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Corona-Impfung: Gesundheitsminister Spahn und die Impfstoff-Misere

Corona-Impfung

Gesundheitsminister Spahn und die Impfstoff-Misere

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    Gesundheitsminister Spahn in der Defensive: In den Bundesländern kommt kein Impfstoff an.  Doch der CDU-Politiker kann kaum mehr umsteuern.
    Gesundheitsminister Spahn in der Defensive: In den Bundesländern kommt kein Impfstoff an. Doch der CDU-Politiker kann kaum mehr umsteuern. Foto: Michael Sohn, dpa

    Die Wirklichkeit hat den Minister schnell eingeholt. Nur wenige Stunden nachdem er am Mittwoch seine europäische Impfstoffstrategie verteidigt hat, fallen über Jens Spahn (CDU) seine Amtskollegen aus den Bundesländern her. Sie motzen in eindeutigen Worten darüber, dass erst wieder in der zweiten Januarwoche frisches Corona-Gegenmittel geliefert wird. Bislang hat Spahn in den Augen der meisten Wähler vieles richtig gemacht im ausgehenden Seuchenjahr. Er ist zum beliebtesten Politiker des Landes aufgestiegen.

    In dieser Reihenfolge wird in Deutschland gegen Corona geimpft

    Die Reihenfolge der Impfungen ist in einer Verordnung des Gesundheitsministeriums festgelegt.

    Zunächst sollen Menschen an die Reihe kommen, die unter "höchste Priorität" eingestuft sind. Dazu gehören Bürgerinnen und Bürger, die älter als 80 Jahre sind, ...

    ...genauso wie Menschen, die in Pflegeheimen betreut werden oder dort arbeiten.

    Auch Pflegekräfte in ambulanten Diensten und Beschäftigte in medizinischen Einrichtungen mit erhöhtem Expositionsrisiko gehören dazu. Darunter fallen: Mitarbeiter in Corona-Impfzentren, Notaufnahmen oder Intensivstationen.

    "Höchste Priorität" haben außerdem Beschäftigte in medizinischen Einrichtungen, die Risikogruppen behandeln. Darunter ist zum Beispiel die Transplantationsmedizin gelistet.

    Als nächstes sollen Menschen geimpft werden, die unter "hohe Priorität" kategorisiert sind. In erster Linie sind das jene, die über 70 Jahre alt sind.

    Auch wer bestimmte Erkrankungen oder Behinderungen aufweist, fällt in diese Kategorie. Dazu gehören Trisomie 21 und Demenz. Auch wer eine Organtransplantation hatte, wird mit hoher Priorität geimpft.

    Es genügt außerdem, Kontaktperson von Menschen in Risikogruppen zu sein, um mit hoher Priorität geimpft zu werden werden. Dazu gehören enge Kontaktpersonen von Menschen über 80, von Schwangeren oder Bewohnern von Pflegeheimen. Auch Personen, die in Einrichtungen für Senioren oder für Menschen mit geistiger Behinderung leben, sollen mit hoher Priorität geimpft werden. Außerdem fallen Pflegerinnen und Pfleger, die Menschen mit Behinderung stationär oder ambulant betreuen, in diese Kategorie.

    Auch bestimmte Berufsgruppen sollen schnell an die Reihe kommen. Vor allem solche, die in der Öffentlichkeit aktiv sind und viel Kontakt zu Bürgern haben. Dazu gehören Polizisten und Ordnungskräfte, die auf Demonstrationen unterwegs sind, sowie Mitarbeiter in Flüchtlings- und Obdachlosenunterkünften oder Krankenhäusern.

    Als dritte Kategorie definiert das Gesundheitsministerium Menschen mit "erhöhter Priorität". Dazu gehört die Altersgruppe zwischen 60 und 70 Jahren.

    Außerdem sollen dann Menschen geimpft werden, die zwar in medizinischen Berufen arbeiten, aber einem niedrigerem Expositionsrisko ausgesetzt sind. Dazu gehören Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Laboren.

    Erhöhte Priorität haben auch Menschen mit folgenden Krankheiten: Adipositas, chronische Nierenerkrankung, chronische Lebererkrankung, Immundefizienz oder HIV-Infektion, Diabetes mellitus, diversen Herzerkrankungen, Schlaganfall, Krebs, COPD oder Asthma, Autoimmunerkrankungen und Rheuma.

    Auch bestimmte Berufsgruppen fallen in diese Kategorie. Darunter Lehrer und Erzieher, Polizisten, Regierungsmitarbeiter, Verwaltungsangestellte, Feuerwehrmänner und -frauen, Katastrophenschutz, THW oder Justiz.

    Erhöhte Priorität haben außerdem Menschen, die in kritischer Infrastruktur arbeiten. Dazu gehören Apotheken und Pharmawirtschaft, öffentliche Versorgung und Entsorgung, Ernährungswirtschaft, Transportwesen, Informationstechnik und Telekommunikation.

    Auch Personen mit prekären Arbeits- oder Lebensbedingungen werden mit erhöhter Priorität geimpft.

