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Manfred Weber: Ein Bayer will der mächtigste Mann in Brüssel werden

Manfred Weber

Ein Bayer will der mächtigste Mann in Brüssel werden

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    „Ja, ich bin bereit“: Manfred Weber am Mittwoch bei seiner Ankündigung, als Spitzenkandidat für die konservative EVP anzutreten.
    „Ja, ich bin bereit“: Manfred Weber am Mittwoch bei seiner Ankündigung, als Spitzenkandidat für die konservative EVP anzutreten. Foto: Emmanuel Dunand, AFP

    Manfred Weber braucht an diesem Mittwochmittag nur fünf Minuten und zwei Sekunden, um eine neue Welt zu betreten. Sicher, der 46-jährige CSU-Politiker gilt seit vier Jahren als einer der einflussreichsten Männer der Union. Immerhin sitzt er schon so lange der mächtigen christdemokratischen EVP-Fraktion im Europäischen Parlament vor: 216 Alpha-Tiere aus 28 Mitgliedstaaten, die muss man bändigen können.

    An diesem Tag hebt er den Kopf, bestellt die Presse ein und wirft seinen Hut in den Ring, um als Spitzenkandidat seiner Parteienfamilie, zu der auch CDU und CSU gehören, bei der Europawahl 2019 ins Rennen zu gehen. Und da er sie auch gewinnen dürfte, fügt er gleich hinzu: „Ich bewerbe mich damit auch um das Amt des nächsten Kommissionspräsidenten.“

    Es ist der machtvollste Job, den Europa zu vergeben hat. Chef eines gewaltigen Hauses mit 33.000 Beamten und Angestellten, an der Spitze jener EU-Kommission, die als einzige Institution europäische Gesetzesvorschläge einbringen kann. Eine Behörde, die gegen Monopole kämpft, den Binnenmarkt verteidigt, künftig eine gemeinsame Sicherheitspolitik betreibt – und deren Präsident schon mal ins Weiße Haus reisen muss, um Donald Trump in Sachen Handelskrieg den Schneid abzukaufen. „Ich habe mich gefragt: Kann ich diese Herausforderung bestehen?“, sagt er nun. Seine Antwort: „Ja. Ja, ich bin bereit.“

    Weber würde, sollte er erfolgreich sein, größere Reden als diese halten müssen, nicht nur längere. Aber dieser – respektvoll gemeint – glanzlose Auftritt ist so typisch für den Mann aus Niederbayern, den lange niemand auf der Rechnung hatte, bis er sich aus den Niederungen der europäischen Innenpolitik an die Spitze der größten Parlamentsfraktion hocharbeitete. Noch bei der Wahl eines neuen Präsidenten der Abgeordnetenkammer vor eineinhalb Jahren schien er ungeschickt zu agieren, weil es vier Wahlgänge brauchte, um den favorisierten Antonio Tajani endlich durchzubekommen. Das Gegenteil war der Fall: Weber gehört zu den Menschen, deren größte politische Stärke darin liegt, unterschätzt zu werden. „Ich möchte Europa den Menschen zurückgeben“, sagt er am Mittwoch. „Die EU steht an einem Wendepunkt – sie wird von außen attackiert und von innen durch radikale Kräfte auf die Probe gestellt.“

    Weber ist ein Mann der leiseren Töne

    Das ist die Rolle der EU-Kommission

    Die Europäische Kommission ist die wichtigste Behörde der EU. Sie kontrolliert die Einhaltung der europäischen Rechtsvorschriften durch die 28 Mitgliedstaaten und kann deren Anwendung einklagen. Sie macht die Gesetzesvorschläge für das Europaparlament und den Ministerrat, in dem die nationalen Regierungen vertreten sind.

    Der Präsident der EU-Kommission – derzeit noch der Luxemburger Jean-Claude Juncker – legt Ziele und Prioritäten der Arbeit fest. Damit übt er erheblichen Einfluss auf die Politik in der Europäischen Union aus.

    Die Arbeit der Kommission ist in verschiedene Ressorts aufgeteilt. Jede EU-Regierung stellt einen Kommissar, doch der Kommissar darf im Amt keine nationalen Interessen vertreten. Über die Aufgabenverteilung entscheidet der Kommissionspräsident. Danach muss das Europaparlament nach einer Anhörung der Ernennung zustimmen. In der EU-Kommission arbeiten einschließlich zeitweilig Beschäftigter rund 33.000 Menschen. Das sind ungefähr halb so viele Beamte, wie beispielsweise das Land Berlin beschäftigt.

