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Interview: David Sassoli: "Covid hat die Wirtschaft bis ins Mark erschüttert"

Interview

David Sassoli: "Covid hat die Wirtschaft bis ins Mark erschüttert"

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    Die Corona-Krise hat die Wirtschaft schwer getroffen.
    Die Corona-Krise hat die Wirtschaft schwer getroffen. Foto: Julian Stratenschulte, dpa

    Herr Präsident, Sie kommen aus Italien, also dem EU-Mitgliedsland, in dem es am Anfang der Pandemie große Zweifel an der europäischen Solidarität gab. Hat die EU inzwischen ihren Zusammenhalt im Kampf gegen das Virus wiedergefunden?

    David Sassoli: Ja, das hat sie. Erste Reflexe einiger Regierungen, Grenzen dichtzumachen oder bei der Impfstoffbeschaffung allein vorzupreschen, haben sich als Mittel gegen ein globales Virus als wenig zielführend erwiesen. Es ist allen schnell klar geworden, dass wir diesen Kampf nur gemeinsam gewinnen können, und es gab auch unheimlich viele Beispiele von Solidarität zwischen Mitgliedstaaten, etwa wenn es um die Versorgung schwerkranker Patienten geht. Vor allem aber ist es uns gelungen, innerhalb kürzester Zeit den europäischen Aufbaufonds auf den Weg zu bringen, der die Wirtschaft nach Covid-19 wieder ankurbeln soll und der dafür 750 Milliarden Euro an Hilfsmitteln bereitstellt, erstmalig aufgenommen über Euro-Bonds. Das ist zweifelsfrei ein Akt europäischer Solidarität, den man als historisch bezeichnen kann.

    Das Bundesverfassungsgericht hat gerade den Weg für den Wiederaufbaufonds in Deutschland freigemacht. Wie geht es nun weiter?

    Sassoli: Zunächst einmal freue ich mich über die Entwicklung in Deutschland. Nach dem klaren Ja im Bundestag wurde mit der Entscheidung des Gerichts auch die letzte Hürde für die Ratifizierung genommen. Ich hoffe, dass die Mitgliedstaaten, wo die Ratifizierung noch aussteht, nun schnell nachziehen. Der Zeitfaktor ist in diesem Fall entscheidend: Je früher die Mittel fließen, desto eher kommen unsere Volkswirtschaften wieder auf die Beine, desto eher profitieren die Bürgerinnen und Bürger. Darüber hinaus geht es jetzt darum, dass die Mitgliedstaaten ihre Pläne übermitteln, in denen sie skizzieren, wie sie die Mittel konkret einsetzen wollen. Ich kann nur an alle appellieren, dies als Chance zu begreifen, um die Weichen neu zu justieren und Wirtschaft und Gesellschaft Post-Covid-19 gerechter und nachhaltiger zu gestalten.

    David Sassoli, 64, gehört der italienischen Partei Partito Democratico (PD) an.
    David Sassoli, 64, gehört der italienischen Partei Partito Democratico (PD) an. Foto: picture alliance, dpa

    Reicht dieser Aufbaufonds? Oder brauchen wir weitere Instrumente wie beispielsweise eine dauerhafte Möglichkeit, wieder mehr über Schulden finanzieren zu können?

    Sassoli: Wir müssen die wirtschaftliche Entwicklung in Europa über die kommenden Monate genau im Blick behalten und bereit sein, bei Bedarf neue Initiativen anzuschieben, wie es beispielsweise Frankreichs Präsident Emmanuel Macron oder Isabel Schnabel, Mitglied des Direktoriums der Europäischen Zentralbank, vor kurzem schon ins Spiel gebracht haben. Der Internationale Währungsfonds hat zudem gerade betont, dass die Länder der Eurozone in diesen Zeiten nicht davor zurückschrecken sollten, ihre Staatsausgaben zu erhöhen, um die negativen Folgen der Krise abzufedern. Deutschland und die Niederlande machen es vor. Aber wir müssen dafür sorgen, dass sich alle Mitgliedstaaten erholen und die Unterschiede innerhalb Europas nicht zu groß werden, das ist nicht zuletzt im Interesse starker Exportnationen wie Deutschland. Insofern sollten wir bereit sein, falls nötig, eine sachliche Debatte über weitere mögliche europäische Hilfen zu führen.

    Glauben Sie noch daran, dass die EU ihr Ziel erreicht, bis zum Sommer 70 Prozent aller Erwachsenen geimpft zu haben?