    Wer nicht in eine dieser drei Kategorien fällt, wird ohne Priorität geimpft. Also erst dann, wenn Menschen aus diesen Kategorien an der Reihe waren.

    Doch Dankbarkeit ist keine Kategorie im politischen Mahlwerk. Im neuen Jahr wird der Bundesgesundheitsminister daran gemessen werden, wie schnell und umfassend die Deutschen die rettenden Spritzen bekommen. Zwischen den Nationen wird ein scharf beäugter Wettbewerb ausgetragen, wer am schnellsten Millionen Menschen impfen kann.

    Israel und Großbritannien im Impf-Wettrennen vorn, Deutschland hinten

    Derzeit liegt Israel vorn, das schon über fünf Prozent seiner Bewohner geimpft hat, während Deutschland noch meilenweit von einem Prozent entfernt liegt. Die Regierung in Tel Aviv hat dem US-Pharmakonzern Pfizer schlichtweg mehr Geld bezahlt und wird bevorzugt mit dem von Biontech in Deutschland entwickelten Impfstoff versorgt. Pfizer ist der Produktionspartner von Biontech.

    Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu hat sich schon öffentlichkeitswirksam impfen lassen.
    Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu hat sich schon öffentlichkeitswirksam impfen lassen. Foto: Alex Kolomoisky, dpa

    Großbritannien hat nun bereits die Zulassung für den dritten Impfstoff erteilt und peilt für das Frühjahr Herdenimmunität an, während Berlin und die EU-Partner noch auf Genehmigung von Nummer zwei warten.

    Der deutsche Gesundheitsminister muss jetzt erleben, dass europäische Solidarität zwar gerne beschworen wird, sie aber in der Heimat keinen Applaus einbringt, wenn sie in Anspruch genommen wird. Eindringlich warb Spahn daher dafür, kleinere EU-Länder nicht allein zu lassen im Kampf gegen den Erreger. Als Beispiel nannte er Kroatien. „Bis so ein Medikament in Kroatien in der Versorgung angekommen ist, vergehen teilweise Jahre. Ich weiß gar nicht, ob die Deutschen sich das immer bewusst machen?“

    Jens Spahn's Dilemma: Es müssen mehr Impfstoffe her

    Spahn steht vor dem Dilemma, dass er jetzt nicht mehr umsteuern kann. Die europäische Abmachung aufzukündigen, ist undenkbar. Biontech arbeitet am Aufbau einer Fabrik in Marburg, die aber erst im Februar angefahren werden wird. Pfizer beliefert die ganze Welt. Selbst wenn beide Unternehmen zustimmen würden, dass andere Pharmabetriebe ihr Mittel in Lizenz herstellen dürften, vergingen Wochen bis zum Anlaufen der Anlagen.

    Die einzige Hoffnung für eine bessere Versorgung ist die Zulassung anderer Impfstoffe. Die US-Firma Moderna wird in der EU mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit am 6. Januar die Genehmigung für ihren Wirkstoff erhalten. „Ich sehe dem mit Zuversicht entgegen, dass wir auch hier einen guten Impfstoff haben werden“, sagte der Chef der deutschen Zulassungsbehörde, Klaus Cichutek. Die nach dem Medizin-Nobelpreisträger Paul Ehrlich benannte Behörde ist an der Prüfung des Moderna-Präparats auf europäischer Ebene beteiligt.

    Nächster Kandidat für die Zulassung: Modernas Mittel hat in Testreihen eine hohe Wirksamkeit von rund 94 Prozent bewiesen.
    Nächster Kandidat für die Zulassung: Modernas Mittel hat in Testreihen eine hohe Wirksamkeit von rund 94 Prozent bewiesen. Foto: Joel Saget, dpa

    Corona in Deuschland: Hoffen auf weitere Impfstoffe und langer Lockdown

    Aber selbst wenn der Impfstoff grünes Licht erhält, wird das die angespannte Lage in Deutschland nur lindern. Der Gesundheitsminister rechnet mit anderthalb bis zwei Millionen Dosen, die davon bis Ende März an die Bundesrepublik geliefert werden können. Ähnlich wie bei dem Biontech-Serum muss auch das Moderna-Mittel zweimal gespritzt werden. Aus diesem Grund werden höchstens eine Million Menschen hierzulande von dem Stoff geschützt werden. Hinzu kommen sechs Millionen weitere, die je zwei Spritzen mit dem Biontech-Produkt erhalten sollen. Sieben Millionen Geimpfte reichen aber nicht aus, um den Erreger wirksam zurückzudrängen.

    Spahn muss also darauf setzen, dass mindestens der Pharmariese AstraZeneca nach Großbritannien auch schnell eine Zulassung in der EU erhält. Cichutek gab sich zuversichtlich, dass das bald erfolgen kann.

    Weil das Impfen hierzulande nur stockend in Gang kommt, dürften in den nächsten Wochen die Kliniken weiter schwer beansprucht sein. Spahn schloss eine Lockerung des Zwangsstillstandes („Lockdown“) nach dem 10. Januar daher aus. „Da ist kein Weg, dass das in zwei oder drei Wochen vorbei ist.“

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