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EuGH-Urteil: Flüchtlingskrise: Schwere Niederlage für Osteuropäer

EuGH-Urteil

Flüchtlingskrise: Schwere Niederlage für Osteuropäer

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    Flüchtlinge an der türkisch-griechischen Grenze. Europa hat inzwischen die Migration stark beschränkt.
    Flüchtlinge an der türkisch-griechischen Grenze. Europa hat inzwischen die Migration stark beschränkt. Foto: Dimitris Tosidis/XinHua, dpa

    Die Landstraße nahe der griechischen Kleinstadt Didymoteicho verläuft eng entlang des griechisch-türkischen Grenzflusses Evros. Das Biotop am Fluss ist weltweit für seine Vogelarten bekannt – ruhig fließt das Wasser gen Süden, Vögel zwitschern. Noch vor wenigen Wochen spielte sich hier ein Flüchtlingsdrama ab. Mal wieder. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan hatte seine Grenzen geöffnet, tausende Menschen strömten herbei, versuchten, nach Griechenland und damit in die Europäische Union zu gelangen. Inzwischen ist die Grenze wieder dicht, nur wenige haben es geschafft, den Stacheldraht, die Wasserwerfer, die bewaffneten Offiziere der Grenzschutzagentur Frontex hinter sich zu lassen.

    Polen, Tschechien und Ungarn haben gegen EU-Recht verstoßen

    2015 war das anders. Damals setzten knapp eine halbe Million Menschen aus der Türkei nach Griechenland über. Manche Inseln befinden sich bis heute in einer Art Ausnahmezustand. Auch Italien, ein weiterer Mittelmeer-Anrainer, ächzte unter dem Migrationsdruck. Europa wollte in dieser Situation beweisen, dass es in Krisen zusammenstehen kann – und scheiterte kläglich. Zwar rangen sich die EU-Staaten in gleich zwei Mehrheitsentscheidungen dazu durch, bis zu 160.000 Asylsuchende in den Mitgliedstaaten zu verteilen. Doch drei Länder weigerten sich, dies umzusetzen. Ungarn und Polen nahmen im Rahmen der Beschlüsse keinen einzigen Asylbewerber auf, Tschechien zwölf.

    Mittlerweile sind die Programme beendet, tatsächlich umgesiedelt wurden nach Angaben der EU-Kommission nur knapp 35.000 Menschen. Doch der Europäische Gerichtshof verpasste den drei Ländern jetzt eine schwere juristische Niederlage. Polen, Tschechien und Ungarn haben gegen EU-Recht verstoßen. Die obersten EU-Richter stellten klar, dass die Länder nicht pauschal die Aufnahme aller Asylbewerber ablehnen durften. Stattdessen hätte jeder Fall einzeln geprüft müssen.

    Polen und Ungarn hatten argumentiert, die Umsiedlung gefährde die nationale Sicherheit und öffentliche Ordnung. Auch dem tschechischen Argument, der Mechanismus funktioniere nicht, widersprach der EuGH. Indem ein Land sich jedoch einseitig der Verantwortung entziehe, würden das Ziel der Solidarität sowie die Verbindlichkeit der Beschlüsse unterlaufen.

    Udo Bullmann, SPD: Kommissionspräsidentin muss jetzt handeln

    „Das Urteil des Europäischen Gerichtshofs stellt klar, dass Solidarität eines der Grundprinzipien in der Europäischen Union ist“, sagt Udo Bullmann, SPD-Europabeauftragter und Mitglied des Europäischen Parlaments, unserer Redaktion. „Leider müssen einige Mitgliedstaaten immer wieder daran erinnert werden.“ Er erwarte nun von der Europäischen Kommission, dass sie die entsprechenden Konsequenzen ziehe. „Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen muss die betreffenden Länder dringend wieder auf den Kurs der europäischen Solidarität führen oder die nächsten politischen und juristischen Schritte einleiten“, sagt Bullmann. „Wer in hohem Maße von europäischer Solidarität profitiert, muss sich auch an der Erfüllung gemeinsamer Aufgaben beteiligen.“

    Auch die Grünen werden deutlich: „Ich erwarte von der polnischen, ungarischen und tschechischen Regierung, dass sie ihre Blockadehaltung gegen eine solidarische Verteilung der Geflüchteten aufgeben und sich endlich an der Aufnahme beteiligen“, sagt Jamila Schäfer, stellvertretende Bundesvorsitzende. Kommissionspräsidentin von der Leyen selbst begrüßte zwar das Urteil – doch zum weiteren Vorgehen der EU-Behörde äußerte sie sich nicht. Denn selbst wenn das Gerichtsurteil eindeutig ist – der Umgang der EU mit Flüchtlingen ist längst nicht geklärt.

    Die Migrationspolitik bleibt eine der größten Baustellen der Union. Länder wie Italien und Griechenland hadern mit dem Dublin-System, das jene Staaten über Gebühr belastet, in denen die Flüchtlinge zum ersten Mal europäischen Boden betreten. Ungarn, Polen und Tschechien bleiben hingegen bei ihrer Ablehnung, Asylbewerber mit Hilfe eines Quotensystems zu verteilen – und sie sind längst nicht mehr die Einzigen. Auch Österreich stellt sich gegen einen solchen Schritt.

    Nach Ostern kommt der Migrationspakt

    Nach Ostern will die EU-Kommission einen neuen „Migrationspakt“ vorlegen. Eine verpflichtende Quote für alle Staaten dürfte dort keine Rolle mehr spielen. Stattdessen wird es wohl darum gehen, auch andere Formen der Solidarität, etwa Geldzahlungen oder die Lieferung von Hilfsgütern, zuzulassen. Und das möglichst schnell. „Die Zustände in der Flüchtlingslagern an der europäischen Grenze sind zu katastrophal, als dass Europa weiter untätig zusehen kann“, sagt Grünen-Politikerin Jamila Schäfer.

    In Polen, Ungarn und Tschechien bleibt man unterdessen gelassen. Keines der drei Länder misst dem Urteil irgendeine Bedeutung bei. Der tschechische Ministerpräsident Andrej Babis sagte: „Wir haben diese juristische Auseinandersetzung zwar verloren, aber das ist nicht wichtig.“ Und auch Ungarns Justizministerin Judit Varga macht deutlich: „Der Spruch hat keine weiteren Konsequenzen.“ Es gebe keine Verpflichtung, Asylbewerber aufzunehmen. (mit dpa)

    Lesen Sie dazu auch: Sozialdemokraten fordern Konsequenzen für Polen, Tschechien und Ungarn

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