Auf den ersten Blick wirkt Grafenau wie viele dieser Orte, die man nahe Stuttgart findet. Fachwerkhäuser, Holzzäune, Schilder, die auf Gottesdiensttermine hinweisen. 6800 Einwohner hat das Dorf – und zwei Gemeinderäten, die dieses Amt nie wollten.
„Satirepartei, Listenplatz vier, da kommst du nie rein“, hatte Dominik Heinkele seinem Bruder vor der Kommunalwahl im Mai versichert. Heute sitzen sie beide im Gemeinderat. Für „Die Partei“.
Jetzt sitzt Dominik Heinkele in der Wirtsstube seiner Familie. An der Wand hängen geschnitzte Schilder: dienstags Schlachtplatte, donnerstags Fleischkäs. Der 46-Jährige ist von Beruf Metzger und privat ein Künstlertyp mit Schiebermütze, der vier Jahre in Hamburg lebte und nach wie vor einer Narrenzunft angehört. Einer, der früher selbst satirische Texte schrieb, die im Grafenauer Amtsblatt erschienen.
Und es ist nicht so, dass er vor der Wahl keine Wahl hatte: „Vor fünf Jahren haben mich die Grünen gefragt, ob ich kandidieren will. Diesmal war es die CDU.“ Keine Optionen für ihn. Die Grünen sieht er inzwischen als „FDP auf dem Fahrrad“. Und der CDU misstraut er spätestens seit den Querelen um Stuttgart 21, seit dem Polizeieinsatz gegen den Protest am Bahnhof. Und dann sagt Heinkele einen Satz, den man auch von jenen kennt, die als Wutbürger gelten: „Da hab ich das Vertrauen in den Staat verloren.“
2014, bei der Europawahl, stimmte Heinkele erstmals für „Die Partei“. Damals, als mit Martin Sonneborn die Satire ins EU-Parlament einzog.
Sonneborn, Humorist und ehemaliger Chefredakteur des Satiremagazins Titanic, hat es zehn Jahre nach Parteigründung nach Brüssel geschafft. Ein Satiriker in Brüssel, immer auf der Suche nach Politikern, die er vorführen kann. Seit diesem Jahr stellt „Die Partei“ sogar zwei Abgeordnete. 2,4 Prozent holten Sonneborn und der Kabarettist Nico Semsrott bei der Europawahl, bei den Erstwählern sogar mehr Stimmen als die SPD. Eine Sensation für eine Partei, für die Wahlsiege sonst einstellige Ergebnisse bei Stadtratswahlen bedeuteten – in Frankfurt, Trier, Kiel.
"Die Partei" fordert Mautgebühren für das Nachbardorf
Aber wohin kann das führen? Etwa bei den Landtagswahlen in Sachsen und Brandenburg am Sonntag? Wie viel Satire erträgt Politik – und wie viel Politik Satire?
Heinkeles Mutter tritt in die Stube, bringt einen Topf mit selbst gemachten Maultaschen. Was sie davon hält, dass ihr Sohn für eine Satirepartei im Gemeinderat sitzt? „Ich hab damit zu kämpfen.“ Das Gesicht ihres Sohns war eben noch in einem Bierglas versunken. Nun muss er schlucken. „Humor und Satire, das ist nicht meins“, sagt die Mutter. Aber für seine Kandidatur habe sie trotzdem unterschrieben.
Vor der Kommunalwahl gründete Dominik Heinkele die Ortsgruppe Grafenau, die sieben Mitglieder warben mit einem Stand vor seiner Metzgerei. Ein Slogan: „Mautgebühr für Ostelsheimer“, für die Bewohner des Nachbarorts. Ein anderer: „Gras-Anbau statt Steingärten.“ Und zur Völkerverständigung eine Seilbahn zwischen den Ortsteilen Döffingen und Dätzingen. Doch dann wurde Heinkele eines klar: „Ich hätte mich für jede Partei aufstellen lassen können.“
Am 27. Mai ergatterten die Brüder 8,16 Prozent und zwei Sitze im Gemeinderat, so viel wie SPD und FDP. „Viele im Ort haben sich gefragt: Sind das Rechte, sind das Linke?“, erklärt Christoph Heinkele. Dass Politik doch kein Spaßverein sei. Sein Bruder sagt, dass man durchaus Politik machen wolle: „Wir sind für eine gute Gemeinschaft in Grafenau.“ Und dass man mit allen koalieren dürfe, nur nicht mit den „Unaussprechlichen“. Nur nicht mit der AfD.
