Mateusz Morawiecki ist ein Mann der eher leisen Töne, stets höflich und gesittet. Als Finanzfachmann hat der polnische Premier zudem die Zahlen im Blick. Die Summe von 160 Milliarden Euro zum Beispiel, die sein Land bis 2027 aus dem EU-Haushalt und dem Corona-Hilfsfonds bekommen soll. Beides jedoch hat die Regierung in Warschau am Montag mit ihrem Veto blockiert, im Schulterschluss mit dem ungarischen Premier Viktor Orbán.
EU-Finanzpaket: Morawiecki spricht von "doppelten Standards"
Die Nein-Sager wollen verhindern, dass die Auszahlung von EU-Geld an die Einhaltung rechtsstaatlicher Prinzipien gekoppelt wird. Das aber haben die übrigen 25 Mitgliedsstaaten soeben beschlossen. Die EU, sagt Orbán, sei auf dem Weg, sich in eine "zweite Sowjetunion" zu verwandeln.
Morawieckis Stil ist das nicht. Er spricht lieber von "doppelten Standards". Ginge es nach dem 52-Jährigen, würden sich alle so schnell wie möglich auf die Suche nach einem Kompromiss im Kompromiss im Kompromiss machen. Denn genau darum geht es. Beim Gipfel im Juli hatten sich die EU-Staaten auf ein 1,85 Billionen Euro schweres Finanzpaket geeinigt. Darin enthalten sind 750 Milliarden an Corona-Hilfen, die vor allem Italien und Spanien dringend brauchen.
Polen und Ungarn, die wegen der Aushöhlung der Gewaltenteilung seit Jahren in der Kritik stehen, stimmten zu. Weil sie auch Geld brauchen und zugleich ein schwacher Rechtsstaatsmechanismus verabredet wurde. Doch Kompromiss Nummer zwei änderte das: Das EU-Parlament handelte die nun beschlossene Verschärfung aus. Es folgte das Veto.
Und jetzt? Für Donnerstag ist ein EU-Videogipfel geplant. Morawiecki hat vorab mit Bundeskanzlerin Angela Merkel telefoniert, die derzeit die Ratspräsidentschaft innehat. Die beiden duzen sich, und so sachorientiert, wie sie sind, wäre ein dritter Kompromiss wohl nur eine Formsache. Wenn es denn nach Morawiecki ginge. Doch das letzte Wort in Warschau hat Jaroslaw Kaczynski, der Chef der rechtsnationalen Regierungspartei PiS. Und der gilt nicht nur als eingefleischter EU-Skeptiker und Orbán-Freund. Kaczynski geht es zuallererst um den Machterhalt der PiS in Polen, und der steht seit Monaten auf der Kippe.
Hauptfigur in dem Dauerdrama ist Justizminister Zbigniew Ziobro, der den Abbau der Gewaltenteilung in Polen maßgeblich zu verantworten hat. Der autoritäre Hardliner würde Morawiecki gern als Regierungschef ablösen. Er verlangt ultimativ, an der Haushaltsblockade festzuhalten, bis der Rechtsstaatsmechanismus vom Tisch ist. Ziobro hat in Anlehnung an ein geflügeltes Wort in Polen die Parole "Veto oder der Tod" ausgegeben. Kaczynski könnte ihm Einhalt gebieten, doch da Ziobro eine Gruppe von 19 ultrakonservativen Abgeordneten anführt, würde sein Rücktritt das Aus für die Regierung bedeuten.
Expertin: Polnisches Veto wäre auf Dauer "ökonomischer und politischer Selbstmord"
Für Joanna-Maria Stolarek, die das Büro der Heinrich-Böll-Stiftung in Warschau leitet, käme ein dauerhaftes polnisches Veto gegen den EU-Haushalt einem "ökonomischen und politischen Selbstmord" gleich. Wirtschaftlich wäre der Kollaps wohl nur eine Frage von Wochen. Polnische Analysten rechnen mit einem Crash an den Finanzmärkten, sollte die Regierung inmitten der Corona-Pandemie auf die Milliarden aus Brüssel verzichten. Aber auch politisch scheint das Ende der PiS-Regierung nah. Bricht sie mit der EU, die bei der eigenen Bevölkerung äußerst populär ist, dürfte sie nichts mehr zu gewinnen haben. Die Alternative wären schnelle Neuwahlen. In Umfragen ist die PiS aber zuletzt auf 30 Prozent abgestürzt.
Aus der Zwickmühle befreien könnte sich Kaczynski am Ende womöglich nur noch mithilfe seines politischen Freundes Viktor Orbán. Wäre es der Ungar, der einem Kompromiss zustimmt, müsste sich wohl auch Ziobro geschlagen geben. Klar ist ebenso: Orbán könnte sich einen Rückzieher jederzeit leisten, ohne innenpolitische Probleme fürchten zu müssen. Beobachter in Brüssel verweisen zudem darauf, dass Orbán bislang noch jedes Mal einem Kompromiss zugestimmt habe, wenn es ums Geld ging. Das unabhängige Nachrichtenportal telex.hu prophezeit, Orbán werde das Spiel "Wer bewegt sich zuerst?" noch bis zum Dezember-Gipfel weitertreiben. Der Rest sei Verhandlungssache.
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