Das Urteil der Bundeskanzlerin und CDU-Chefin war hart, eindeutig und unmissverständlich. "Es ist offenkundig, dass die SPD auf absehbare Zeit nicht regierungsfähig ist", sagte Angela Merkel. "Wir sollten deshalb keine weiteren Gedanken darauf verschwenden."
Das war Anfang Oktober auf dem "Deutschlandtag" der Jungen Union, wo sich der Nachwuchs der Partei entschieden gegen eine Fortsetzung der ungeliebten Großen Koalition aussprach. Und Merkel, die noch mitten in den Sondierungsgesprächen mit den Grünen und der FDP steckte, war zuversichtlich, für ihre Wiederwahl auf die SPD verzichten und die favorisierte Jamaika-Koalition schmieden zu können.
Merkel steht mit leeren Händen da
Knapp sechs Wochen später steht Angela Merkel mit leeren Händen da. Jamaika wird es nicht geben, mehr noch, auf einmal haben sich die Verhältnisse ins Gegenteil verdreht. Die Union ist auf die SPD angewiesen, um doch noch eine stabile Regierung mit einer Mehrheit im neuen Bundestag bilden zu können. Nachdem die SPD auf ihrem Bundesparteitag in der vergangenen Woche von ihrem kategorischen Nein zu einer Regierungsbeteiligung abgerückt ist und den Weg für "ergebnisoffene Gespräche" frei gemacht hat, legte auch die CDU bei einer Klausursitzung des Bundesvorstands am Sonntagabend und Montagvormittag den Schalter endgültig um.
Morgen beginnen die Gespräche mit der SPD. Schon diese erste Runde gilt als entscheidend, denn bereits am Freitag will der neue SPD-Bundesvorstand entscheiden, ob er dem für Ende Januar stattfindenden Sonderparteitag die Aufnahme von offiziellen Koalitionsverhandlungen empfehlen wird, sich für die Duldung einer unionsgeführten Minderheitsregierung ausspricht – oder gar Neuwahlen anstrebt.
Absage für CDU-Hoffnungsträger Jens Spahn
Von einer Minderheitsregierung will die CDU nichts wissen, Ziel seien "stabile Regierungsverhältnisse", um die anstehenden Herausforderungen in Deutschland, Europa und der Welt anzugehen, sagt Merkel am Montag im Konrad-Adenauer-Haus. Indirekt erteilt sie damit der Forderung ihres Präsidiumsmitglieds Jens Spahn, der sich am Wochenende erneut für die Bildung einer Minderheitsregierung ausgesprochen hat, eine klare Absage, auch im Bundesvorstand gibt es für diese Position keine Mehrheit.
Gleichwohl steht die CDU-Chefin im Umgang mit dem bisherigen und möglichen erneuten Koalitionspartner vor einem Dilemma. Einerseits muss sie der SPD, um sie zur Fortsetzung der GroKo zu bewegen, weit entgegenkommen und erhebliche Zugeständnisse machen. Andererseits aber darf sie dabei nicht zu weit gehen, sondern muss darauf achten, dass auch die Handschrift der Union in einer möglichen Neuauflage von Schwarz-Rot sichtbar wird. Würde sie an den entscheidenden Punkten zu sehr der SPD nachgeben, wäre dies weitere Munition für ihre innerparteilichen Kritiker, die ihr schon jetzt vorwerfen, das Profil von CDU und CSU verwässert zu haben. Zudem weiß die SPD durch die Jamaika-Sondierungen, bei welchen Themen die Union zu Zugeständnissen bereit ist und wo nicht. Ein echter Vorteil im Verhandlungspoker.
Merkel selber hält sich vor dem Treffen mit Martin Schulz und Andrea Nahles zurück und verweist eher allgemein auf "eine ganze Reihe von Schnittmengen" mit den Sozialdemokraten, so bei der Sicherung des Wohlstands, der Digitalisierung, der Schaffung gleichwertiger Lebensverhältnisse in Deutschland oder der Fortentwicklung Europas. Nur der SPD-Forderung nach einer Bürgerversicherung im Gesundheitssystem erteilt die Kanzlerin eine klare Absage, die Union lehne eine "Einheitskasse" ab. Allerdings könne man gemeinsam eine "Vielzahl an Verbesserungen" für Beschäftigte und Patienten erreichen, um die strukturellen Defizite im Gesundheitssystem abzubauen.
Andere Vorstandsmitglieder werden hingegen deutlicher. Wenn die SPD "immer neue und zum Teil absurdere Forderungen" stelle, um damit ihre Kehrtwende zu begründen, "dann ist das sicherlich nicht die Art, die man an den Tag legt, wenn man am Ende eine erfolgreiche Regierung bilden will", kritisiert Paul Ziemiak, Chef der Jungen Union. Und auch die stellvertretende CDU-Chefin Julia Klöckner hat wenig Verständnis für die Verhandlungsstrategie der SPD. Die Partei tue sich keinen Gefallen, wenn sie "den eigenen Angstzustand" nicht überwinde. "Die SPD-Vorstellung, dass die Union Eingangsgeschenke dafür mitbringen soll, ist aus Sicht der SPD verständlich, entbehrt aber jeder Grundlage."
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