Frau Baerbock, wie wollen Sie verhindern, dass das dritte Fernseh-Triell am Sonntag wieder zur großkoalitionären Paartherapie zwischen Armin Laschet von der Union und Olaf Scholz von der SPD wird?
Annalena Baerbock: Es ist ja sehr deutlich geworden, dass es kaum einen Unterschied zwischen SPD und Union mit Blick auf den Klimaschutz gibt. Die Große Koalition hat versäumt, die Weichen für die Zukunft zu stellen. Insofern geht es gerade um einen Zweikampf zwischen dem Weiter-so der GroKo und einer echten Erneuerung. Für die trete ich als grüne Kanzlerkandidatin an.
Womit wollen Sie noch punkten, was erhoffen Sie sich vom Dreikampf?
Baerbock: Wer wirklich Veränderung in unserem Land will, der sollte am besten die Grünen wählen – das gilt nicht nur für den Klimaschutz. Wir erleben ja beispielsweise auch bei den Schulen, wie groß der Handlungsbedarf ist, angefangen bei schnellem Internet bis hin zu genügend Lehrkräften und pädagogischem Personal. Kinder, Jugendliche und ihre Familien gehören in den Fokus einer nächsten Bundesregierung. Das gleiche gilt für den Ausbau der Digitalisierung in unserem Land. Da sind wir auf den hinteren Plätzen unter den Industriestaaten. Da müssen wir jetzt volle Kanne anpacken.
Mit Laschet oder Scholz werden Sie sich ja arrangieren müssen. Wenn vielleicht die SPD etwa knapp vor der Union landet, wäre dann trotzdem noch Schwarz-Grün oder Jamaika möglich?
Baerbock: Ich kämpfe mit Leidenschaft und Energie um jede Stimme für einen echten Aufbruch. Und der geht am besten mit Grün im Kanzlerinnenamt. Am liebsten würde ich gemeinsam mit der SPD regieren. Aber es macht auch in diesem Fall einen riesigen Unterschied, ob Grün an führender Stelle Verantwortung trägt oder nur mitregiert. Aber dafür brauchen wir noch deutlich mehr Stimmen. Wo wir am Ende stehen und was möglich ist, werden wir am 26. September sehen. Natürlich muss der Kern einer Zusammenarbeit Klimaschutz, einen starken sozialen Zusammenhalt und internationale Verantwortung umfassen.
Vor einigen Wochen schien alles auf Schwarz-Grün, Grün-Schwarz oder ein Jamaika-Bündnis hinauszulaufen. Davon redet jetzt bei den Grünen kaum jemand mehr. Warum ist die schwarz-grüne Liebe so erkaltet?
Baerbock: In der Politik geht es für mich nicht um Liebe, sondern um echte Veränderung. Wenn ich erlebe, dass die Menschen in der Pflege in den letzten Jahren alles gegeben haben, dann möchte ich, dass sie mehr von uns bekommen als nur Applaus. Vielmehr braucht es bessere Arbeitsbedingungen, faire Löhne und neue Arbeitszeitmodelle wie zum Beispiel eine 35-Stunden-Woche. Ich will die Menschen, für die in der Corona-Pandemie applaudiert wurde, in den Mittelpunkt unserer Politik stellen. Das sind vor allem die sozialen Berufe, Fachkräfte im Gesundheitsbereich, Kassiererinnen und Kassierer. Sie alle brauchen bessere Arbeitsbedingungen. Und um den Niedriglohnsektor zu bekämpfen, brauchen wir einen Mindestlohn von zwölf Euro als Untergrenze. Und natürlich gibt es gerade in diesem sozialpolitischen Bereich größere Schnittmengen mit der SPD als mit der Union.
Vielen Wählern ist wichtig, zu wissen, ob sie am Ende ein rot-grün-rotes Bündnis bekommen, ein sozialgrünliberales oder bürgerlich-grünes. Würden Sie sich mit Schwarz-Grün oder Jamaika leichter tun, wenn an der Spitze nicht Armin Laschet stünde, sondern Markus Söder, der sich mehr zu Klimaschutz bekennt und schneller aus der Kohlenutzung raus will?
Baerbock: Die grundlegende Frage unserer Zeit ist, ob wir weitermachen wie bisher oder ob wir die nächsten vier Jahre dazu nutzen, Deutschland auf den Weg der Klimaneutralität zu bringen. Das bedeutet, bis 2030 aus der Kohle auszusteigen, Wind- und Solarkraft massiv auszubauen. Das bedeutet, dafür zu sorgen, dass die Autos emissionsfrei unterwegs sind, der Stahl und der Zement der Zukunft klimaneutral in Deutschland hergestellt werden können. Das muss der Anspruch der nächsten Bundesregierung sein, die ich anführen will. Wir werden nach der Wahl sehen, mit wem wir das umsetzen können. Mir geht es nicht um Farbspiele und Personalfragen, sondern darum, die Zukunftsfragen unserer Zeit zu den Themen der nächsten Bundesregierung zu machen.
Sind Ihnen Ihre Forderungen in anderen Bereichen, zum Beispiel der Mindestlohn von zwölf Euro oder die Wiedereinführung der Vermögensteuer, genauso wichtig wie der Klimaschutz?
