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Europa: Auf Deutschland liegt während der EU-Ratspräsidentschaft viel Hoffnung und Druck

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Auf Deutschland liegt während der EU-Ratspräsidentschaft viel Hoffnung und Druck

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    Auf Deutschland wartet eine ungewohnte EU-Ratspräsidentschaft.
    Auf Deutschland wartet eine ungewohnte EU-Ratspräsidentschaft. Foto: Oliver Hoslet, dpa

    Wenn Deutschland am kommenden Mittwoch das Steuerrad in den Brüsseler Räten übernimmt, kämpft sich die Europäische Union gerade durch stürmische Gewässer. Dann endet die erste Präsidentschaft Kroatiens im Rat der EU und die Berliner Minister und ihre Beamten übernehmen dort die Führung. Sie leiten und vertreten in den kommenden sechs Monaten die Mitgliedsstaaten der Union, die sich halbjährlich als Vorsitzende des Rates abwechseln. Und sie alle sitzen auf einem großen Dampfer, der nicht eben gerade einen Flusslauf hinabfährt – sondern in einer Unwetter-Nacht auf dem Ozean. Die Corona-Pandemie bestimmt das Geschehen, zudem gibt es wegweisende Finanzfragen zu klären. Wie die Reise weitergeht, ist noch ungewiss. Aber sicher ist: Deutschland wird einige gewaltige Aufgaben zu erledigen haben.

    „Die Erwartungen sind sehr, sehr hoch“, sagt Katarina Barley. Die SPD-Politikerin war bis vor einem Jahr selbst Teil der Bundesregierung und hätte das Programm der Präsidentschaft mitbestimmen können. Zur Europawahl 2019 hat sie jedoch die Seiten gewechselt. Sie ging aus dem Berliner Justizministerium nach Brüssel und ist inzwischen Vizepräsidentin des EU-Parlaments. Das repräsentiert die Bürger Europas , seine Positionen weichen gelegentlich klar von den Interessen einzelner Mitgliedsstaaten im Rat ab.

    Deutschlands Rolle in der EU: Vermittler und ehrlicher Makler

    Dass Deutschland jetzt die Ratspräsidentschaft übernimmt, hat nach Barleys Empfinden eine „große Bedeutung“. Denn das Land könne die Rolle des „ehrlichen Maklers“ ausfüllen, dem man in Verhandlungen Vertrauen schenke und zutraue, nicht nur die eigenen Interessen durchsetzen zu wollen. Ein solcher Vermittler dürfte in den kommenden Monaten mehr als nötig sein. Denn einige der Aufgaben, die Deutschland jetzt zu bewältigen hat, waren nach Barleys Einschätzung vor wenigen Monaten noch nicht abzusehen.

    Die Erwartungen an Deutschland seien sehr, sehr hoch, sagt Katarina Barley.
    Die Erwartungen an Deutschland seien sehr, sehr hoch, sagt Katarina Barley. Foto: Federico Gambarini, dpa (Archiv)

    So ist etwa der Brexit trotz des Austritts der Briten im Januar immer noch nicht endgültig ausgehandelt, auch in Sachen Bewältigung der Corona-Krise kommt einiges an Verantwortung auf Deutschland zu. Zudem läuft Ende des Jahres der mehrjährige Finanzrahmen der EU aus, in dem die langfristigen Investitionspläne der Union stehen. Der neue Finanzrahmen muss jetzt dringend beschlossen werden: Bis Ende des Jahres müssen sich Rat, Parlament und Kommission – sozusagen die Regierung der EU – einig werden, in welche Bereiche langfristig die Finanzmittel der EU fließen sollen. Weil die Verhandlungen um das riesige Paket so kompliziert wie wichtig sind, sollten sie eigentlich frühzeitig angegangen werden – so früh, dass die Hoffnung bestand, Deutschlands Vorgänger hätten die Arbeit bereits erledigt.

    Mehr Beamte in Brüssel wegen Ratspräsidentschaft

    Doch daraus wurde nichts. „Finnland und Kroatien konnten wenig bewirken“, sagt Barley. Das sei nicht zwingend Schuld der Staaten gewesen. Finnland etwa musste 2019 fast die gesamte Amtsperiode darauf warten, dass die neue Kommission ihre Arbeit aufnahm.

    Angesichts der Arbeit, die Deutschland als Ratspräsident zu erledigen hat, wundert es nicht, dass sich in der deutschen Botschaft dieser Tage einiges tut. Offiziell trägt diese den Namen Ständige Vertretung, weil Botschaften nur für anerkannte Staaten, nicht für internationale Organisationen vorgesehen sind. Die übliche Anzahl von rund 200 Beamten vor Ort verdoppelt Deutschland gerade, es hat zudem ein zusätzliches Gebäude gemietet.

    Corona bestimmt die deutsche Ratspräsidentschaft

    Und als seien die Vorbereitungen auf die Ratspräsidentschaft nicht ohnehin kompliziert genug, mussten sich die Beamten in Brüssel noch darum kümmern, die Infrastruktur an die Abstandsregeln während der Corona-Pandemie anzupassen. Anfang April berichtete der Spiegel über einen Vermerk des Botschafters Michael Clauß nach Berlin. Demnach standen damals im Ratsgebäude nur fünf der 21 Sitzungssäle zur Verfügung, die restlichen seien zu klein oder verfügten über keine Videotechnik. Zum unerwartet großen Meer an Aufgaben kommen so noch schwierige Bedingungen hinzu. Dabei bringt der Vorsitz im Rat der EU so gut wie keinen Machtzuwachs mit sich.

    "Angela Merkel hat während dieser Zeit formal keine wichtige Funktion“, sagt Wolfgang Wessels, der Ehrenvorsitzende des Instituts für Europäische Politik. Das liegt zum einen daran, dass das Treffen der EU-Regierungschefs – der Europäische Rat – seit 2009 nicht mehr durch die Ratspräsidentschaft geleitet wird, sondern einen festen Vorsitzenden hat. Doch selbst wenn Merkel diesem vorsitzen würde, wäre ihre Aufgabe nicht wesentlich anders als die der Ministerien im Rat der EU: Sie leiten dort dem Wechsel gemäß die verschiedenen Sitzungen, sie bestimmen die Tagesordnung und vermitteln. Zu entscheiden haben sie allerdings ähnlich wenig wie vor Beginn der Präsidentschaft. Die meisten Entscheidungen im Rat müssen einstimmig sein.

    Historische Chance für Merkel in Europa

    Für Merkel bietet die Zeit dennoch eine historische Chance, Europa durch die Krise zu bringen. Denn viele Länder nähmen Deutschland in einer Führungsrolle wahr, sagt der Politikwissenschaftler Wessels. Dass dieses jetzt auch die Ratspräsidentschaft übernimmt, nennt er einen „glücklichen Umstand“. Als größtes und wirtschaftsstärkstes Land Europas werde es „sehr ernst genommen“, sagt Wessels. Davon profitiere die EU, wenn etwa, wie zu erwarten, wichtige Gespräche mit China oder den USA anstehen. Wichtige Entscheidungen stehen an, etwa im Bereich Daten- oder Klimaschutz. Die Präsidentschaft könnte eine aufwendige Reise werden.

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