Spitzenpolitiker reisen viel- und komfortabel. Ihr Chauffeur bringt sie im Dienstwagen bis an die Treppe zum Flugzeug, Referenten, Sprecher und andere stille Zuarbeiter tragen ihnen die Akten hinterher und versorgen sie mit jeder noch so unwichtigen Information, der Service an Bord hat First-Class-Qualität, in einigen Maschinen gibt es sogar ein kleines Separee mit einer Schlafgelegenheit – und wenn der Flieger in Paris oder Washington gelandet ist, schafft der Gepäckmeister die Koffer der Reisenden direkt auf ihre Hotelzimmer.
Die kleinen Beschwerlichkeiten des Alltags bleiben Angela Merkel und ihren Ministern so erspart, auf Reisen vor allem, aber auch im Berliner Alltag. Sie müssen vor Terminen keine Parkplätze suchen, an keinem Eingang Schlange stehen und dürfen gerne auch ein Glas mehr trinken. Der Chauffeur wartet ja vor der Tür und fährt sie später nach Hause.
Doch so entspannt und privilegiert das klingt, so stressig und eng sind heute auf der anderen Seite die Terminpläne vieler Spitzenpolitiker durchgetaktet. Durch fünf oder sechs Zeitzonen zum nächsten Gipfel und gleich wieder zurück? Für Vielflieger wie die Kanzlerin, den Außen- oder den Finanzminister ist das nichts Ungewöhnliches. Ob Angela Merkels Zitteranfälle ein Zeichen mentaler Überforderung oder nachlassender Kräfte sind, weiß im Moment zwar nur Angela Merkel selbst. Die Liste mit prominenten Politikern, die Raubbau an ihrer Gesundheit betrieben oder Krankheiten verschwiegen haben, um keine Zweifel an ihrer Leistungsfähigkeit aufkommen zu lassen, ist allerdings auch so schon lang genug.
Willi Brandts Depressionen nannte man „Erkältung“
Willi Brandts Depressionen wurden von seinen Sprechern gerne in fiebrige Erkältungen umgewidmet. Auch Helmut Schmidt machte aus seinen Herzbeschwerden lange ein Staatsgeheimnis. „Ich bin nie ganz gesund gewesen“, gestand er jahrzehnte nach seinem Ausscheiden. Annähernd 100 Mal sei er als Kanzler bewusstlos gewesen, manchmal nur Sekunden, manchmal aber auch minutenlang.
Helmut Kohl wiederum schob 1989 eine dringende Prostata-Operation auf und schleppte sich unter großen Schmerzen zum Parteitag nach Bremen. Andernfalls, fürchtete er, hätten ihn seine innerparteilichen Gegner dort vermutlich gestürzt. In seinen Memoiren schrieb er später: „In der damaligen Situation hätte mir niemand abgenommen, dass ich wirklich krank war.“ Viele hätten dann gedacht, er wolle sich vor der Auseinandersetzung mit Heiner Geißler und seinen Anhängern drücken.
Matthias Platzeck unterschlug einen Herzanfall
Matthias Platzeck, zwischenzeitlich die neue Kanzlerhoffnung der SPD, unterschlug als Brandenburger Ministerpräsident im Sommer 2013 einen Schlaganfall – sein Büro sprach damals lediglich von einer kleinen Kreislaufschwäche. Sieben Jahre zuvor hatte Platzeck nach einer schweren Grippe, zwei Hörstürzen und einem Kreislaufkollaps bereits sein Amt als SPD-Chef nach nur fünf Monaten wieder niederlegen müssen. „Ich habe meine Kräfte überschätzt“, räumte er später ein, machte aber als Ministerpräsident unverdrossen weiter und halste sich sogar noch ein Ehrenamt als Aufsichtsratsvorsitzender der Berliner Flughafengesellschaft auf.
Viel Stress, wenig Bewegung, 70 bis 80 Arbeitsstunden pro Woche und dabei auch noch ständig unter Beobachtung: Wenn Politiker krank werden, denken sie nicht nur an ihre Gesundheit, sondern auch an die Assoziationen, die sie mit ihrer Krankheit womöglich draußen, im Land, wecken. Schafft der (oder die) das noch? Ist das Land bei ihm (oder ihr) noch in guten Händen? Kann man ihn (oder sie) denn noch ruhigen Gewissens wählen? Vor allem der mediale Druck, hat der frühere SPD-Chef Kurt Beck schon vor Jahren geklagt, erreiche „zeitweise die Grenze zur Unmenschlichkeit“.
Rainer Brüderle gab Interviews aus der Klinik
Rainer Brüderle etwa, der Spitzenkandidat der FDP im Bundestagswahlkampf 2013, lag nach einem schweren Sturz noch in der Klinik, als er am Telefon schon wieder die ersten Interviews gab – es war ja Wahlkampf, also musste er funktionieren. Wolfgang Schäuble empfing als Finanzminister einen Reporter gar im Schlafanzug im Krankenzimmer, um zu zeigen, wie gut er sein Ressort auch von dort aus im Griff hat.
Und Wolfgang Bosbach wurde irgendwann nicht mehr nur als profunder Innenpolitiker in die großen Talkshows eingeladen, sondern auch, weil er so offen über seine Krebserkrankung sprach. Eine Herzmuskelentzündung hatte er da schon hinter sich – eine Krankheit, die auch Innenminister Horst Seehofer im Januar 2002 fast das Leben gekostet hätte. Von der Politik lassen aber wollte auch er nicht.
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