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Gesellschaft: "Nein" heißt beim neuen Sexualstrafrecht nun wirklich "Nein!"

Gesellschaft

"Nein" heißt beim neuen Sexualstrafrecht nun wirklich "Nein!"

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    Junge Menschen demonstrierten beim Prozess von Gina-Lisa Lohfink vor dem Berliner Amtsgericht für ein neues Sexualstrafrecht, das  im Bundestag auch einstimmig beschlossen wurde.
    Junge Menschen demonstrierten beim Prozess von Gina-Lisa Lohfink vor dem Berliner Amtsgericht für ein neues Sexualstrafrecht, das im Bundestag auch einstimmig beschlossen wurde. Foto: imago

    Gina-Lisa Lohfink war früher als Model, Busenwunder und Partygirl halbwegs bekannt. Derzeit steht die 29-Jährige allerdings mehr denn je in den Schlagzeilen und wird unverhofft zum Symbol einer neuen Frauenbewegung, die nun in der Reform des Sexualstrafrechts gipfelt. Lohfink soll nach eigener Aussage vor vier Jahren von zwei Männern vergewaltigt worden sein.

    Die Berliner Staatsanwaltschaft glaubte ihr jedoch nicht und brummte ihr wegen „falscher Verdächtigung“ eine Geldstrafe von rund 25000 Euro auf. Dagegen legte sie Einspruch ein. Viele Feministinnen haben sich seitdem mit Lohfink solidarisiert. Vor dem Berliner Amtsgericht protestierten vergangene Woche zahlreiche Menschen mit Gina-Lisa-Plakaten und skandierten „Nein heißt nein, du bist nicht allein!“. Selbst SPD-Familienministerin Manuela Schwesig schaltete sich ein und twitterte bezüglich des Gerichtsprozesses: „Wir brauchen endlich die Verschärfung des Sexualstrafrechts“.

    Am Donnerstag hat der Bundestag nun die Reform des Sexualstrafrechts beschlossen, die Zustimmung des Bundesrates steht noch aus. Künftig gilt bei sexuellen Aufforderungen und Anspielungen der klare Grundsatz „Nein heißt nein!“. Im Fokus steht Paragraf 177 des Strafgesetzbuches, der sexuelle Nötigung und Vergewaltigung unter Strafe stellt: Bislang musste ein Täter Gewalt angewandt, sein Opfer bedroht oder dessen schutzlose Lage ausgenutzt haben, um sich nach diesem Paragrafen strafbar zu machen.

    Künftig, so sieht es die Reform vor, sollen alle nicht einvernehmlichen Handlungen als sexuelle Übergriffe geahndet werden, auch wenn das Opfer nicht Gewalt anwendet und keinen Widerstand leistet. Der neue Maßstab ist nun der entgegenstehende Wille des Opfers, der durch entsprechende Körpersprache oder ein einfaches „Nein“ zum Ausdruck gebracht werden kann. Das klingt an sich nach einer pragmatischen Regelung, doch schafft sie auch in der Praxis Klarheit?

    Typisches Szenario, in dem neues Sexualstrafrecht greift

    Folgender Fall ist ein typisches Szenario: Ein Mann und eine Frau lernen sich eines Abends beim Ausgehen kennen, trinken etwas zusammen und landen später zusammen im Bett. Es wird geküsst und gekuschelt. Plötzlich steigt die Frau aus dem Liebesspiel aus, zeigt an, dass sie nicht mehr weitermachen will.

    Genau hier greift das neue Sexualstrafrecht: Schüttelt die Frau ihren Kopf, wendet sich ab oder sagt auf irgendeiner anderen Art und Weise „Nein“, bedeutet das für den Mann: bis hierhin und nicht weiter! Es gibt keinen schwammigen Bereich des Wollens und nicht Wollens mehr. Die Grenzen des Erlaubten und Unerlaubten sind durch die Reform nun klarer geregelt.

    In der Praxis könnte die Verurteilung von Sexualstraftätern jedoch noch komplizierter werden – gerade wenn zwei Aussagen gegeneinanderstehen. Wer auf eine höhere Verurteilungsquote hoffe, wird nach Angaben von Sven Rebehn, Geschäftsführer des Deutschen Richterbundes, enttäuscht: „Bei Aussage gegen Aussage wird es für die Justiz nun besonders schwer, ohne weitere Anhaltspunkte zu einer Verurteilung zu kommen.“ Ohne das mit der Reform wegfallende Droh- und Gewaltelement werde die Urteilsbildung nun zu einer noch größeren Herausforderung für die Gerichte.

    Rebehn kritisiert, dass das Gesetz überstürzt verabschiedet worden sei. „Die Tatbestände sind unzureichend aufeinander abgestimmt“, sagt Rebehn. Es sei offensichtlich Schnelligkeit vor Sorgfalt gegangen, weil die Reform unbedingt noch vor der Sommerpause verabschiedet werden sollte.

    Leidenschaftliche Liebesnacht oder Vergewaltigung?

    Das neue Sexualstrafrecht stärkt die Rolle der Opfer. Allerdings macht diese Macht manchen auch Angst. „Was leidenschaftliche Liebesnacht und was Vergewaltigung war, definiert die Frau am Tag danach. Die Folge: Bei den Sexualpartnern zieht Misstrauen ein“, schreibt etwa die Journalistin Sabine Rückert in der Zeit. Das Intime gerate in Verdacht, das Schlafzimmer werde zum gefährlichen Ort.

    Richterbund-Geschäftsführer Rebehn hält derlei heraufbeschworene Ängste vor einer Flut von falschen Verdächtigungen für Unsinn: „Ich glaube nicht, dass es mehr Falschaussagen geben wird.“ Die allgemeine Hemmschwelle für falsche Beschuldigungen sinke durch die Gesetzesreform nicht. Die Quote für Falschaussagen liegt nach Angaben des deutschen Frauenrates ohnehin bei gerade einmal drei Prozent. Dagegen würden nach Angaben der Frauenrechtsorganisation „Terre des Femmes“ gerade einmal fünf Prozent aller Sexualstraftaten überhaupt angezeigt.

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