Immer wieder geht im Kampf gegen die unheimliche Ausbreitung des Coronavirus der Blick nach Südkorea: Die Halbinsel – nur wenige hundert Kilometer durch das Meer von China getrennt – kann als eine der wenigen Regionen Erfolge bei der Eindämmung des Coronavirus vorweisen, ebenso wie Taiwan, Hongkong oder auch Singapur. Überall dort hat man aus der jüngeren Vergangenheit gelernt: „Wir waren die Sars-Länder“, sagte der Infektionsmediziner Leong Hoe Nam vom Mount Elizabeth Hospital in Singapur, der Washington Post.
Der Mediziner hatte sich beim Ausbruch der Seuche 2003 selbst lebensgefährlich infiziert. „Wir wurden alle sehr schwer von Sars heimgesucht“, sagt er. „Aber tatsächlich stellt sich heraus, dass es ein Segen für uns war.“ Denn die mehr oder weniger weit entfernten Nachbarn Chinas konnten mit der Sars-Erfahrung ein schnelles Pandemie-Krisenmanagement im Umgang mit dem neuen Coronavirus abrufen, das meist auf breite Zustimmung stößt.
Coronavirus: Ansteckunskurve in Südkorea ohne Ausgangssperre verlangsamt
So geht die Bevölkerung Südkoreas diszipliniert nur noch mit Mundschutz aus dem Haus. Die Kliniken haben genug Schutzkleidung. Und die Regierung des 50 Millionen Einwohner zählenden Landes ermöglichte sehr schnell rund 20.000 Tests pro Tag.
Wer positiv getestet wird, kommt samt Kontaktpersonen in Quarantäne. Es gibt zudem eine Kampagne für „soziale Distanz“, aber Restaurants und Geschäfte bleiben geöffnet. Auch ohne Ausgangssperre oder wirtschaftlicher Vollbremsung gelang Südkorea wie kaum einer anderen Nation, die Ansteckungskurve tatsächlich abzuflachen.
Was allerdings derzeit Politiker und Epidemie-Experten jenseits von Asien besonders interessiert, ist, dass in Südkorea auch Handy-Daten bei der Ermittlung von Kontaktpersonen der Infizierten eine Rolle spielen. Anders als es in Israel offenbar geplant wird, setzt die Regierung von Seoul dabei keine Spionage-Software ein. Das Samsung-Heimatland gilt als extrem technikbegeistert, die allermeisten Smartphones laufen mit der Google-Software Android. Nutzer, die ihre GPS-Daten-Übermittlung freigeschaltet haben, können damit ein recht genaues Bewegungsprofil auf ihrer Google „MyActivity“-Seite abrufen. Zudem gilt das Handynetz als dichtestes der Welt und ermöglicht eine genaue Standortverfolgung.
Mehrere asiatische Länder nutzen Smartphone als elektronische Fußfessel
Vor allem nutzen die Südkoreaner intensiv wie keine andere Nation die Bezahlfunktion ihrer Smartphones oder Kreditkarten anstelle von Bargeld. Auch hier ist im Nachhinein ein Bewegungsprofil rekonstruierbar. All diese Daten werden, wie die Südkorea-Korrespondenten der Washington Postschreiben, bei Corona-Tests gleich zu Beginn vom Handy ausgelesen und bei positivem Ergebnis in Datenbanken analysiert, um örtliche Infektionsherde und Kontaktpersonen zu ermitteln.
Taiwan, Singapur und Hongkong setzen die Smartphones sogar als eine Art elektronische Fußfessel ein. Die Behörden verpflichten jeden, der mit Corona infiziert ist oder auch als Verdachtsfall unter strenger Quarantäne steht, permanent den aktuellen Standort freizugeben, um ihn vollautomatisch von Behörden-Computern überwachen zu lassen. Ist der Handy-Akku leer, rückt bisweilen die Polizei zur Kontrolle an.
Spahns Pläne zur Auswertung von Handy-Daten scheitern am Widerstand von SPD und Opposition
Bundesgesundheitsminister Jens Spahn hatte in seinem Entwurf für die Verschärfung des Infektionsschutzgesetzes auch die Auswertung privater Handy-Daten geplant. Offenbar, um Infizierte und deren Kontaktpersonen ausfindig zu machen oder zu überwachen. Bislang scheitert der CDU-Minister aber am Widerstand des Koalitionspartners SPD und der Opposition, denen dieser Eingriff in die Bürgerrechte viel zu weit geht. Unklar scheint zudem, was Spahn genau vorschwebt.
Die aus Gerichtsprozessen oder Fernsehkrimis bekannte „Funkzellen-Überwachung“, mit der Ermittler auch im Nachhinein feststellen können, wo sich ein Tatbeteiligter in der Nähe aufgehalten hat, liefert wenig brauchbare Hinweise. Denn der genaue Aufenthaltsraum einer Person kann in der Regel nur auf ein paar hundert Meter oder sogar nur Kilometer eingegrenzt werden.
Die Telekom verkauft Datensätze an Firmen
Derzeit nutzt das Robert-Koch-Institut für Infektionsmedizin anonyme Massendaten aus Funkzellen, um zu sehen, ob sich die Mobilität in der Gesellschaft tatsächlich einschränkt. Die Daten müsse man sich wie Bilder einer Wärmebildkamera vorstellen, erklärt die Telekom. Der Konzern verkauft solch anonyme Datensätze sonst auch an Firmen.
Allerdings arbeitet das Robert-Koch-Institut auch mit dem Fraunhofer-Institut für Nachrichtentechnik an einer eigenen Smartphone-App: Bundesbürger könnten mithilfe von GPS-Daten und Bluetooth damit vorsorglich alle persönlichen Kontakte für 21 Tage aufzeichnen – vorausgesetzt, auch ihre Gegenüber haben die App installiert. All das solle auf rein freiwilliger Basis ablaufen, heißt es.
Tatsächlich gibt es genau so eine App bereits zum Herunterladen im Google-Store: Sie heißt „TraceTogether“ („Zusammen verfolgen“) und stammt vom Gesundheitsministerium von Singapur. Wer die App aktiviert, wird von den Behörden informiert, sobald er mit einer Corona-infizierten Person in Singapur Kontakt hatte. Über 100.000 Nutzer haben die App bereits auf ihren Smartphones installiert.
Handydaten auslesen - ja oder nein? Hierzu sind sich auch unsere Redakteure uneins. Lesen Sie den Pro-Kommentar von Lea Thies und den Kontra-Kommentar von Michael Schreiner.
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