Startseite
Icon Pfeil nach unten
Politik
Icon Pfeil nach unten

Griechenland: Auch Tsakalotos kommt ohne Reform-Ideen nach Brüssel

Griechenland

Auch Tsakalotos kommt ohne Reform-Ideen nach Brüssel

    • |
    Der neue griechische Finanzminister Euklid Tsakalotos in Brüssel.
    Der neue griechische Finanzminister Euklid Tsakalotos in Brüssel. Foto: Stephanie Lecocq, dpa

    Erst ist es nur ein Gerücht. Dann bestätigen Diplomaten, was niemand wirklich fassen kann: Der neue griechische Finanzminister Euklidis Tsakalotos ist ohne neue Vorschläge für eine Einigung mit der Euro-Familie nach Brüssel gekommen. Auch Premier Alexis Tsipras werde am Abend kein Papier aus dem Hut zaubern, bestätigen Vertreter seiner Delegation.

    Von „schwierigen Verhandlungen“ hatte der Chef der Euro-Finanzminister, Jeroen Dijsselbloem, schon vor dem Beginn des Sondertreffens gesprochen. Es kommt zu gar keinen Verhandlungen, weil „alles bei Athen liegt“, drückte es Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble aus – und schickte hinterher: „Es gibt kein Hilfsprogramm. Und ohne Programm können wir Griechenland nicht helfen.“ Das nächste Kapitel eines endlosen Durcheinanders folgte.

    Griechenlands Unterhändler beantragen 29 Milliarden Euro

    Die wichtigsten Stichwörter zum Grexit

    BANKENRUN: Aus Angst vor der Staatspleite haben die Griechen längst Milliarden Euro von ihren Konten geholt oder ins Ausland geschafft. Am Wochenende bildeten sich vor Geldautomaten im Land lange Schlangen, weil die Griechen angesichts der wachsenden Unsicherheit ihr Geld in Sicherheit bringen wollen. Bei einem akuten Bankenrun versuchen die Kunden massenweise, ihre Konten leer zu räumen. Die Folgen: Die Banken bluten aus, sie können den Firmen kein Geld mehr leihen, die Wirtschaftsaktivität erliegt.

    KAPITALVERKEHRSKONTROLLEN: Um einen Bankenrun zu verhindern, müssten die Banken vorübergehend ganz geschlossen und Onlinetransfers unterbrochen werden. Wenn sie wieder aufmachen, würden Auslandsüberweisungen verhindert und Abhebungen an den Automaten auf kleinere Beträge begrenzt werden. So wurde es vor drei Jahren in Zypern gemacht. Den massiven Eingriff müsste die Regierung in Athen praktisch über Nacht mit einem Dringlichkeitsgesetz beschließen - gezwungen werden kann sie von den Euro-Partnerländern nicht.

    ZAHLUNGSUNFÄHIGKEIT: Ob ein Staat pleite ist, kann eigentlich nur eine Regierung selbst bestimmen. Aber wenn Ratingagenturen einen sogenannten Credit Event feststellen, gilt das Land am Markt als bankrott. Dazu müsse es aber selbst dann noch nicht kommen, wenn Athen seine beim Internationalen Währungsfonds (IWF) fällige Rate in Höhe von 1,5 Milliarden Euro am 30. Juni nicht begleicht, meint ING-Diba-Chefvolkswirt Carsten Brzeski. Denn dabei gehe es nicht um Marktpapiere. Entscheidend sei nicht der Markt, heißt es hingegen in Euro-Kreisen: Zahlt Athen nicht an den IWF zurück, müsste die Europäische Zentralbank (EZB) den Tropf für das griechische Finanzsystem zudrehen. Die Banken müssten praktisch über Nacht abgewickelt werden.

    GREXIT: Eine Pleite Athens hätte nicht automatisch das Euro-Aus für Griechenland - also den Grexit - zur Folge. Tatsächlich ist ein Rauswurf aus dem Euro-Club durch die übrigen Mitglieder nur möglich, wenn die griechische Regierung am Ende selbst zustimmt. Rechtlich gesehen müsste Athen auch aus der EU austreten und sich dann um eine Wiederaufnahme bewerben. 70 Prozent der Griechen wollen den Euro aber behalten. Bei einem Verbleib im Euro ohne weiteren finanziellen Beistand von EZB und Euro-Ländern trocknen Banken und Wirtschaft aber aus. Die Regierung wäre also zum Grexit und der Rückkehr zur Drachme gezwungen. Eine chaotische Übergangsphase von mindestens einem halben Jahr wäre die Folge, schätzten Ökonomen.