Die Parteiuniform ist ein Polyesteranzug und eine rote Krawatte
Am Tag zuvor kam Dominik Heinkeles Anzug mit der Post. Billiggraues Polyester. Seine Parteiuniform kostet ihn 59,99 Euro, dazu die glänzend-rote Krawatte. So gekleidet machen sich die Brüder auf den Weg zur Gemeinderatssitzung im örtlichen Schloss. Die anderen Gemeinderäte raunen, als sie um die Ecke biegen. Was sie von der Satirepartei halten? „Kein Kommentar“, sagt eine Frau und lächelt halbmilde. Für die Brüder hat der Ernst längst begonnen, manche Bürger bringen schon Bauanträge in die Metzgerei, um sie vom Bauvorhaben zu überzeugen.
Wie weit kann dieser ganze Spaß noch gehen – nicht nur in Grafenau? „Nun ja. Die AfD ist im Bundestag“, sagt Dominik Heinkele. „Dann kann ,Die Partei’ das auch.“
Heinrich Oberreuter scheint dieser Gedanke Kopfschmerzen zu bereiten. Der Politikwissenschaftler aus Passau sieht nur zwei Gründe, warum sich Menschen für eine Satirepartei entscheiden: „Entweder ist es der Leichtsinn, zu glauben, ‚Die Partei’ sei tatsächlich das Nonplusultra, eine politische Lösung und frei von Ideologie. Oder aber den Menschen ist die Politik nur noch eine Satire wert.“ Also die intellektuelle Zuspitzung von Verdrossenheit. Ein Signal an alle anderen Parteien: Euch nehmen wir nicht ernst.
Dass die Satiriker von der staatlichen Parteienförderung profitiert, findet Oberreuter aberwitzig. Fast 340.000 Euro waren es im Jahr 2018 und nach dem EU-Wahlerfolg wird die Summe steigen. Dabei wolle sie gar nicht ernstgenommen werden, sagt Oberreuter. „Die größte Satire wäre es, wenn sie tatsächlich Verantwortung übernehmen würde.“ Denn mit satirischer Verächtlichkeit könne man der hochkomplexen Politik von heute nicht gerecht werden. „Das gelingt ja heute kaum noch der CDU und der SPD.“ Dennoch – die Satirepartei widerspreche nicht dem demokratischen Prinzip: „Solange eine Vereinigung alle Vorgaben erfüllt, ist sie natürlich eine legitime Partei.“
Die Suche nach dem Ursprung der „Partei“ führt nach Frankfurt und endet in der Redaktion der Titanic, in einem unscheinbaren Hinterhof am Rande des Bankenviertels. Dort empfängt Thomas Hintner, seit 1991 Chefgrafiker des Satireblatts und seit 2004 Parteifunktionär. „Als wir bei der Partei-Gründung die Posten des Bundesvorstands reihum vergeben haben, war ich plötzlich Generalsekretär.“ Nur für einen sei das Projekt von Beginn an ernst gewesen: Sonneborn. Er wollte ins Europaparlament. Seither spottet er aus Brüssel über Brüssel.
Ein Generalsekretär sollte Wadenbeißer sein und talentierter Verkäufer. Das sei er aber nicht, sagt Hintner. Stattdessen grinst er höflich, kichert gelegentlich und der weiche Singsang seiner Stimme verrät, dass er aus Franken kommt. Hintners Leitspruch wiederum ist ein Plagiat von Franz Josef Strauß: „Es kann links und rechts von ,Der Partei’ nichts geben; es darf links und rechts von ,Der Partei’ nichts geben; und es wird links und rechts von ,Der Partei’ nichts geben!“
Populismus, Floskeln und Klischees zu parodieren gehört zum Konzept. Der Humor bleibt konstant, doch „Die Partei“ wandelt sich. „Vor 15 Jahren kannte ich noch jedes Mitglied beim Namen und wusste die zugehörige Mitgliedsnummer“, sagt Hintner. Heute gebe es mehr als 500 Ortsverbände und „unzählige“ Arbeitsgruppen, die „Hintner-Jugend“ etwa für den Nachwuchs. „Sie können sich also vorstellen, dass ich schon lange keinen Überblick mehr habe.“ Nico Semsrott, die neue Galionsfigur im schwarzen Kapuzenpulli, habe vor allem junge Mitglieder gebracht.