    Das ist sicher kein rhetorisches Feuerwerk, obwohl Weber das durchaus zünden kann. Er ist halt eher ein Mann der leiseren Töne. Manche vergleichen ihn mit Emmanuel Macron, dem französischen Staatspräsidenten. Auch Weber konzentriert sich mit stets respektvoller Freundlichkeit auf seinen Gesprächspartner, schaut ihn an, als ob es in diesem Moment niemanden sonst auf der Welt gäbe. „Ich wurde Ihnen gerne ein Thema zurufen“, pflegt er als Innenpolitiker den Journalisten zu sagen, wenn sie gefälligst die Stifte in die Hand nehmen sollen. Denn dann kommen klare Ansagen, Positionen, keine weichgespülten Slogans.

    Alles zusammen ergibt einen Politiker, von dem viele auch aus anderen Parteien sagen, er habe die Kraft, unterschiedliche Strömungen zusammenzuführen. Es könnte so etwas wie eine Schlüsselkompetenz im Umgang mit dem nächsten EU-Parlament sein. Derzeit nehmen Gegner und Skeptiker der Union rund 20 Prozent der 751 Mandate ein. Pessimisten schätzen, dass es über 30 Prozent werden könnten.

    Manfred Weber stammt aus dem niederbayerischen Landkreis Landshut. Das ist eine der Regionen, wo Bayern besonders bayerisch ist und die CSU-Zentrale glaubt, mit Slogans wie „Asyltourismus“ um Stimmen werben zu wollen. Doch Weber ist anders als CSU-Chef Horst Seehofer oder der bayerische Ministerpräsident Markus Söder, die sich eher von Europa abgrenzen. Irgendwie schafft er es, beides zu sein: Bayer und Europäer. Seitdem er 2008 zum Chef des einflussreichen CSU-Bezirks Niederbayern gewählt wurde, baute er seine Machtbasis auch innerhalb der Partei still und manchmal klammheimlich aus.

    Die Bundeswehrzeit verbrachte er in Neuburg an der Donau

    Nach der Schullaufbahn und dem Fachabitur diente Weber zunächst bei der Panzerjägerkompanie 560 im oberbayerischen Neuburg an der Donau. Noch bevor er die politische Leiter emporklomm, gründete er mit Freunden zwei Unternehmen im Bereich Umwelt-, Qualitätsmanagement und Arbeitssicherheit, in denen er auch heute noch tätig ist. Im Kreistag begann er, ehe er in den Landtag und dann schließlich 2004 in das Europäische Parlament wechselte.

    Wohin geht die Reise von Manfred Weber - ins Chefbüro der Europäischen Kommission? Die Entscheidung fällt 2019.
    Wohin geht die Reise von Manfred Weber - ins Chefbüro der Europäischen Kommission? Die Entscheidung fällt 2019. Foto: Jacques Demarthon, afp

    Daneben ist der frühere Hobbymusiker, der als Gitarrist mit seiner Band bei Hochzeiten und Faschingsbällen auftrat, ein Wertkonservativer im besten Sinne des Wortes geblieben. „Der sonntägliche Gottesdienstbesuch ist für mich unverzichtbar“, schreibt er im Internet. Die Bücher des emeritierten Papstes Benedikt XVI. hat er alle gelesen. Und wenn er wirklich mal entspannen will, wandert oder radelt er mit seiner Frau – Weber ist kinderlos – durch seine niederbayerische Heimat. Oder man trifft sich mit Freunden aus der Jugendzeit. Mit Genuss erzählen Kollegen, dass Weber – im Unterschied zu früheren CSU-Spitzenvertretern – weder Latein beherrscht noch Schafkopf spielen kann. Dafür gilt er als bekennender Fan des FC Bayern München. Ein Mann auf der Siegerseite also?

    Danach sieht es inzwischen aus. Wochenlang hat Weber überlegt, ob er wirklich den Schritt wagen soll. Begleiter wiesen immer wieder darauf hin, dass er ohne den „Segen der Kanzlerin“ nicht vorpreschen werde. Den hat er nun bekommen, am Dienstagabend stimmt auch die CSU-Parteispitze zu. Doch der Weg ist lang und hindernisreich. In den kommenden Wochen muss Weber die Delegierten für den Parteitag der europäischen Christdemokraten Anfang November hinter sich bringen. Gegenkandidaten sind bisher nicht in Sicht, obwohl Brexit-Chefunterhändler Michel Barnier aus Frankreich Ambitionen nachgesagt werden. Und auch der finnische Ministerpräsident Alexander Stubb. 50, überlegt offenbar noch. Aber beide gelten innerhalb der EVP nicht als mehrheitsfähig. Sollte Weber zum Spitzenkandidaten gekürt werden, kann er mit einer Mehrheit bei der Europawahl rechnen. Doch dann folgen viele Fragezeichen.

