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Gast der Redaktion: Jürgen Trittin: „Merkel erlebt eine Erosion ihrer Macht“

Gast der Redaktion

Jürgen Trittin: „Merkel erlebt eine Erosion ihrer Macht“

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    Jürgen Trittin im Interview mit unserer Redaktion.
    Jürgen Trittin im Interview mit unserer Redaktion. Foto: Fred Schöllhorn

    Ex-Umweltminister Jürgen Trittin möchte seine Partei als Spitzenkandidat in die Bundestagswahl führen. Über das grüne Spitzenduo entscheiden bis Ende Oktober die Parteimitglieder in einer Urwahl. Wir sprachen mit Trittin als Gast unserer Redaktion über die Themen des kommenden Wahljahrs.

    Sie sind entspannt, weil Sie sich als einziger prominenter männlicher Kandidat bei der Urwahl keine Sorgen machen müssen?

    Trittin: Würde ich mir keine Chance ausrechnen, hätte ich nicht kandidiert. Am Ende wird es mindestens eine Frau als Spitzenkandidatin geben, es können aber auch zwei Frauen werden. Rechnerisch ist also alles möglich. Das Ergebnis werden wir am 10. November kennen.

    Welche der drei Kandidatinnen wünschen Sie sich an Ihrer Seite?

    Trittin: Die, die es wird.

    Ein zentrales Thema des Wahlkampfs wird die Energiewende. Droht Ihnen nicht der Unmut der Bürger angesichts der kräftigen Strompreiserhöhungen?

    Trittin: Wir haben die bizarre Situation, dass an der Leipziger Strombörse die Preise um mehr als einen Cent pro Kilowattstunde sinken. Das liegt daran, dass als Folge des Ausbaus der erneuerbaren Energien sehr viel Strom auf dem Markt ist. Dass diese Preissenkungen nicht beim Verbraucher ankommen, liegt an der Regierungspolitik. Zu meiner Zeit als Umweltminister wurden zu Recht 400 energieintensive Betriebe von der Ökostromumlage freigestellt, weil sie sonst im internationalen Wettbewerb unfairen Bedingungen ausgesetzt gewesen wären. Inzwischen haben wir statt 400 bald 800 Betriebe, die freigestellt sind. Nächstes Jahr werden es an die 2000 sein – also das Fünffache. Verantwortlich dafür ist an erster Stelle der FDP-Minister Philipp Rösler.

    "Tolldreistes Stück der Koalition"

    Der Wirtschaftsminister hat die Union zu Preissenkungen aufgefordert ...

    Trittin: Wenn Herr Rösler der Union Zögerlichkeit beim Kampf um bezahlbare Energie vorwirft, ist das ein tolldreistes Stück der Koalition. Der Wirtschaftsminister hat die Ökostromumlage zu einer Subventionsmaschine für Großverbraucher gemacht. Mittlerweile bekommen Rechenzentren von Banken, Joghurtfabriken oder Schlachtbetriebe Befreiungen. Wenn Herr Rösler was für die Energiepreise machen will, soll er die Subventionen abschaffen.

    Der Streit fördert jedenfalls nicht die Akzeptanz der Energiewende ...

    Trittin: Im Kern geht es darum, dass die Koalition die Energiewende nicht will, aber es sich nicht traut zu sagen. Sie will die Akzeptanz für die Energiewende zerstören, indem sie alle möglichen Kosten hineinbastelt. Wir erleben eine generalstabsmäßig geplante Kampagne, um die Marktanteile der großen Energiekonzerne RWE, Eon und Co. zu retten.

    Ist es nicht richtig, wenn Umweltminister Altmaier die Ökostromförderung reformieren will?

    Trittin: Nein, denn Herr Altmaier will jetzt die Windenergie an Land in den Ländern wie Bayern deckeln, damit Offshore-Parks vor der Küste verstärkt ausgebaut werden sollen. Der Windstrom an Land ist mit sieben Cent pro Kilowattstunde fast schon konkurrenzfähig mit dem Börsenpreis.

    Wie wollen Sie ohne Offshore-Energie Versorgungssicherheit erreichen?

