Mit solch einem Gegenwind hatte Bundesgesundheitsminister Jens Spahn nicht gerechnet. An sich meint der CDU-Politiker es gut mit den Patientinnen und Patienten, denn er will mit einem neuen Gesetz die Terminvergabe in den Arztpraxen verbessern und beschleunigen. In diesem Gesetz aber gibt es einen Punkt, der bei Psychotherapeuten und psychisch Kranken einen Sturm der Entrüstung entfacht hat. Für psychisch kranke Menschen soll es eine Art Stufenregelung geben, bei der ein Experte zunächst einmal die Dringlichkeit des Falls bewertet.
Nicht nur, dass der Koalitionspartner SPD das Vorhaben rundweg ablehnt – Spahn sieht sich darüber hinaus mit einer der größten Online-Petitionen in der Geschichte des Bundestages konfrontiert. Genau 205.331 Menschen haben eine Petition unterzeichnet, in der die Ablehnung des Gesetzentwurfes gefordert wird. Die Petenten fürchten unter anderem einen Hürdenlauf für psychisch Kranke und Diskriminierung. Eine gestufte und gesteuerte Versorgung würde die freie Wahl des Psychotherapeuten einschränken, warnt Claudia Ritter-Rupp von der Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns.
Außerdem würde das geplante Verfahren nicht nur die Wartezeiten auf eine Psychotherapie verlängern, psychisch kranke Menschen müssten ihre Leidensgeschichte und ihre Probleme gleich mehrfach hintereinander Gutachtern, Koordinatoren und Behandlern offenbaren, die sie vorher noch nie gesehen hätten. Ein solches Vorhaben, sagt sie an die Adresse von Spahn, sei „beschämend, destabilisierend und diskriminiert psychisch kranke Patienten“.
"Neue Engpässe für psychisch kranke Menschen"
Der Präsident der Psychotherapeutenkammer Bayern, Nikolaus Melcop, kritisiert Spahns Idee ebenfalls: „Durch den vorgesehenen Zwischenschritt werden neue Engpässe für psychisch kranke Menschen geschaffen, statt einen schnelleren Zugang zu psychotherapeutischer Versorgung zu ermöglichen.“ Melcop zog auch das eigentliche Ansinnen Spahns, eine schnellere Terminvergabe, in Zweifel. Eine Verkürzung der Wartezeit auf einen Therapieplatz wäre von der vorgesehenen Maßnahme gerade nicht zu erwarten, da Kapazitäten und Ressourcen für die vorausgehende Begutachtung benötigt würden.
Rückendeckung bekommen Therapeuten und Patienten von der SPD-Bundestagsfraktion. Deren Gesundheitsexperte Karl Lauterbach bekräftigt im Gespräch mit unserer Redaktion, dass seine Partei das Gesetz so nicht mittragen werde. „So kurzfristig, wie das jetzt angedacht ist, finden wir dazu keine Lösung“ , sagt er. Sinnvoller sei es, die umstrittenen Regelungen aus dem Gesetz herauszunehmen. „Darauf wird es wohl hinauslaufen, weil wir das so schnell nicht vereinbaren werden.“ Anderenfalls bestehe die Gefahr, „dass wir da etwas beschließen, was weitere Hürden aufbaut für die Patienten, die ohnedies nur schwer Zugang haben“, sagte Lauterbach.
Der gelernte Arzt kündigt weitere Gespräche insbesondere mit den Patientenvertretern sowie mit den psychotherapeutischen Verbänden an. Auch Spahn selbst deutet Kompromissbereitschaft an. „Wenn wir zu dem Ergebnis kommen, dass die hier vorgeschlagene Regelung verbesserungsfähig ist: Prima!“, sagte er bei der ersten Debatte über das Gesetz im Bundestag. Er wisse sehr genau, aus persönlichem Erleben in der eigenen Familie, im engsten Umfeld, was eine psychische Erkrankung sei und was sie für die Betroffenen und die Familie bedeute.
Was soll Spahn ändern? Lesen Sie dazu auch den Kommentar.