    PARALLELWÄHRUNG: Eine Art Mittelweg zwischen Euro und Grexit wäre die Einführung einer Parallelwährung: Weil dem Staat Barmittel fehlen, zahlt er Beamte und Rentner zumindest zum Teil mit Schuldscheinen aus. Um überhaupt noch Geschäfte zu machen, würden Händler und Dienstleister die Schuldscheine als Zahlungsmittel akzeptieren. Wegen des Risikos wären die Schuldscheine allerdings weniger Wert als der Euro. Die Schuldscheine werden in der Finanzwelt »IOU» genannt, nach dem Englischen »I Owe You» (Ich schulde Dir). Kalifornien griff im Sommer 2009 erfolgreich auf das Hilfsmittel zurück, um eine Pleitephase zu überbrücken.

    Denn plötzlich kündigten die hellenischen Unterhändler doch an, ein neues Programm zu beantragen: 29 Milliarden Euro sollen es sein, finanziert durch den ESM-Rettungsschirm. Eine gute und schnelle Lösung kann das nicht werden, weil alleine die Genehmigung durch die Parlamente der Euroländer Monate dauern dürfte.

    Viel wichtiger aber ist, dass die Bitte des Athener Finanzministers Tsakalotos keine Reformversprechen als Gegenleistungen enthielt. So weit war man am 27. Juni schon einmal, damals platzten die Gespräche. Schon war von einer neuen Brüskierung der Euro-Familie die Rede. „Heute sitzen hier in Brüssel alle zusammen, die entscheiden könnten. Zu Hause sind die Banken zu. Warum nutzt Tsipras diese Möglichkeit nicht?“, fragte sich ein fassungsloser hoher EU-Diplomat.

    Grexit ist einer von zwei möglichen Wegen

    Tag zwei nach dem Referendum: Die Spitzen der Währungsunion waren nach Brüssel geeilt. Aber die Atmosphäre schien eine andere als noch bei den vorangegangenen Begegnungen. Das Misstrauen gegen die griechische Führung saß tief. „Wir müssen erst einmal das verlorene Vertrauen wiederherstellen“, sagte der für Eurofragen zuständige Vizepräsident der EU-Kommission, Valdis Dombrowskis. Er blieb nicht der Einzige, der bislang stets einen Grexit weit von sich gewiesen hatte – und ihn nun als „einen von zwei möglichen Wegen“ beschreibt.

    Nur Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker und der französische Regierungschef Manuel Valls verteidigten uneingeschränkt die Versuche, Athen im Euro zu halten. Der CDU-Europa-Abgeordnete Markus Pieper verteilte sogar seine Forderungen, der Euro-Gipfel der Staats- und Regierungschefs solle am Abend „ohne weitere Verzögerung den Austritt Griechenlands aus der Eurozone beschließen“. Gleichzeitig solle die Gemeinschaft Programme zur sozialen Abfederung der Währungsumstellung auflegen. Dafür gibt es bereits Pläne, hieß es am Nachmittag. Rund eine Milliarde Euro sei man bereit, zugunsten der Griechen auf dem Weg zur Drachme in die Hand zu nehmen. Das klingt viel, ist aber nur ein Tropfen auf den heißen Stein.

    Die Hoffnung der Griechen auf einen Schuldenschnitt dürfte kaum aufgehen

    Noch vor dem Treffen der Chefs schienen alle Hoffnungen auf einen deutlichen Schritt nach vorne geplatzt zu sein. Sollten die Beratungen tatsächlich derart ergebnislos enden, dürfte die Europäische Zentralbank (EZB) am Mittwoch ihre Pläne für eine Überbrückungshilfe und eine weitere Erhöhung der Ela-Nothilfen für die hellenischen Banken wieder in den Schubladen verschwinden lassen. Und auch die Hoffnung Athens auf einen Schuldenschnitt dürfte kaum aufgehen. „Ein solcher Schritt fällt unter das Bailout-Verbot“, machte Schäuble schon vor dem Treffen klar. Soll heißen: Die europäischen Verträge erlauben keine Übernahme oder die Tilgung von Schulden durch Dritte.

    Als die Bundeskanzlerin schließlich am Abend in Brüssel mit ihren Kollegen zusammentraf, gab es nichts, was nach dem Referendum anders war als vorher. „Man kann nicht die Reformauflagen ablehnen und in der Eurozone bleiben wollen“, erklärt Luxemburgs Finanzminister Pierre Gramegna. Der Grexit war an diesem Abend vor den Gesprächen der Staats- und Regierungschefs eine reale Möglichkeit geworden.

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden