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Griechenland: Griechenland nach dem Referendum: Tsipras sieht sich im Vorteil

Griechenland

Griechenland nach dem Referendum: Tsipras sieht sich im Vorteil

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    Tsipras auf allen Kanälen: Nach Bekanntgabe der Referendums-Ergebnisse wandte sich der Ministerpräsident an das griechische Volk.
    Tsipras auf allen Kanälen: Nach Bekanntgabe der Referendums-Ergebnisse wandte sich der Ministerpräsident an das griechische Volk. Foto: Alexandros Vlachos (dpa)

    Der Störenfried ist weg. Wie gerne hätte die EU diese Nachricht am frühen Montagmorgen nach einem anderen Ergebnis des Referendums in Griechenland gehört. Die Euro-Finanzminister standen bereit, die Staats- und Regierungschefs auch. Und Gianis Varoufakis, der die Verhandlungen mit den Geldgebern auf so unvergleichlich penetrante Weise aufgehalten, ja gestört hat, würde endgültig nicht mehr mit am Tisch sitzen.

    Aber die Lage ist anders. Athen versinkt bis zum frühen Morgen in einem Siegestaumel, den er, so ein griechischer Europa-Abgeordneter, „zum letzten Mal beim Gewinn der Fußball-Europameisterschaft 2004 erlebt hat“. Dabei ist nichts gelöst. Von einer „Erleichterung“ der Gespräche durch den Varoufakis-Rücktritt spricht EU-Parlamentspräsident Martin Schulz. Aber er sagt auch: „Es hängt nicht davon ab, wer verhandelt, sondern über was verhandelt wird.“

    Tsipras: Griechenland ist zu Reformen bereit

    Genau das weiß niemand. Zwar deutet Athens Premierminister Alexis Tsipras bereits am Sonntagabend an, sein Land sei zu Reformen bereit. Dringend nötig seien aber auch Investitionen und die Umstrukturierung der Schulden. „Das Mandat, das Sie mir erteilt haben, ruft nicht nach einem Bruch mit Europa, sondern verleiht mir eine größere Verhandlungsmacht“, sagt er.

    Die wichtigsten Stichwörter zum Grexit

    BANKENRUN: Aus Angst vor der Staatspleite haben die Griechen längst Milliarden Euro von ihren Konten geholt oder ins Ausland geschafft. Am Wochenende bildeten sich vor Geldautomaten im Land lange Schlangen, weil die Griechen angesichts der wachsenden Unsicherheit ihr Geld in Sicherheit bringen wollen. Bei einem akuten Bankenrun versuchen die Kunden massenweise, ihre Konten leer zu räumen. Die Folgen: Die Banken bluten aus, sie können den Firmen kein Geld mehr leihen, die Wirtschaftsaktivität erliegt.

    KAPITALVERKEHRSKONTROLLEN: Um einen Bankenrun zu verhindern, müssten die Banken vorübergehend ganz geschlossen und Onlinetransfers unterbrochen werden. Wenn sie wieder aufmachen, würden Auslandsüberweisungen verhindert und Abhebungen an den Automaten auf kleinere Beträge begrenzt werden. So wurde es vor drei Jahren in Zypern gemacht. Den massiven Eingriff müsste die Regierung in Athen praktisch über Nacht mit einem Dringlichkeitsgesetz beschließen - gezwungen werden kann sie von den Euro-Partnerländern nicht.

    ZAHLUNGSUNFÄHIGKEIT: Ob ein Staat pleite ist, kann eigentlich nur eine Regierung selbst bestimmen. Aber wenn Ratingagenturen einen sogenannten Credit Event feststellen, gilt das Land am Markt als bankrott. Dazu müsse es aber selbst dann noch nicht kommen, wenn Athen seine beim Internationalen Währungsfonds (IWF) fällige Rate in Höhe von 1,5 Milliarden Euro am 30. Juni nicht begleicht, meint ING-Diba-Chefvolkswirt Carsten Brzeski. Denn dabei gehe es nicht um Marktpapiere. Entscheidend sei nicht der Markt, heißt es hingegen in Euro-Kreisen: Zahlt Athen nicht an den IWF zurück, müsste die Europäische Zentralbank (EZB) den Tropf für das griechische Finanzsystem zudrehen. Die Banken müssten praktisch über Nacht abgewickelt werden.