Baerbock: Wenn ich einen Mindestlohn habe, von dem ich nicht leben kann und ich dann noch zusätzliche Unterstützung des Staates brauche, ist das nicht nur ungerecht, das gefährdet dann auch den Zusammenhalt und die Wirtschaft im Land. Deswegen brauchen wir neben Klimaschutzmaßnahmen eine Sozialpolitik, die allen Menschen ein gutes Leben ermöglicht. Das bedeutet einen Mindestlohn von zwölf Euro und Kinder aus der Armut zu holen und deshalb eine Kindergrundsicherung einzuführen. Wenn bei uns, in einem der reichsten Industrieländer, jedes fünfte Kind in Armut lebt, gefährdet das auch die Zukunftschancen dieses Landes.
Wenn Ihnen etwa FDP-Chef Christian Lindner in Koalitionsverhandlungen anbieten würde, dass Sie viel Klimaschutz bekommen und dafür aber die Hände von der Vermögenssteuer lassen, wäre die Sache dann klar?
Baerbock: Na ja, da wäre meine Gegenfrage, egal ob es jetzt Christian Lindner wäre oder jemand anderes, wie wir eine solide Finanzpolitik hinbekommen. Wir haben da ein durchdachtes Konzept. Angefangen bei den dringend nötigen Investitionen. Brücken sind marode, Schulen auch, und das geht auf die Substanz des Landes. Hinzu kommt ein großer Investitionsbedarf für den Klimaschutz. Dafür wollen wir die Schuldenbremse um eine Investitionsregel erweitern. Dann setzen wir darauf, kleinere und mittlere Einkommen zu entlasten und dafür im Gegenzug die wirklich Reichen etwas stärker zur Finanzierung des Gemeinwesens heranzuziehen. Und wenn man die Vermögenssteuer, die ja den Ländern zusteht, wieder einführt, könnte das Geld gut in die Bildung fließen. Das sind unsere Vorschläge. Kreditaufnahme und Steuern sind ja nie ein Selbstzweck. Wenn andere Parteien andere Wege aufzeigen können, um diese Ziele zu erreichen, kann man darüber natürlich sprechen. Aber einfach zu sagen, wir lehnen alle Vorschläge der Grünen im Finanzbereich ab, geht nicht. Und was auch nicht geht, ist auf Wahlplakate zu schreiben, dass wir schöne Schulen brauchen, dann aber nicht das Geld zur Verfügung stellen.
Wie tief sitzt Ihr Schmerz, dass Sie und die Grünen auch durch Ihre eigenen Versäumnisse und Pannen, etwa in der Plagiatsaffäre um Ihr Buch, jetzt nicht dort stehen, wo sie stehen könnten, nämlich kurz vor dem Einzug ins Kanzleramt?
Baerbock: Ich komm ja aus dem Sport, wir sind jetzt in der zweiten Halbzeit kurz vor Abpfiff und nach wie vor ist alles drin. Genau dafür geben wir jetzt alles.
In Mali, wo die Bundeswehr an einem internationalen Einsatz gegen Islamisten beteiligt ist, verhandelt die Militärjunta offenbar mit der berüchtigten russischen Söldnertruppe Wagner. Sollte Deutschland sein Engagement in dem Land beenden?
Baerbock: Ich halte es für richtig, alle Auslandseinsätze unabhängig zu evaluieren, um Strategien sinnvoll und frühzeitig anpassen zu können. Das ist spätestens nach Afghanistan nötig und mit Blick auf Mali auch. Die Bundesregierung hat doch die Lage in Mali jahrelang schöngeredet. Zweimal gab es unter den Augen der EU- und VN-Kräfte einen Militärputsch im Land. Und wenn jetzt noch die malische Militärregierung gemeinsame Sache mit russischen Söldnern macht, muss doch in jedem Fall die Ausbildung für das malische Militär ausgesetzt werden. Alles andere wäre ein Problem.
Hat Bundesfinanzminister Olaf Scholz aus Ihrer Sicht genug zur Aufklärung der Vorwürfe gegen die Zoll-Spezialeinheit FIU getan?
Baerbock: Olaf Scholz hat vor allem nicht genug zur Bekämpfung von Geldwäsche getan. Und nicht nur er, sondern auch die CDU hat sich in der Großen Koalition über Jahre geweigert, hier schärfer vorzugehen. Dabei gilt Deutschland als Paradies für Kriminelle, die hier ihre Gelder waschen. Auch Experten und internationale Organisationen mahnen seit Jahren eine effizientere Bekämpfung an. Wir brauchen endlich schlagkräftige Behörden. Und gerade, weil im Immobilienmarkt häufig Geld aus kriminellen Geschäften angelegt wird, sollte es verboten werden, da mit Bargeld zu zahlen. Genauso muss man ein Immobilienregister einrichten, um zu erkennen, welche Gesellschaften als Eigentümer dahinter stecken. Der Kampf gegen Finanzkriminalität ist ja nicht irgendwas, sondern letztlich auch eine Frage der Sicherheit.