    Trittin: Natürlich wird Offshore langfristig für die Versorgung von zentraler Bedeutung sein. Aber ich wehre mich dagegen, dies gegeneinander auszuspielen. Der Offshore-Ausbau wird sehr viel später kommen, weil die Netzbetreiber aus technischen und finanziellen Gründen die Anbindung derzeit nicht leisten können. Wer die Windkraft an Land deckelt, will nur die Auslastung von Kohlekraftwerken sichern. Ich glaube kaum, dass sich Länder wie Baden-Württemberg und Bayern den Ausbau ihrer Windenergie vom Bund wegschießen lassen wollen. Das wird im Bundesrat genauso scheitern wie die letzte EEG-Novelle.

    Machtwechsel 2013 ist möglich

    Geben Sie also nur Schwarz-Gelb die Schuld für höhere Strompreise?

    Trittin: Nein, der Ausbau der erneuerbaren Energien ist natürlich nicht zum Nulltarif zu haben. Ohne diese Politik würden die Strompreise auch etwas steigen, aber dieses Ausmaß an Abzockerei würde es nicht geben. Die Umlage würde nicht über fünf Cent steigen.

    Für wie realistisch halten Sie es, 2013 mit der SPD die Regierung zu stellen?

    Trittin: Die Ausgangsvoraussetzungen für einen Machtwechsel sind diesmal günstiger als 1998. Die Koalition von Helmut Kohl hatte damals wenige Monate vor der Wahl noch eine deutliche Mehrheit. Das hat Angela Merkel seit drei Jahren nicht mehr. Wir werden der Kanzlerin am 20. Januar bei der Landtagswahl in Niedersachsen die zwölfte Wahlniederlage in Folge beibringen.

    Die Kanzlerin genießt dennoch eine ungebrochen hohe Popularität ...

    Trittin: Angela Merkel erlebt eine Erosion ihrer Macht. Die Koalition bricht schon jetzt völlig auseinander. Die FDP kämpft ums Überleben und ist nicht in der Lage, Kompromisse mitzutragen. Für die CSU zählt nichts anderes, als die Macht in Bayern zu sichern, und sie hat sich dafür eine Rolle als antieuropäische Partei ausgesucht. Deshalb kann Angela Merkel in der Euro-Krise nicht handeln. Sie wartet ab, was sich mit den anderen EU-Mitgliedstaaten so rausmendelt. Dabei kommt dann so etwas raus, wie die unbegrenzte und politisch ungesteuerte Vergemeinschaftung von Schulden durch die EZB. Und die Kanzlerin erklärt das dann als alternativlos. Das ist das Gegenteil von Führung.

    Merkels Europapolitik: "Zu wenig, zu spät"

    Ihre Partei hat Merkels Euro-Politik im Bundestag immer durchgewinkt ...

    Trittin: Am Ende hat Frau Merkel immer das gemacht, was wir verlangt haben und sie aber zuvor zwei Jahre verweigert hat. Diese schlechte Tradition des „zu wenig, zu spät“ setzt sich leider fort. Anfangs hat sich die Regierung gegen die Finanztransaktionssteuer gewehrt, jetzt wird sie eingeführt, weil wir die Regierung dazu gezwungen haben. Jetzt wehrt sie sich gegen einen Altschuldentilgungsfonds. Das ist nicht klug. Denn jetzt haben wir eine Vergemeinschaftung von Schulden ohne politische Steuerung durch die EZB.

    Sie halten den Schuldenkurs der EZB für einen Fehler?

    Trittin: Wir haben gesagt, Vergemeinschaftung von Schulden darf es nur mit Limitierung geben, und nur das darf vergemeinschaftet werden, was abgebaut wird. Der Fiskalpakt begrenzt nur die Neuverschuldung. Aber entscheidend ist doch, Schulden abzubauen. Auch Deutschland hat übrigens unter der Kanzlerschaft Merkels eine halbe Billion Schulden zusätzlich aufgehäuft.

    Wie wollen Sie die Schulden abbauen?

    Trittin: Wir wollen, dass die Gläubiger, denen der Staat durch die Verstaatlichung von Banken die Schuldtitel gerettet hat, ihren Teil beitragen. Das ist das Konzept der Vermögensabgabe. Es ist kein unbilliges Ansinnen, wenn das reichste knappe eine Prozent der Gesellschaft pro Million für zehn Jahre 15 000 Euro pro Jahr zweckgebunden für den Schuldenabbau beiträgt. Das ist ein sauberes, verfassungsrechtlich solides Modell. Aufgezeichnet von Michael Pohl

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