    GREXIT: Eine Pleite Athens hätte nicht automatisch das Euro-Aus für Griechenland - also den Grexit - zur Folge. Tatsächlich ist ein Rauswurf aus dem Euro-Club durch die übrigen Mitglieder nur möglich, wenn die griechische Regierung am Ende selbst zustimmt. Rechtlich gesehen müsste Athen auch aus der EU austreten und sich dann um eine Wiederaufnahme bewerben. 70 Prozent der Griechen wollen den Euro aber behalten. Bei einem Verbleib im Euro ohne weiteren finanziellen Beistand von EZB und Euro-Ländern trocknen Banken und Wirtschaft aber aus. Die Regierung wäre also zum Grexit und der Rückkehr zur Drachme gezwungen. Eine chaotische Übergangsphase von mindestens einem halben Jahr wäre die Folge, schätzten Ökonomen.

    PARALLELWÄHRUNG: Eine Art Mittelweg zwischen Euro und Grexit wäre die Einführung einer Parallelwährung: Weil dem Staat Barmittel fehlen, zahlt er Beamte und Rentner zumindest zum Teil mit Schuldscheinen aus. Um überhaupt noch Geschäfte zu machen, würden Händler und Dienstleister die Schuldscheine als Zahlungsmittel akzeptieren. Wegen des Risikos wären die Schuldscheine allerdings weniger Wert als der Euro. Die Schuldscheine werden in der Finanzwelt »IOU» genannt, nach dem Englischen »I Owe You» (Ich schulde Dir). Kalifornien griff im Sommer 2009 erfolgreich auf das Hilfsmittel zurück, um eine Pleitephase zu überbrücken.

    „Augenwischerei“, heißt es am Montag nach dem Auftritt und der Abstimmung, bei der sich über 61 Prozent der Wähler gegen die Reformauflagen der Geldgeber ausgesprochen haben. Griechenland beginnt, von einem Tag auf den nächsten zu leben. Zwar telefonieren schon am frühen Morgen die Spitzen der EU-Institutionen, Jean-Claude Juncker (Kommission), Donald Tusk (Europäischer Rat), Mario Draghi (Europäische Zentralbank) und Eurogruppen-Chef Jeroen Dijsselbloem miteinander.

    Am Dienstagmorgen werden die Euro-Finanzminister und am Abend die Staats- und Regierungschefs der Währungsunion zusammenkommen. Doch die entscheidende Runde dieses Montags findet in der Chefetage der Frankfurter Euro-Bank statt. „Die EZB wird nicht den Stecker ziehen“, mutmaßt der Chef des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, Michael Fratzscher, bevor die Entscheidung fällt: Griechenland bekommt noch mal einen höheren Überziehungskredit aus dem Ela-Notprogramm eingeräumt, damit die Banken endlich wieder öffnen können.

    Bundeskanzlerin Angela Merkel trifft sich mit François Hollande

    Es ist ein Befreiungsschlag mit begrenzter Haltbarkeit. Sollte Athen am 20. Juli nicht seine Rate von gut 3,5 Milliarden Euro nach Frankfurt zahlen, muss die EZB ihren Regeln folgen und die Kredite kündigen. Griechenland würde endgültig abstürzen. Doch an diesem Montag geht das noch einmal gut. Auch wenn niemand weiß, wie. Bundeskanzlerin Angela Merkel, die sich am Abend mit dem französischen Staatspräsidenten François Hollande in Paris berät, schließt ein drittes Hilfspaket jedenfalls aus. Sie weiß, dass sie damit sonst die eigenen Reihen im Bundestag gegen sich aufbringen würde.

