Inzwischen erreicht der Skandal um die Bundeswehr-Spezialeinheit KSK selbst die Titelseite der New York Times: „Deutsche Streitkräfte fürchten Unterwanderung durch Neo-Nazis – Gestohlene Waffen und SS-Lieder in Eliteeinheit“ prangte auf der Sonntagsausgabe der weltweit angesehenen US-Zeitung. Eine Reporterin sprach mit zahlreichen deutschen Politikern und Soldaten und zeichnete in einer großen Story ein düsteres Bild, wie Deutschland mit einem „inneren Feind“ konfrontiert sei.
„In den letzten 13 Monaten haben rechtsextreme Terroristen einen Politiker ermordet, eine Synagoge angegriffen und neun Einwanderer und deutsche Nachkommen von Einwanderern erschossen“, fasst die US-Zeitung die Lage in Deutschland zusammen. Jahrelang habe die deutsche Politik einer rechtsextremen Infiltration der Sicherheitsdienste als eine Reihe von Einzelfällen abgetan. „Jetzt wacht die Regierung auf“, so die Zeitung. „Die besten Geheimdienstbeamten und hochrangigen Militärkommandanten der Nation stellen sich einem Problem, das zu gefährlich geworden ist, um es zu ignorieren.“
KSK-General: „Ich mache mir Sorgen“
Und auch der seit Jahren amtierende Chef des „Kommando Spezialkräfte“, Brigadegeneral Markus Kreitmayr, äußert sich in derNew York Times sorgenvoll: „Ich weiß nicht, ob es in Deutschland eine Schattenarmee gibt“, zitiert ihn die Zeitung. „Aber ich mache mir Sorgen“, und das „nicht nur als Kommandeur der KSK, sondern als Bürger – dass es am Ende so etwas gibt und dass vielleicht unsere Leute ein Teil davon sind.“ Soldaten, die in Netzwerken auf einen „Tag X“ hinarbeiten. „Beamte befürchten, es sei wirklich ein Vorwand, um terroristische Handlungen oder schlimmer noch einen Putsch anzuregen“, schreibt das US-Blatt.
Vielleicht ist dieser besorgte Blick von außen auf die Zustände in Deutschland hilfreich für die Debatte im Inland. Verteidigungsministerin und Noch-CDU-Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer hatte vergangene Woche auf die Serie rechtsextremistischer Vorfälle bei der KSK reagiert und sich besorgt über die großen Lücken in den Munitions- und Sprengstoffbeständen der Einheit gezeigt. Es könne nicht ausgeschlossen werden, dass die vermissten 85.000 Schuss Munition und 62 Kilogramm Sprengstoff abgezweigt worden seien.
Verteidigungsministerin droht mit Auflösung
Kramp-Karrenbauer drohte der Eliteeinheit mit der Auflösung, falls radikale Reformbemühungen und Umstrukturierungen bis Ende Oktober nicht den erwünschten Erfolg brächten. Bislang sah es nicht danach aus: Drei Jahre nach dem Skandal um eine KSK-Party, auf der Arme zum „Hitler-Gruß“ gestreckt wurden, Rechtsrock lief und Schweineköpfe geworfen wurden, versteckte sich die Einheit hinter ihren extremen Geheimhaltungsvorschriften. Selbst mit engen Verwandten und Freunden dürfen die Soldaten nicht über ihre oft lebensgefährlichen Auslandseinsätze reden, nicht mal die genaue Stärke der auf 300 Mann geschätzten Einheit ist bekannt.
Selbst Kommandeur Kreitmayr musste einen Brandbrief an die eigene Truppe richten und um Mithilfe bei der Selbstreinigung bitten: „Ob durch ihre fehlende Verfassungstreue, ihre Nähe zur Bewegung der Reichsbürger oder ihre rechtsextremistische Gesinnung und Unterstützung rechtsextremistischer Ideologien, sie alle haben dem Ansehen des Kommandos Spezialkräfte und der Bundeswehr massiven Schaden zugefügt“, warf er eigenen Einheitsmitgliedern vor und fordert sie auf: „Sie sollten aus eigenem Antrieb unseren Verband und die Bundeswehr verlassen! Tun Sie es nicht, werden Sie feststellen, dass wir Sie finden und entfernen werden!“
Verdächtige machen 0,3 Prozent der Truppe aus
Inzwischen sollen mit den 20 bis 70 KSK-Mitgliedern insgesamt 600 Bundeswehrsoldaten intern unter Rechtsextremismusverdacht stehen. Bei derzeit 54.000 Berufs- und 121.000 Zeitsoldaten sowie derzeit 9000 freiwillig Wehrdienstleistenden sind das 0,3 Prozent der Truppe. Gleichwohl ist wieder eine Debatte um eine Wiedereinführung der Wehrpflicht losgebrochen.
