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Innenministerkonferenz: Rechtsextremisten besser im Blick

Innenministerkonferenz

Rechtsextremisten besser im Blick

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    Die deutschen Sicherheitsbehörden müssen sich künftige V-Leute in der rechtsextremen Szene in Zukunft genauer anschauen. Straftäter kommen als bezahlte Informanten nicht mehr in Frage.
    Die deutschen Sicherheitsbehörden müssen sich künftige V-Leute in der rechtsextremen Szene in Zukunft genauer anschauen. Straftäter kommen als bezahlte Informanten nicht mehr in Frage. Foto: Patrick Pleul, dpa

    Der Mann hatte ein eindrucksvolles Vorstrafenregister und war der Polizei als gewalttätiger Neonazi einschlägig bekannt. Auf sein Konto gingen zahllose Raubüberfälle, Körperverletzungen, Widerstand gegen die Staatsgewalt und Drogendelikte. Dennoch hatten die Verfassungsschützer keine Skrupel, ihn als V-Mann anzuwerben und ihn jahrelang zu bezahlen. Denn er hatte etwas zu bieten: Er war ein führender Kopf der rechtsextremistischen Szene im Land, bestens vernetzt, allseits akzeptiert.

    Ein einfacher Deal: Geld gegen Informationen

    Der Deal war einfach: Geld gegen Informationen. Und Schutz. Mit seiner Hilfe wollten die Verfassungsschützer die Szene überwachen und Einblick in die Strukturen erhalten. Im Gegenzug hielten die Sicherheitsbehörden ihre Hand schützend über ihren Informanten und sorgten dafür, dass er nicht aufflog. Dass ihn allerdings auch das Verfassungsschutzamt eines anderen Bundeslandes als V-Mann angeworben hatte und ebenfalls bezahlte, war keinem bekannt.

    Neue Regeln beim Einsatz von V-Leuten

    Szenen wie diese soll es nach dem Willen der Innenminister des Bundes und der Länder nicht mehr geben. Auf ihrer gemeinsamen Konferenz in Hannover, die am Mittwoch begann und noch bis Freitag dauert, wollen die für die innere Sicherheit zuständigen Ressortchefs als Konsequenz aus der Mordserie der Zwickauer Neonazi-Terrorgruppe „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU) neue Regeln beim Einsatz von V-Leuten verabschieden. Im Zentrum stehen neue Qualitätsstandards bei der Anwerbung von Informanten, die nach den vorgelegten Plänen auf eine deutliche Verschärfung der Kriterien hinauslaufen.

    „Was nicht sein kann, ist, dass wir Berufskriminelle als V-Leute einsetzen, die womöglich auch noch selber im großen Stil Straftaten begehen oder quasi ihren Lebensunterhalt von der V-Leute-Tätigkeit bestreiten“, sagte der Sozialdemokrat Boris Pistorius, Innenminister von Niedersachsen und derzeitiger Vorsitzender der Innenministerkonferenz. Deshalb sollen „kriminell erheblich vorbelastete Extremisten“ nicht mehr als Informanten angeworben werden.

    Weitere Konsequenzen aus der NSU-Mordserie

    Weitere Konsequenz aus der NSU-Mordserie: Über das Anwerben von Quellen sollen künftig nicht mehr die Mitarbeiter, sondern die Spitzen der Sicherheitsbehörden entscheiden. Zudem soll es eine Rotation bei der Führung von V-Leuten geben, um eine zu große Nähe und Vertrautheit zu verhindern. Kritiker hatten in der Vergangenheit immer wieder bemängelt, dass langjährige V-Mann-Führer die Distanz zu ihren Informanten aus dem extremistischen Lager verlieren. „Wir brauchen klare, rechtsstaatlich verbindliche Vorgaben für die Gewinnung und das Führen von Verbindungsleuten, damit das aus der Grauzone von Dienstvorschriften wegkommt und im Gesetz verankert wird“, forderte der nordrhein-westfälische Innenminister Ralf Jäger (SPD).

    Zugriffsmöglichkeit für alle Sicherheitsbehörden

    Einig sind sich die Minister darin, dass die 17 Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder eine zentrale V-Leute-Datei einrichten. Offen ist aber noch die Frage, ob die Informanten mit Klarnamen oder nur mit ihrem Decknamen geführt werden. In der Vergangenheit hatten sich die einzelnen Landesämter für

    Was nach dem NSU-Desaster geschah

    Nach dem Auffliegen der rechtsextremen Terrorzelle "Nationalsozialistischer Untergrund" (NSU) im November 2011 begann in Deutschland eine mühsame politische Aufarbeitung der Geschehnisse. Nach und nach kamen Detail s zu den Verbrechen ans Licht - und die haarsträubenden Pannen bei der Aufklärung.