    Sassoli: Trotz Lieferengpässen bei einigen Herstellern hat die Impfkampagne in Europa in den vergangenen Wochen an Fahrt aufgenommen, und vor kurzem haben wir die Marke von 100 Millionen verimpften Dosen geknackt. Wenn es in diesem Tempo weitergeht, denke ich, dass wir unser Ziel bis zum Ende des Sommers erreichen können. Dass Pfizer/Biontech im zweiten Quartal 50 Millionen Dosen liefert, die eigentlich erst für das vierte Quartal angekündigt waren, macht zusätzlich Mut. Gleichzeitig laufen die Verhandlungen über weitere 1,8 Milliarden Dosen des Pfizer/Biontech-Impfstoffs der zweiten Generation, die bis 2023 geliefert und eingesetzt werden sollen, falls Auffrischungen nötig sind oder neue Varianten auftauchen.

    Die EU bereitet einen Impfpass vor, mit dem Geimpfte dann wieder alle Freiheiten haben. Haben wir bald unsere Freiheiten wieder?

    Sassoli: Das hoffen wir, aber lassen Sie uns Missverständnissen vorbeugen: Der Digitale Grüne Nachweis, wie das Dokument offiziell heißt, ist kein Reisepass, also keine zwingende Voraussetzung fürs Reisen. Angesichts der Vielzahl nationaler Regelungen, die derzeit gelten, ist es jedoch sinnvoll, ein europaweit einheitliches Instrument zu entwickeln, das auf unkomplizierte Art wieder mehr Bewegungsfreiheit ermöglicht. Wir setzen uns dafür ein, dass dieses Instrument niemanden benachteiligt. So soll das Zertifikat eben nicht nur dazu dienen, Impfungen nachzuweisen, sondern beispielsweise auch ein negatives Testergebnis. Das würde Mobilität deutlich vereinfachen und wäre ein wichtiger Schritt zurück zur Normalität.

    Das Europäische Parlament hat lange gebraucht, um den Handelsvertrag mit Großbritannien zu ratifizieren. Sind die Zweifel an dem Abkommen so groß?

    Sassoli: Das Handels- und Kooperationsabkommen mit dem Vereinigten Königreich ist eines der weitreichendsten und komplexesten Abkommen, das die EU je abgeschlossen hat. Für das Europäische Parlament war es daher wichtig, die nötige Zeit zu haben, um den Text vor der Abstimmung gründlich zu prüfen. Er wurde nun in der Plenarsitzung des Parlaments angenommen. Das Parlament war während des gesamten Verhandlungszeitraums beteiligt, sodass viele unserer Prioritäten in der finalen Vereinbarung enthalten sind. Dazu gehören ein starker Schutz von Sozial- und Umweltstandards, null Zölle und Quoten für den Handel mit Waren sowie ein starkes Fischereiabkommen. Nun werden wir sicherstellen, dass das Abkommen ordnungsgemäß durchgesetzt wird und es keinen Rückzieher der britischen Regierung bei den eingegangenen Verpflichtungen gibt.

    Welche Lehren sollte die EU aus dem bisherigen Ablauf der Pandemie ziehen?

    Sassoli: Covid-19 hat das Leben der Menschen, die Arbeitswelt und die Wirtschaft bis ins Mark erschüttert. Es wäre naiv zu denken, wir könnten danach einfach wieder dort anknüpfen, wo wir vor der Pandemie standen. Und es wäre eine vertane Chance, wenn wir keine Lehren aus dieser Krise zögen. Die Pandemie hat zum Beispiel überdeutlich gemacht, dass wir auf europäischer Ebene mehr Handlungsbefugnisse in Sachen Gesundheit brauchen, das müssen wir jetzt angehen. Die Monate im Lockdown und Homeoffice haben uns vor Augen geführt, wie wichtig es ist, die Digitalisierung voranzutreiben und dabei alle mitzunehmen. Deshalb setzen wir uns dafür ein, digitale Kompetenzen zu fördern und den Internetzugang als Menschenrecht zu verankern. Nicht zuletzt hat diese Krise bewiesen, dass wir mehr Solidarität, mehr Europa brauchen, denn die meisten Schwierigkeiten waren letztlich auf Alleingänge zurückzuführen, die bei grenzüberschreitenden Problemen zum Scheitern verurteilt sind. Das gilt für die Bekämpfung eines Virus genauso wie im Kampf gegen den Klimawandel oder unfaire Lieferketten. Der Zeitpunkt für die Konferenz zur Zukunft Europas, die in wenigen Tagen beginnt und bei der wir solche Themen mit Bürgerinnen und Bürgern diskutieren wollen, könnte insofern nicht besser sein.

    Was erhoffen Sie sich von diesen Diskussionen und Beratungen? Was muss sich ändern, damit die Gemeinschaft wieder schlagkräftiger und effizienter wird?

    Sassoli: Wir hoffen zunächst einmal auf rege Beteiligung der Europäerinnen und Europäer, denn das ist ihre Konferenz. Sie darf sich nicht in akademischen Diskussionen verstricken, sondern muss die Ideen der Menschen ummünzen in wirkliche Ergebnisse, die die EU tatsächlich schlagkräftiger und effizienter machen. Vertragsänderung dürfen dabei kein Tabu mehr sein.

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