Wolfgang Schäuble hat es schon wieder getan. Er hat sich in die aktuelle Politik eingemischt, in die seiner Partei, in die der neuen CDU-Vorsitzenden. Es hat den Anschein, dass Schäuble nach dem Abgang von Angela Merkel unbedingt auch gegen ihre Nachfolgerin Annegret Kramp-Karrenbauer ätzen muss, es scheint, der 76-Jährige hat keine Hemmungen mehr, rund um sich zu beißen. Offenbar wird Schäuble von dem Drang getrieben, zum Abschluss eines langen und aufreibenden Politikerlebens den aufgestauten Frust rauszulassen.
Der Sieg von Kramp-Karrenbauer über den von ihm favorisierten Friedrich Merz hat dem amtierenden Bundestagspräsidenten keine Ruhe gelassen. Anders ist es nicht zu erklären, dass Schäuble zu Wochenanfang den Plan der neuen CDU-Chefin torpedierte, die Flüchtlingspolitik der Regierung unter Merkel in einem „Werkstattgespräch“ aufzuarbeiten. Schon aus Respekt vor dem Amt hätte Schäuble die neue Chefin erst mal machen lassen können. Das „Werkstattgespräch“ ist so bedeutend nicht, als dass es den protokollarisch zweitwichtigsten Mann im Staate auf den Plan rufen müsste. Doch via Interview in der Stuttgarter Zeitung wies Schäuble das sogenannte Werkstattgespräch als unnötigen Humbug zurück. Die Lage sei doch klar, man brauche „keine Aufarbeitungskommission“.
Schäuble wurde abgeschoben auf den Posten des Bundestagspräsidenten
Wer Wolfgang Schäuble im politischen Alltag erlebt, der mag an Hinterlist bei dem CDU-Urgestein zunächst kaum denken. Freundlich ist er im Gespräch, zugewandt und hoch konzentriert. Dass es auch andere Seiten gibt, zeigt sein Ausraster vom November 2010. Da demütigte der damalige Finanzminister seinen Sprecher Michael Offer wegen eines angeblichen Fehlers auf einer Pressekonferenz. Offer warf seinen Job hin, Schäuble erklärte, er habe wohl „ein wenig überreagiert“.
Als Finanzminister fühlte sich Schäuble sichtlich wohl, er war von sich überzeugt, gab im Ausland Statements in englischer Sprache ab, obwohl die teilweise wegen seines Akzents kaum zu verstehen waren. Der machtverwöhnte Politiker muss es da wie eine Demütigung empfunden haben, dass er während der Koalitionsverhandlungen nach der Bundestagswahl 2017 auf den Posten des Bundestagspräsidenten abgeschoben wurde.
Schäuble wäre gerne Finanzminister geblieben, sagt einer, der ihn bereits zu Bonner Zeiten journalistisch eng begleitete: Günter Bannas, zuletzt Leiter des Hauptstadtbüros der Frankfurter Allgemeinen Zeitung und Autor des Buches „Machtverschiebung“, das am 2. Mai im Propyläen-Verlag erscheint. In der ungewohnten Rolle des Bundestagspräsidenten habe Schäuble zumindest zu Anfang eher unbeholfen reagiert. „Er ist halt mehr ein Mann der Exekutive“, sagt Bannas.
Schäuble sollte Helmut Kohl beerben
Überhaupt Bonn: Neben den politischen Hieben, die er in jüngster Zeit empfunden haben mag, dürfte Schäubles Frust bis in die Zeiten zurückreichen, als die Stadt beiderseits des Rheins noch Hauptstadt war. Damals war Schäuble der Star am Politiker-Himmel. Damals, sagt Günter Bannas, sei es nie die Frage gewesen, ob Schäuble Kohl nachfolge. Sondern nur wann.
