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Gastbeitrag: Wie Viktor Orbán zu dem wurde, der er heute ist

Gastbeitrag

Wie Viktor Orbán zu dem wurde, der er heute ist

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    Bei vielen älteren Ungarn gilt er als „Held“: der umstrittene Premierminister Viktor Orbán. Mit großem Geschick sichert er sich Sympathiepunkte.
    Bei vielen älteren Ungarn gilt er als „Held“: der umstrittene Premierminister Viktor Orbán. Mit großem Geschick sichert er sich Sympathiepunkte. Foto: Darko Vojinovic, dpa

    Vor genau 20 Jahren erhielt Viktor Orbán den Franz-Josef-Strauß-Preis, für „hervorragende Leistungen in Politik“, da er sich „in herausragender Weise für Frieden, Freiheit und Recht, für Demokratie und internationale Verständigung eingesetzt habe“. Heute gilt Orbán als „Europas Bösewicht“, „Held der Nationalisten“, „Autokrat“ und „Diktator“. Wie kann sich jemand so extrem verwandeln? Wieso wird er europaweit vielfach geradezu verachtet, aber in Ungarn immer noch geschätzt?

    Viktor Orbán: vom Jungsozialisten zum konservativen Herrscher

    Seine politische Laufbahn begann Orbán als Vorsitzender der Jugendorganisation der Ungarischen Sozialistischen Arbeitspartei. 1988 half ihm die Soros-Stiftung, seine „kommunistischen Sympathien“ zu überwinden und die liberale Partei Fidesz zu gründen. Wenige Jahre später durchlebte die Partei eine massive Transformation, hin zu einer konservativen Ideologie. Der Wandel ging so weit, dass

    Im Hintergrund arbeitete Orbán ständig am Kult um seine Person. Immer gelang es ihm, aus Niederlagen letztlich gestärkt hervorzugehen. Anlass für seine öffentliche politische Wende waren die Wahlniederlagen von 2002. Als amtierender Ministerpräsident entschied er sich mit erstaunlicher politischer Flexibilität für die Reform der Partei. Schon zehn Jahre nach der Wende erinnerte fast nichts mehr an den Politiker, dessen Mentor einst Bundeskanzler Helmut Kohl war. 2006 unterlag Orbán ganz knapp bei den Wahlen – ein Trauma, das ihn selbst stark veränderte.

    2010 stand ein neuer Viktor Orbán auf der politischen Bühne. Fidesz war zu diesem Zeitpunkt bereits stark auf ihn zugeschnitten, nichts geschah mehr ohne sein Einverständnis. Fidesz schaffte das Unfassbare: Die Partei gewann die absolute Mehrheit im Parlament. Orbán drehte Ungarn in der Folge auf einen autoritär-nationalistischen Kurs, geprägt von der wichtigen Rolle der christlichen Kirche und der traditionellen Familie. Der Illiberalismus war Orbáns neues Ziel. Dabei setzte er auf die Veränderung der Verfassung, die Begrenzung der Kompetenz des Verfassungsgerichts, die Umgestaltung des Personalapparates des Staates, ein neues Mediengesetz und die Zentralisierung des Landes. Die Pressefreiheit wurde massiv eingeschränkt. Fast alle wichtigen Ämter sind mit Mitgliedern oder Anhängern der Fidesz besetzt. Das neue Wahlgesetz erlaubt der Partei, ihre Macht weiter auszubauen.

    Orbán setzt auf Konflikte mit imaginären „Feinden“ des Landes. Zuerst traf es den Investor George Soros, dann Banken und den IWF, schließlich die Flüchtlinge, jetzt die LGBTQ+ Community, immer auch die EU. Dabei baut er auf ein Medienimperium, das fast die gesamte Berichterstattung in Ungarn beherrscht. Er verbreitet Angst. Viele Ungarn sehen keine Alternativen, viele Jobs hängen von der Partei Fidesz ab.

