.

    Sind die Grünen auf dem Weg, eine Volkspartei zu werden, und wollen Sie das überhaupt?

    Habeck: Wir haben als kleine Partei in den vergangenen Jahrzehnten viel bewegt. Dass daraus eine Verantwortung erwächst, die größer ist, als eine Nischenpartei mit sieben oder neun Prozent zu bleiben, das spüren wir schon. Wir leben in ungewöhnlichen Zeiten. Den Luxus, eine kleine Partei für ein kleines Milieu zu sein, können sich die Grünen nicht mehr leisten.

    Also ja: Die Grünen verstehen sich als Volkspartei?

    Habeck: Ich halte den Begriff Volkspartei für einen Teil des Problems. Denn der beschreibt ja, dass Menschen verschiedenster Herkunft ihre Unterschiede so weit abschleifen, bis sie alle gleich sind. Und ich glaube, das funktioniert nicht mehr. Unser Leben ist heute so individualisiert. In solch einer Gesellschaft geht es darum, die jeweiligen Unterschiede anzuerkennen und sich trotzdem auf gemeinsame Ziele zu verständigen. Das verlangt ein neues Verständnis von Bündnisfähigkeit.

    Das scheint der Kanzlerin nicht mehr so zu gelingen. Viele sprechen schon von Merkel-Dämmerung…

    Habeck: Das Wort habe ich zum ersten Mal 2013 oder so gehört. Das ist also schon eine Weile her. Der Wechsel gehört zur Demokratie, das gilt auch für Bundeskanzlerinnen. Aber ich würde gerne von all denen, die immer sagen, Frau Merkel müsse weg, wissen, was denn danach kommen soll. Ich bin inhaltlich in vielen Punkten mit Frau Merkel überhaupt nicht einig, aber ich habe wirklich Achtung davor, wenn jemand ein so großes Land durch Krisensituationen führt. Und ich bestehe darauf, dass diejenigen, die etwas zerstören wollen, auch konstruktiv erklären, was sie stattdessen wollen. Sonst ist das nur destruktiv.

    Glauben Sie, dass die Große Koalition sich bis zum Ende hält?

    Habeck: Ja. Ich hoffe, dass sie endlich mal anfängt, richtig zu arbeiten. Ich befürchte aber eher, dass das Gewürge weitergeht. Das wird keinen Spaß machen, da zuzuschauen. Aber ich sehe niemanden in der Union oder in der SPD, der sagt: Wir müssen das jetzt beenden und etwas Neues machen.

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