Bereits vor dem Attentat auf ihn am 12. Oktober 1990 wurde Schäuble als Kronprinz von Kohl gehandelt, danach verstärkte sich diese Tendenz noch. Aber er kam an Kohl nicht vorbei. 1997, zum Abschluss des CDU-Parteitags in Leipzig, erklärte der Pfälzer zwar, er wünsche sich Schäuble als Nachfolger. Doch der war misstrauisch. Bannas erzählt, er habe anderentags mit Schäuble geredet und der habe ihm bedeutet, er halte nicht viel von Kohls Aktion. „Er sagte mir damals, er sei in dieser Sache das Objekt und Kohl sei das Subjekt.“ Schäubles Skepsis war berechtigt, denn Kohl überließ nicht etwa ihm die Bühne, sondern trat 1998 zur Bundestagswahl selber noch mal an.
Schäuble hatte auch später das Nachsehen. Beispielsweise, als er für den Posten des Regierenden Bürgermeisters von Berlin im Gespräch war. Und noch ein paar Jahre später, als er zum Kandidatenkreis für das Amt des Bundespräsidenten gehörte. Und noch später, als sein Name im Zusammenhang mit dem Posten des deutschen EU-Kommissars gehandelt wurde.
Warum Rachegedanken naheliegen
Einen Spitzenplatz in der Liste enttäuschter Hoffnungen des Wolfgang Schäuble dürfte der 22. Dezember 1999 einnehmen. Damals putschte Merkel als CDU-Generalsekretärin via Gastbeitrag in der Frankfurter Allgemeinen gegen Kohl, und auch Schäuble wurde erwischt. Merkel prangerte damals unter anderem Kohls Verhalten in der CDU-Spendenaffäre an, in der auch Schäuble eine Rolle spielte (für die er dann später seine Ämter als Partei- und Fraktionsvorsitzender niederlegte). Noch heute gehen viele in der CDU davon aus, dass Merkels Aktion auch gegen Schäuble gerichtet war. Schäuble sieht das möglicherweise ganz genauso. Warum sonst hat er vor dem jüngsten CDU-Parteitag Anfang Dezember in Hamburg seine Intervention pro Friedrich Merz bewusst in der „FAZ“ platziert? Ist er rachegetrieben, was Merkel und auch deren Nachfolgerin Annegret Kramp-Karrenbauer angeht? „Er selber würde das nie so sagen. Aber es kommt einem so vor, der Gedanke liegt nahe“, sagt Günter Bannas. „Der Gedanke ist spekulativ, aber man kommt spekulativ sehr schnell drauf.“
Der emotionale Druck bei dem CDU-Senior muss enorm sein, denn Schäuble hat unter Merkel viel zu leiden gehabt. Er wurde nicht Bundespräsident. Merkel, die CDU-Generalsekretärin, überging ihn, den Parteivorsitzenden, mit ihrem FAZ-Brief gegen Kohl. Sie nahm ihm als Finanzminister während der Griechenland-Krise komplett das Ruder aus der Hand – er saß in Berlin, während sie die Nächte durch in Brüssel verhandelte, das ging damals hin bis zu der Frage, ob Griechenland aus der Eurozone ausscheiden soll.
Schäuble hat ihr das offenbar nie vergessen und Merkel immer wieder provoziert. Er forderte die Kanzlerin etwa öffentlich auf, Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) zu entlassen – wohl wissend, dass das rechtlich kaum möglich war. Gut in Erinnerung ist Schäubles Polemik zwei Wochen vor der Landtagswahl in Hessen, als er im SWR-Interview die in Umfragen äußerst populäre Regierungschefin direkt anging und erklärte, Merkel sei „nicht mehr so unbestritten, wie sie es über drei Legislaturperioden gewesen ist“.
Findet Schäuble den Ausstieg nicht?
Aufgegangen ist diese Störstrategie, die ihn in einer Übergangsphase möglicherweise doch noch zum Kanzler gemacht hätte, nicht. Merkel ist zwar nicht mehr Parteivorsitzende, sie setzte aber mit Kramp-Karrenbauer ihre Wunschkandidatin als Nachfolgerin durch. Beide Politikerinnen sind eng miteinander verbunden, und mit Schäuble haben sie keine Pläne mehr.
Aufhören will der lang gediente CDU-Grande trotzdem nicht. Wie Kohl, Schröder und einigen anderen vor ihm droht nun allerdings auch Schäuble den richtigen Zeitpunkt für ein selbstbestimmtes, würdevolles Ende der politischen Karriere zu verpassen.
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