    Was bliebe, wäre ein Griff in die Kriegskasse des dauerhaften ESM-Rettungsschirms. Schließlich liegen dort Kreditzusagen von über 700 Milliarden Euro als „Stabilitätshilfe unter angemessenen Auflagen“, wie es in Artikel 12 des ESM-Vertrages heißt. Doch im Abschnitt a) wird auch festgestellt, dass dazu eine „Gefahr für die Finanzstabilität des Euro-Währungsgebietes insgesamt oder seiner Mitgliedstaaten vorliegen muss“. Man wird sich schwertun, diese Notlage nun plötzlich auszurufen. Immerhin unterstreicht der für den Euro verantwortliche Vizepräsident der EU-Kommission, Valdis Dombrovskis, am Mittag nochmals: „Die Stabilität der Euro-Zone ist nicht infrage gestellt.“

    So warten die 18 Partner Griechenlands in der Währungsunion nun – bisher vergeblich – auf „neue Vorschläge aus Athen“, wie es Brüsseler Diplomaten ausdrücken. Nachdem bisher schon insgesamt 18 Angebote, Vorlagen, Listen und Kataloge gescheitert sind, hat nun niemand in der EU-Chefetage eine Ahnung, woher eine Lösung kommen sollte.

    Varoufakis-Entlassung ist ein Signal

    Dass Tsipras morgen in Brüssel anders auftreten, ja verbal abrüsten muss, wird allgemein erwartet. Die Entlassung seines Finanzministers ist zweifellos ein Signal, auch wenn der Chef der CDU-Abgeordneten im Europäischen Parlament, Herbert Reul, das Manöver als „Taschenspielertrick“ bezeichnet und offen ausspricht, was andere nur denken: „Ich verstehe nicht, warum wir auf

    Tatsächlich hat sich die Athener Seite bisher vor allem in einem Punkt als verlässlich erwiesen: wenn es um die eigenen Forderungen geht. Zuletzt pochte man auf 29 Milliarden Euro für zwei Jahre, finanziert durch den ESM-Rettungsschirm. Damit sollten die innerhalb der nächsten 24 Monate anfallenden Raten für die EZB und den Internationalen Währungsfonds (IWF) beglichen werden. Außerdem wollte man die Schulden umstrukturieren. Selbst führende

    Grexit bleibt eine theoretische Diskussion

    Und jetzt? Tsipras wird sich morgen den Staats- und Regierungschefs stellen. Die erwarten von ihm ein Angebot – und nicht nur Forderungen. Der griechische Premier muss seinen Sieg vom Sonntag zu Geld machen. Dass das nicht ohne Eigenleistung geht, sollte er wissen. Bisher kann er nur auf eine unumstößliche Absicht seiner Partner bauen: Aus der Euro-Zone wollen ihn die anderen nicht drängen. „Der Grexit ist und bleibt eine theoretische Diskussion“, wird aus dem Umfeld von Währungskommissar Pierre Moscovici kolportiert. Juncker, Merkel, Hollande – sie alle denken ebenso.

    Europas Reaktion an diesem Tag hat viel mit Ratlosigkeit, aber wohl auch mit unterdrückter Rache über die bisherige Behandlung durch ein Land zu tun, das „letzte Brücken eingerissen hat, über die man sich auf einen Kompromiss hätte zubewegen können“, wie es Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel ausdrückt. Doch solche Analysen mit viel Wut im Bauch müssen spätestens heute zur Seite geschoben werden. Denn heute Abend wird nur noch eines zählen: ein Ausweg, der noch dazu zügig möglich ist.

    Vom Finanzminister zum Wirtschaftsprofessor: Varoufakis ändert Twitter-Profil

    Einer, der bisher mittendrin war, sieht das Geschehen um die Rettung seines Landes offenbar immer noch als Spiel. Gianis Varoufakis ändert unmittelbar nach seinem Rücktritt sehr schnell sein Konto beim Kurznachrichtendienst Twitter. In seinem Profil ist da jetzt zu lesen: „Wirtschaftsprofessor, der in Ruhe mehrere Jahre obskure wissenschaftliche Texte schrieb, bis er aufgrund eines albernen Umgangs einer vermeintlichen Krise in die Öffentlichkeit gedrängt wurde.“

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