Die haben nach Hintners Worten freie Hand. „Sie dürfen, sollen und müssen tun, was ihnen in den Sinn kommt: Hauptsache, sie machen gute Witze und verbreiten gute Laune.“ Witzigkeit als Hauptkriterium? Natürlich, entgegnet er. Satire und Ironie seien hervorragende Methoden, Missstände aufzudecken. Statt Spaßpartei aber spricht er lieber von einer „Hofnarr-Partei“. Schenkt man Hintner Glauben, teilen Titanic und „Die Partei“ ein Ziel: „Wir wollen die Leute dazu animieren, sich die Freiheiten zu nehmen, die sie zum Leben benötigen, und sich von nichts und niemandem dreinreden zu lassen.“
"Unser Hauptproblem ist tatsächlich, dass uns die Leute nicht verstehen"
Stammtisch in München. Vor der Kneipe „Klenze 17“ steht eine Gruppe Menschen, jeder im grauen Anzug mit roter Krawatte, drinnen debattieren etwa 40 Mitglieder bei Bier und E-Zigaretten und schneiden Aufkleber für den Christopher Street Day aus. Ihr Slogan: „Für ein freiwilliges homosexuelles Jahr.“
Matthias Pressler, ein junger Mann mit langen Haaren und langem Bart, klärt auf. Der da drüben ist Event-Designer. Daneben ein paar Ingenieure, einer, der für einen Chip-Hersteller arbeitet, auch mehrere Erzieherinnen sind da. „Die breite Gesellschaft eben“, sagt Pressler. „Aber wir haben noch zu wenige Frauen.“
Die jungen Männer zeigen eine Whatsapp-Nachricht, die ihnen Sonneborn geschrieben hat. Ein Glückwunsch zu einem Plakat, das er besonders gelungen findet. „Wir haben nicht den Anspruch, jemals Volkspartei zu werden“, sagt Pressler. Aber im Münchner Stadtrat würden sie gerne mitentscheiden. Also, ein paar Fragen zur Lokalpolitik. Verkehrschaos München? „E-Scooter sind für uns eher ein Fall für die Müllhalde. Dafür möchten wir die Isar trockenlegen und einen Erlebnisparcours für SUVs am Mittleren Ring einrichten.“ Nächstes Problem, die Miethölle München? Der Quadratmeterpreis und auch die Ticketpreise für den Nahverkehr müssten an den Bierpreis auf der Wiesn geknüpft werden. 11,80 Euro derzeit. „Eine vernünftiges Modell der Preissteigerung“, nennt Pressler das und verzieht keinen Mundwinkel.
Keine Frage: „Die Partei“ lebt von der Satire. Das ist aber auch zugleich die große Schwierigkeit, räumt Pressler ein. „Unser Hauptproblem ist tatsächlich, dass uns die Leute nicht verstehen.“ Nico Semsrott hat das einmal so formuliert: „Wir meinen Politik ernst, aber unsere Kommunikation ist Satire.“
Nur: Ist dafür jedes Mittel recht? Einmal warb „Die Partei“ mit dem Bild des syrischen Jungen Alan Kurdi, das um die Welt ging – ein Kind, das tot am Strand liegt, gestorben auf der Flucht. Jerome Sturmes, ein Mann mit raspelkurzen Haaren, verteidigt das Motiv: „Wir sind keine Feel-Good-Partei. Satire muss wehtun.“ Harmloser wirkt da ein Plakat, das eine strahlende Frau zeigt, mit dem Slogan „Bayern ist schön“. Nur dass die Frau Kopftuch trägt und der Schriftzug arabisch ist. Feministinnen, die AfD, Türken – viele seien sauer gewesen, sagt Pressler. Aber: „Wir wollen ja gar nicht von allen gewählt werden und jedem gefallen.“
Nach der Europawahl verkündete „Die Partei“ auf ihrer Homepage: „Wir haben das Wahlergebnis von 2014 vervierfachen können, sind in einigen Hamburger Wahlbezirken drittstärkste Partei, liegen in Berlin mit 4,9 Prozent vor der Spaßpartei FDP und bei Erstwählern deutschlandweit vor der SPD!“ Grund zum Feiern? Nicht für „Die Partei“. Weil der Bundesvorstand dann ja betont, „auch diese Wahl hoch verloren zu haben“. Und dass die Stimmung entsprechend gedämpft sei.
Bei aller Ironie – kein Witz.
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