    Es gibt noch viel mehr EU-Jobs, die auf dem Spiel stehen

    Nicht einmal die Bundeskanzlerin gilt als Befürworterin des sogenannten Spitzenkandidaten-Prozesses, der die Staats- und Regierungschefs regelrecht zu Statisten der Entscheidung über den wichtigsten EU-Job macht. Merkel wird sich auch deshalb noch nicht festlegen, weil Mitte nächsten Jahres ein ganzes Paket an Spitzenjobs besetzt werden muss. Neben dem Kommissionspräsidenten braucht die EU auch einen neuen Vorsitzenden des Europäischen Rates, einen neuen Parlamentschef, eine neue Hohe Beauftragte für die Außen- und Sicherheitspolitik und einen neuen Mann an der Spitze der Europäischen Zentralbank. Weber wäre zwar – als erster deutscher Kommissionspräsident seit Walter Hallstein in den 1960er Jahren – gesetzt, aber solche Personalpakete bestehen aus Kompromissen innerhalb der Parteienfamilien – auch wenn niemand ernsthaft damit rechnet, dass die Staatenlenker eine Mehrheitsentscheidung der Wähler übergehen können.

    Das ist der lange Weg zum neuen Kommissionschef

    Oktober Mitte des Monats endet die Frist für Kandidaten der christdemokratischen Europäischen Volkspartei (EVP).

    November Am 7./8. November kürt die EVP ihren Spitzenkandidaten.

    Anfang 2019 Auch die übrigen Parteienfamilien benennen ihre Spitzenkandidaten für die Europawahl.

    Mai Zwischen 23. und 26. Mai finden die Europawahlen in den dann wohl nur noch 27 Mitgliedstaaten statt. Deutschland wählt am 26. Mai.

    Juni Beim EU-Gipfel ernennen die Staats- und Regierungschefs den nächsten Kommissionspräsidenten.

    Juli Das neu gewählte Europäische Parlament tritt zu seiner ersten Sitzung zusammen.

    Ende Juli Anhörung des vorgeschlagenen neuen Kommissionspräsidenten durch das Europäische Parlament, eventuell dann auch schon Abstimmung.

    Herbst Die Mitgliedstaaten melden ihre Kandidaten nach Brüssel, die künftig dort als Kommissare tägig werden sollen. Anschließend Anhörung durch die Abgeordneten.

    Spätherbst Wahl der neuen EU-Kommission durch das EU-Parlament.

    Danach muss Weber eine Anhörung des Parlaments überstehen und eine neue Kommission aus den Politikern schmieden, die die Mitgliedstaaten nach Brüssel senden. „Es gibt so viele Steine, über die ein Kandidat stolpern kann, dass man jetzt erst einmal die nächsten Entscheidungen abwarten sollte“, sagt am Mittwoch einer seiner langjährigen Weggefährten.

    Der Mann hat Recht – und diese Alltagsprüfungen beginnen schon in der kommenden Woche. Dann will ein großer Teil der Abgeordneten nämlich einen Beschluss verabschieden, um ein Verfahren gegen Ungarn wegen Verstößen gegen die Rechtsstaatlichkeit in Gang zu setzen. Am Ende könnte Budapest sogar bestraft werden – mit dem Entzug der Fördergelder. Die Verärgerung über die Alleingänge der dortigen Regierung ist verbreitet – auch bei den Christdemokraten, auch bei Weber. Eine Konfrontation erscheint unausweichlich, zumal Ungarns umstrittener Ministerpräsident Viktor Orbán eigens nach Straßburg reist.

    „Wer Kommissionspräsident werden will, muss europäische Werte verteidigen“, mahnt am Mittwoch bereits Ska Keller, die Grünen-Fraktionschefin im EU-Parlament. „Wir erwarten von Manfred Weber eine klare Linie zu Orbáns Politik.“ Das Problem ist: Auch Orbáns Fidesz-Partei gehört der Europäischen Volkspartei an, deren Stimmen Weber braucht, um Spitzenkandidat zu werden. Er weiß, dass er von jetzt an unter verschärfter Beobachtung steht. Ein Selbstläufer wird seine Kandidatur nicht.

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