Die neue Wehrbeauftragte des Bundestags, die SPD-Politikerin Eva Högl, sagte in einem Interview: „Ich halte es für einen Riesenfehler, dass die Wehrpflicht ausgesetzt wurde.“ Diese Entscheidung müsse sehr kritisch analysiert werden. „Es tut der Bundeswehr jedenfalls sehr gut, wenn ein großer Teil der Gesellschaft eine Zeit lang seinen Dienst leistet. Das erschwert es auch, dass sich Rechtsextremismus in der Truppe breitmacht.“
Wehrpflichtdebatte kehrt zurück
Vor neun Jahren war die allgemeine Wehrpflicht in Deutschland ausgesetzt worden. Die Bundeswehr wurde zur Freiwilligenarmee. Verteidigungsministerin Kramp-Karrenbauer nannte die von Högl angestoßene Debatte zwar interessant, betonte jedoch: „Es geht nicht darum, einfach die Wehrpflicht in alter Form wieder aufleben zu lassen, es geht auch nicht darum, das insbesondere zu sehen als einen Kampf gegen Rechts. Sondern es geht um die Frage, was uns in dieser Gesellschaft zusammenhält.“ Kramp-Karrenbauer hatte lange Zeit ein soziales Pflichtjahr gefordert.
Später warb sie für ein freiwilliges „Deutschlandjahr“. Nun will es die Verteidigungsministerin ab 2021 als Freiwilligendienst in der Bundeswehr anbieten. Der neue Dienst soll dabei den freiwilligen Grundwehrdienst ergänzen, der derzeit von sieben bis 23 Monate möglich ist.
Eine Rückkehr zur Wehrpflicht, wie von der Wehrbeauftragten Högl ins Gespräch gebracht, stößt dagegen auch in der eigenen Partei der SPD-Politikerin auf breite Ablehnung. Die Partei-Vorsitzenden Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans lehnten Högls Vorstoß ab, auch weil eine Wehrpflicht keinerlei Einfluss auf Vorgänge bei Spezialkräften habe.
SPD-Verteidigungsexperte sieht „Riesenfehler“
Der SPD-Verteidigungsexperte Karl-Heinz Brunner, sieht die Lage etwas komplizierter und gibt Högl Rückendeckung – auch wenn er ihre Schlussfolgerung nicht teilt. „Wenn die Wehrbeauftragte die im Jahr 2011 erfolgte Aussetzung der Wehrpflicht für einen Riesenfehler hält, kann ich ihr nur zustimmen“, sagt der Illertisser Bundestagsabgeordnete. „Durch die Aussetzung der Wehrpflicht und damit Umbau der Bundeswehr von einer Wehrpflicht- zu einer Freiwilligenarmee ist natürlich die soziale Kontrolle eine andere geworden, da der Personalstamm nicht mehr den gesamten Querschnitt der Bevölkerung darstellt“, fügt er hinzu.
„Daraus jedoch den Schluss zu ziehen, zurück zur Wehrpflicht oder wie immer ausgestalteten Pflichtdienst, halte ich für den falschen Weg“, betont Brunner jedoch. „Schließlich müssen wir zur Kenntnis nehmen, dass zwischenzeitlich die gesamte Infrastruktur einer Wehrpflichtarmee beseitigt wurde.“
Wehrpflichtarmee nicht mehr zu stemmen
Wo sollten die Wehrpflichtigen ihre Unterkünfte haben, wer sollte sie ausbilden, welches Ausbildungsmaterial steht überhaupt zur Verfügung und wie könnte man die vom Bundesverfassungsgericht geforderte Wehrgerechtigkeit für alle Frauen und Männer eines Jahrgangs herstellen, fragt Brunner. „All dies wäre meines Erachtens nicht zu stemmen und würde Gesellschaft, Bundeswehr und Bundeshaushalt überfordern.“
Vielmehr müsse die jetzt angestoßene Debatte dazu genutzt werden, beide Seiten, Bundeswehr und Gesellschaft, wieder mehr im Sinne des Bürgers in Uniform zusammenzubringen, sagt der SPD-Politiker.
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