    13. November 2011: Der Bundesgerichtshof erlässt Haftbefehl gegen die mutmaßliche NSU-Terroristin Beate Zschäpe.

    16. Dezember 2011: Als Folge der Ermittlungspannen im Fall NSU wird das Gemeinsame Abwehrzentrum gegen Rechtsextremismus eröffnet. Dort sollen sich die Sicherheitsbehörden ständig über Gefahren aus der rechten Szene austauschen.

    27. Januar 2012: Im Bundestag nimmt ein Untersuchungsausschuss zum Fall NSU seine Arbeit auf.

    16. Februar 2012: Auch im Landtag von Erfurt startet ein Untersuchungsausschuss, weil das NSU-Trio aus Thüringen stammte.

    17. April 2012: Ein Untersuchungsausschuss im Dresdner Landtag macht sich an die Aufarbeitung - in Sachsen war das Trio jahrelang untergetaucht.

    2. Juli 2012: Der Präsident des Bundesamts für Verfassungsschutz, Heinz Fromm, bittet nach den Pannen bei der Aufklärung der NSU-Morde um seine Entlassung.

    3. Juli 2012: Auch Thüringens Verfassungsschutz-Präsident Thomas Sippel muss sein Amt aufgeben.

    5. Juli 2012: Ein weiterer Untersuchungsausschuss geht im Landtag in München an die Arbeit - in Bayern hatten die NSU-Terroristen die meisten Morde begangen.

    11. Juli 2012: Sachsens Verfassungsschutz-Präsident Reinhard Boos tritt zurück.

    13. September 2012: Die Pannen rund um die NSU-Morde zwingen auch Sachsen-Anhalts Verfassungsschutz-Chef Volker Limburg aus dem Amt.

    19. September 2012: Eine neue Neonazi-Datei geht in Betrieb. Die Sicherheitsbehörden aus Bund und Ländern sammeln darin Informationen über gewaltbereite Rechtsextremisten und deren Hintermänner.

    8. November 2012: Die Bundesanwaltschaft erhebt Anklage gegen Zschäpe.

    14. November 2012: Berlins Verfassungsschutz-Chefin Claudia Schmid tritt von ihrem Posten zurück.

    7. Dezember 2012: Die Innenminister von Bund und Ländern einigen sich auf Reformen beim Verfassungsschutz: Dazu gehören eine zentrale Datei für Informanten des Inlands-Geheimdienstes und einheitliche Kriterien zur Führung dieser V-Leute. Der Informationsaustausch der Ämter in Bund und Ländern soll besser werden.

    14. Dezember 2012: Der Schock über die NSU-Verbrechen hat die Debatte über ein NPD-Verbot neu entfacht. Die Länder preschen vor und beschließen im Bundesrat, vor dem Bundesverfassungsgericht ein Verbotsverfahren gegen die rechtsextreme Partei einzuleiten.

    20. März 2013: Das Bundeskabinett entscheidet sich dagegen, einen eigenen Verbotsantrag gegen die NPD zu stellen.

    März 2013: Das Oberlandesgericht München steht wenige Wochen vor Prozessbeginn in der Kritik: Das Gericht hatte die Presseplätze nach dem Windhund-Prinzip vergeben. Alle türkischen und griechischen Medien gingen leer aus.

    4. April 2013: Eklat um den NSU-Prozess: Die türkische Zeitung "Sabah" reicht eine Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht ein.

    13. April 2013: Die Verfassungsschützer ordnen an, mindestens drei weitere Plätze für ausländische Medien zu schaffen. Das OLG verschiebt den Prozess daraufhin auf den 6. Mai - die Plätze werden im Losverfahren neu vergeben.

    Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) bemängelte die nicht immer trennscharfen Zuständigkeiten zwischen Bund und Ländern beim Umgang mit V-Leuten. Bisher sei der Austausch über Informanten aus dem rechtsextremen Lager nicht ausreichend. „Diese Befehlsketten existieren eben nicht.“ Im Gegenzug warf der niedersächsische Innenminister Pistorius (SPD) dem Bund vor, bei der Neuausrichtung des Verfassungsschutzes hinterherzuhinken. Die Länder seien in dieser Frage „weiter“.

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