München Einst war er der erklärte Liebling unter den ausländischen Freunden der CSU. Für ihn gab es immer einen Platz in der ersten Reihe – in Wildbad Kreuth, beim Parteitag und zuletzt bei Edmund Stoibers 70. Geburtstag. Sogar den Franz-Josef-Strauß-Preis haben die Christsozialen Viktor Orbán verliehen. Doch mittlerweile entpuppt sich die innige Beziehung der CSU zum ungarischen Regierungschef als heikle Liaison. Der Freund, der heute nach kommt, ist zum Problemfall geworden.
Orbán wird heute Nachmittag von Ministerpräsident Horst Seehofer in der Staatskanzlei empfangen und abends bei der Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft (VBW) einen Vortrag halten. Die Hoffnung, er werde gute Nachrichten mitbringen, hält sich in engen Grenzen. Die Liste der Ärgerlichkeiten in den deutsch-ungarischen Wirtschaftsbeziehungen aber ist lang. Das beginnt mit den Millionenverlusten, welche die ungarische Bank MKB, eine Tochter der Bayerischen Landesbank, durch die offenkundig willkürliche Gesetzgebung der Orbán-Regierung erlitt. Das setzt sich fort mit diskriminierenden Sondersteuern gegen ausländische Betriebe in Ungarn, insbesondere im Bereich Telekommunikation, Einzelhandel und Energie. Viele bayerische Unternehmen, die sich einst frohen Mutes in Ungarn engagierten, sind davon betroffen. Und schließlich geht es um Gesetze zur Unabhängigkeit der Notenbank, zur Unabhängigkeit der Justiz sowie um Bestimmungen zum Datenschutz, die Orbán, der mit absoluter Mehrheit regiert, nach dringender Aufforderung der EU-Kommission korrigieren soll.
Markus Ferber, Chef der CSU-Europa-Gruppe, nennt Orbáns Umgang mit der EU in diesen Fragen „inakzeptabel“. Orbán verspreche, alles anzupassen, mache dann aber nichts. „Europäische Standards nicht zu beachten, das geht einfach nicht“, sagt Ferber. Das müsse Orbán, der als Vizechef der Europäischen Volkspartei (EVP) eine herausgehobene Stellung in der konservativen „Parteienfamilie“ bekleide, nun langsam mal verstehen.
Experten aus der Wirtschaft glauben allerdings nicht mehr daran, dass Orbán tatsächlich an Korrekturen und an einer Verbesserung der Beziehungen interessiert sei. „Orbán startet eine Charme-Offensive gegenüber Deutschland“, heißt es in Kreisen der deutschen Wirtschaft in Budapest. Er sei ein „perfekter Redner“, der sich sehr gut auf das jeweilige Publikum einstellen kann. In der Substanz seiner Politik ändere sich dadurch aber noch lange nichts.
Wie heikel Orbáns Besuch offenbar empfunden wird, zeigen die Reaktionen in der Staatskanzlei und beim VBW. Weder hier noch dort war im Vorfeld etwas über die Ziele der Gespräche zu erfahren.