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Interview: "Das hätte sich nach 1945 niemand mehr vorstellen können"

Interview

"Das hätte sich nach 1945 niemand mehr vorstellen können"

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    Volkhard Knigge, Direktor der Stiftung Buchenwald und Mittelbau-Dora.
    Volkhard Knigge, Direktor der Stiftung Buchenwald und Mittelbau-Dora. Foto: Martin Schutt, dpa

    Herr Knigge, waren Sie überrascht, dass in dieser Woche Menschen auf die Straße gingen wegen einer Ministerpräsidentenwahl in Thüringen?

    Knigge: Ich war nicht wirklich überrascht. Denn es war keine gewöhnliche Ministerpräsidentenwahl. Es war die erste Wahl überhaupt, die durch den faschistischen Flügel der AfD gestützt wurde. Das ist etwas, was sich nach 1945 niemand mehr für die Bundesrepublik hätte vorstellen können.

    Die Politik versucht das Ergebnis zu korrigieren. Ist das auch den Protesten geschuldet - oder ist es Einsicht?

    Knigge: Für mich ist das ein Zeichen für die doch noch lebendige demokratische Kultur in der Bundesrepublik, dass der Impuls von beiden Seiten gekommen ist: von den Wählern und den Politikern. Man spürt die innerliche Betroffenheit. Und diese innerliche Betroffenheit ist eine Reaktion darauf, dass viele merken, dass wir es mit einer Art Epochenschnitt zu tun haben. Dass Rechtsextreme einen Ministerpräsidenten ins Amt heben und der Politiker einer demokratischen Partei das nicht nur hinnimmt, sondern es sogar als eine Art von Normalität beschreibt, ist neu. Alle, die für die kritische Aufarbeitung der nationalsozialistischen Vergangenheit und für die demokratische Kultur stehen, muss das ins Herz treffen. Und das tut es auch! Die Thüringen-Wahl hat Wertkonservative genauso ins Herz getroffen wie Linksliberale. Es gibt einen Grundkonsens quer durch die demokratischen Parteien, dass es zum Selbstverständnis unseres Landes gehört, aus dem Nationalsozialismus Lehren zu ziehen. Dieser Konsens ist am Mittwoch zumindest sehr stark verletzt worden. Aber die Proteste zeigen, dass die meisten Menschen genau an diesem Grundsatz festhalten wollen. Die Zivilgesellschaft hat eine rote Linie gezogen, die nicht überschritten werden kann. Denn wenn das zur Gewohnheit wird, ist diese Republik nicht mehr die, die sie bislang war.

    Waren die Ereignisse der vergangenen Tage vielleicht sogar so etwas wie ein heilsamer Schock für die demokratischen Parteien? In der Union hat man immer mal wieder versucht, mit der AfD zu flirten…

    Knigge: Ich hätte uns und der Republik gewünscht, dass es dazu die Wahl in Thüringen nicht gebraucht hätte. Trotzdem ist es ermutigend, dass nun konstruktiv mit diesem Thema umgegangen wird. Und ich hoffe wirklich, dass das eine Frischzellenkur für die Demokratie ist - vor allem aber für die demokratische Kultur. Es reicht nicht, wenn wir eine formale Demokratie auf der Ebene von Verfassung und Institutionen haben. Wenn ich allerdings auf die Thüringer CDU und auch auf die FDP schaue, bin ich schon wieder etwas skeptischer – es wird nach wie vor viel taktiert. Es muss doch jetzt der Zeitpunkt sein, wo Machtfragen zugunsten des elementaren Grundkonsenses über den politischen Charakter dieser Gesellschaft zurückgestellt werden.

    Es werden viele Vergleiche zur Weimarer Republik gezogen…

    Knigge: In der Weimarer Republik haben sich die bürgerlich-konservativen Parteien so vertaktiert, dass sie der NSDAP zur Macht verholfen haben. Adolf Hitler war zunächst Kanzler einer Koalition, an der auch demokratische Parteien beteiligt waren, die dachten, dass sie Hitler und die NSDAP für sich instrumentalisieren können. Das glauben heute offenbar auch noch manche Politiker. Deshalb war dieser Wahltag ein Freudentag für alle autoritären Antidemokraten in dieser Republik.

    Zur Person: Volkhard Knigge, 65, ist deutscher Historiker. Er leitet die Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora.

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