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Interview: DIVI-Präsident: „Wir sehen sehr viel mehr Junge mit Corona auf Intensivstationen“

Interview

DIVI-Präsident: „Wir sehen sehr viel mehr Junge mit Corona auf Intensivstationen“

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    Mit mehr als 3000 belegten Intensivbetten ist die Belastung für Krankenschwestern und Pflegekräfte hoch.
    Mit mehr als 3000 belegten Intensivbetten ist die Belastung für Krankenschwestern und Pflegekräfte hoch. Foto: Jens Büttner, dpa

    Herr Professor Marx, mehrere Experten schlagen vor, um das Impftempo zu beschleunigen, jetzt mehr den Fokus auf Erstimpfungen zu legen und den Abstand zu Zweitimpfungen auszudehnen. Wie stehen Sie als Intensivmediziner zu dieser Forderung?

    Gernot Marx: Aus Sicht der Intensivmedizin ist das eine interessante Überlegung. Wir wissen, dass etwa 12 bis 14 Tage nach einer ersten Impfung ein gewisser Schutz besteht. Die Daten weisen darauf hin, dass danach schwere Verläufe kaum noch oder überhaupt nicht mehr vorkommen. Mehr Erstimpfungen in kürzerer Zeit könnten deshalb eine klare Entlastung der Intensivstation bedeuten, wenn sich diese Studienergebnisse in der Praxis bestätigen.

    Wie wichtig sind die Impfungen insgesamt für die Entlastung der Intensivstationen in Deutschland?

    Marx: Die Impfungen sind das wichtigste Mittel, um die Pandemie zu bekämpfen. Wir sehen schon jetzt auf den Intensivstationen, dass wir nur noch sehr wenige Patienten im Alter über 80 Jahren aufnehmen müssen. Die Impfungen in dieser Altersgruppe sind bereits sehr weit fortgeschritten, weshalb hier kaum noch Menschen schwer erkranken. Die Impfungen wirken. Und es ist sehr gut, dass sie auch gegen die britische Mutante B.1.1.7. schützen. Deshalb müssen wir jetzt Zeit für die Impfungen der breiten Bevölkerung gewinnen. Denn jetzt im April und den folgenden Monaten erwarten wir zig Millionen Impfdosen in Deutschland.

    Weniger Krankenpfleger und Mediziner stecken sich an

    Das medizinische Personal in den Kliniken ist zum größten Teil geimpft. Macht sich das bereits bemerkbar?

    Marx: Ja, wir sehen einen wesentlichen Unterschied zur ersten und zweiten Welle, als unsere Teams in großer Sorge waren, sich selbst mit Corona zu infizieren. Wir hatten im Vergleich zu anderen Ländern deutlich seltener Infektionen in den Kliniken. In der ersten Welle sogar noch weniger als in der zweiten, als mehr Mitarbeiter positiv getestet wurden und auch erkrankten. Nachdem ein wirklich ganz großer Teil der Mitarbeiter im Gesundheitswesen das Impfangebot in den vergangenen Monaten angenommen hat, lässt sich heute ein eindeutiger Rückgang feststellen. Vor allem sind unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter deutlich beruhigter, was ihr alltägliches Risiko in der Patientenversorgung angeht.

    Gernot Marx: "Die Lage ist sehr, sehr angespannt"
    Gernot Marx: "Die Lage ist sehr, sehr angespannt" Foto: Michael Kappeler, dpa

    Wie viele Patientenzugänge befürchten Sie für die kommenden Wochen auf den Intensivstationen?

    Marx: Die Situation ist wirklich sehr, sehr angespannt. Wir zählen zu Wochenanfang bereits 4600 Intensivpatienten mit Covid-19. Die Neuinfektionszahlen, die Sieben-Tage-Inzidenz und der R-Wert sind wegen der Osterfeiertage mit Vorsicht zu interpretieren. Doch wir müssen davon ausgehen, dass wir deutschlandweit jetzt jeden Tag zwischen 50 und 100 neue Covid-Intensivpatienten aufnehmen müssen. Das heißt, dass wir bereits Ende April die Größenordnung von 6000 und mehr Corona-Intensivpatienten erreichen würden, wie wir sie auf dem Höhepunkt der zweiten Welle hatten. Darunter sind viele Menschen, die sich jetzt in diesen Tagen mit Corona infizieren und deren Krankheitszustand sich in den kommenden Wochen verschlechtern wird. Deshalb drängt die Zeit, dass jetzt gehandelt wird.

    Schon im Mai drohen 7000 Corona-Intensivpatienten

    Was ist Ihre Forderung an die Politik?

    Marx: Unsere dringende Bitte ist, dass die politisch Verantwortlichen die geplanten Änderungen des Infektionsschutzgesetzes möglichst noch diese Woche verabschieden. Bis die Gesetzesmaßnahmen umgesetzt sind, und wir auf den Intensivstationen einen Effekt merken, vergehen 12 bis 14 Tage. Wenn die Verabschiedung des Gesetzes bis Ende April dauern sollte, würden wir bis Mitte Mai keinen Effekt davon auf den Intensivstationen spüren. Wir gehen davon aus, dass die Zahl der Covid-Patienten, die wir auf den Intensivstationen versorgen müssen, dann auf 7000 steigen wird. Das wäre ein echter Stresstest nicht nur für die Intensivstationen, sondern für unser gesamtes Gesundheitssystem. Das ist unsere große Sorge, deshalb können wir nur appellieren, dass die Gesetzesänderungen im Schnellverfahren beschlossen werden. Wir reden über sehr viele schwere Erkrankungen und über viele Menschen, die das nicht überleben werden.