    Darum ist Viktor Orbáns Rhetorik bei den Ungarn so erfolgreich

    Nationalismus ist in Ungarn ein leicht zu weckendes Gefühl: Wenn Orbán über den Friedensvertrag von Trianon (1920 verlor Ungarn zwei Drittel seines Territoriums), Großungarn und die nationale Tragödie spricht, bluten die Herzen von Millionen Ungarn. Vor allem der Trianon-Vertrag bleibt ein nationales Trauma: Ungarn sieht sich bis heute als größter Verlierer des Ersten Weltkriegs und wirft dem Westen vor, das Land verraten zu haben. Ein Grund dafür, dass Orbáns Rhetorik gegen die „Bürokraten aus Brüssel“ immer wieder erfolgreich ist.

    Wenn abends der Wetterbericht im Staatsfernsehen läuft, dann ist nicht nur das heutige Ungarn im Bild, sondern die Zuschauerinnen und Zuschauer können die Temperaturen aus all den Städten erfahren, die einst zu Großungarn gehört haben. Von Osijek (Kroatien) bis Novi Sad (Serbien), von Kosice (Slowakei) bis Miercurea Ciuc (Rumänien) – alle mit den einstigen ungarischen Namen.

    Die meisten Auslandsungarn aus Rumänien, Serbien, Kroatien, Slowenien und der Slowakei besitzen die ungarische Staatsbürgerschaft und ein damit verbundenes Listenwahlrecht. Dafür fließen jährlich Millionen Euro in die Nachbarländer. Für Orbán handelt es sich nicht um ungarische Minderheiten im Ausland, sondern um ungarische Staatsbürger – gleichberechtigt mit den Landsleuten in Ungarn. Das sichert Orbán Sympathiepunkte bei seinen Anhängern – aber auch bei jenen, die seine politischen Standpunkte nicht teilen, aber der Meinung sind, dass die Fehler der kommunistischen und sozialistischen Regierungen von 1945 bis 2010 korrigiert werden müssen.

    Für viele in der Generation meiner Eltern und Großeltern ist Orbán ein Held. Die junge Generation ist gespalten zwischen Anhängern und Gegnern Orbáns. Viele wollen mit Politik so wenig wie möglich zu tun haben. Andere denken daran, das Land zu verlassen.

    Rückt Viktor Orbán weiter nach rechts?

    Ist Orbán eine Marionette des russischen Präsidenten Putin, der immer wieder versucht, die EU zu destabilisieren? Nicht wirklich. Aber Ungarn ist ein kleines und armes Land, das sich auch nach der 1989er-Wende immer in Richtung Moskau orientierte. Ist Orbán ein Freund Chinas? Ja, das ist er. Damit ist er allerdings keineswegs alleine. Die China-Lobby in Südosteuropa ist stark ausgeprägt. Orbán liebt es, im Mittelpunkt zu stehen. Nur zu gerne lässt er sich von Gegnern der EU feiern. Die Frage ist, ob sich Orbán noch einmal wandeln wird. Der Instinktpolitiker wird er alles dafür tun, um sich an der Macht zu halten. Wenn das Boot des Illiberalismus sinken sollte, dann wird er als Erster von Bord gehen. Denkbar ist, dass er dann noch weiter nach rechts rückt.

    Immerhin hat die Opposition aufgerüstet. Bei den Wahlen im Jahr 2022 wird ein gemeinsamer Kandidat gegen Fidesz antreten. Kann das reichen? Zurzeit sieht es nicht so aus. Es scheint, dass Fidesz nur über die eigene Arroganz stolpern könnte.

    Istvan Deak ist ein rumänisch-ungarischer Journalist.
    Istvan Deak ist ein rumänisch-ungarischer Journalist. Foto: Deak

    Zum Autor: Istvan Deak, 36, rumänisch-ungarischer Journalist, ist derzeit über ein Austauschprogramm Teil unserer Redaktion.

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