    Viel mehr 40- bis 50-Jährige mit Corona auf Intensivstation

    Wie ist momentan die Situation auf den Intensivstationen?

    Marx: Wir bekommen von allen Klinikstandorten die gleichen Berichte, dass in der dritten Welle deutlich jüngere Patienten auf den Intensivstationen aufgenommen werden. Wir haben im Vergleich zur zweiten Welle viel mehr jüngere schwerkranke Patienten. Auch wenn uns dazu noch keine Studiendaten vorliegen, sind unsere Erfahrungen aus der Praxis in Deutschland einhellig. Wir sehen inzwischen sehr viele Vierzig- bis Fünfzigjährige mit sehr schweren Corona-Verläufen auf den Intensivstationen. In der ersten und zweiten Welle waren unter 50-Jährige noch eine eher seltene Ausnahme.

    Reichen denn die nun geplanten Maßnahmen der Notbremse aus? In Bayern sind die meisten Regeln bereits Praxis, doch auch hier steigen die Zahlen …

    Marx: Wir müssen die geplanten Maßnahmen jetzt erst einmal umsetzen. Wenn man sieht, dass sie nicht ausreichen, kann man über zusätzliche Schritte nachdenken. Prinzipiell müssen wir aber einen Zustand erreichen, wie wir ihn im ersten Lockdown hatten. Man konnte den Erfolg an wenig Mobilität und Verkehr ablesen. Als ich damals in die Klinik gefahren bin, wirkte es auf mich auch unter der Woche wie Sonntagvormittags. Diesen Zustand müssen wir wieder erreichen, um die Infektionen zu begrenzen. Das ist natürlich aus ökonomischer Sicht eine sehr schwierige Herausforderung. Aber wir müssen jetzt noch einmal das Infektionsgeschehen unter Kontrolle bringen und die Inzidenz nach unten drücken – und das vor allem schnell! Danach werden wir den Effekt der Impfungen deutlich spüren, dann können wird mit Teststrategien öffnen und Infektionsketten wieder nachverfolgen. Je länger wir diesen Schritt hinauszögern, desto schwieriger wird das Ganze.

    DIVI-Präsident: Sind mit Impfungen schon auf der Zielgeraden

    Die Mobilität ist derzeit nur um zehn Prozent unter den Werten der Vorjahre. Viele Parkplätze vor Bürogebäuden sind so voll wie vor der Pandemie. Ist das nicht ein Problem der Gesellschaft und nicht nur der Politik, was Homeoffice und Arbeit angeht?

    Marx: Wir brauchen auf der einen Seite verbindliche Regelungen durch die Politik. Aber es ist richtig: Die Pandemie verlangt der Gesellschaft nach einem Jahr viel ab. Wir haben alle das Gefühl, es reicht jetzt. Aber wir haben die absehbare Möglichkeit der Impfungen. Wir sind auf der Zielgeraden. Monat für Monat werden immer mehr Menschen geimpft und wir erreichen eine ganz andere Situation. Wir reden über einen überschaubaren Zeitraum, für den es sich lohnt, sich jetzt noch einmal anzustrengen. Wir müssen dafür sorgen, dass sich jetzt weniger Menschen mit Corona anstecken und nicht das Risiko schwerer Krankheitsverläufe und langfristiger Schäden davontragen.

    Ist der Eindruck berechtigt, Deutschland sei glimpflich durch die Pandemie gekommen?

    Marx: Ein Grund dafür ist sicher, dass wir in Deutschland über so hohe Intensivkapazitäten verfügen. Dabei geht es nicht nur um Betten und Maschinen, sondern darum, dass wir so viele Menschen haben, die schwerstkranke Menschen versorgen können, und zwar nicht nur Covid-19-Patienten. Wir haben natürlich auch sehr viele andere Schwerkranke und Notfälle, für die wir Kapazitäten auf den Intensivstationen brauchen.

    Kliniken droht ohne Lockdown der Katastrophenmodus

    Wie sehr ist dieses System bereits an seine Grenzen gestoßen?

    Marx: Bisher konnten wir alle versorgen. Wir haben auch mit unserem Intensivregister dafür gesorgt, dass wir genau wissen, wo wir stehen. Wir arbeiten beispielsweise auch mit Telemedizin, um aus den Universitätskliniken andere Krankenhäuser bei der Versorgung von Covid-Patienten zu unterstützen. Wir versuchen, auch in der Krise innovativ zu sein. Trotz alledem sollten wir uns davor hüten, dass wir jetzt in den Kliniken in den Katastrophenmodus schalten müssen. Dann ginge nur noch Notfallversorgung. Das ist ein Zustand, den wir unbedingt vermeiden wollen, schließlich gibt es auch noch viele andere schwere Krankheiten als Corona. Gerade jetzt, wo wir die tolle Errungenschaft wirksamer Impfungen in den Händen haben, sollten wir unsere Erfolge im Kampf gegen die Pandemie nicht auf den letzten Metern verspielen.

    Zur Person: Gernot Marx, 55, ist Direktor der Klinik für Operative Intensivmedizin an der Uni Aachen und Präsident der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin DIVI.

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