Wie kann die Ausbreitung des Coronavirus per Handy eingedämmt werden, ohne dass der Datenschutz auf der Strecke bleibt? Wochenlang wurde erbittert über diese Frage gestritten, während ein Team aus Wissenschaftlern und Softwareexperten im Auftrag der Bundesregierung an der Entwicklung der sogenannten Corona-App arbeitete.
Was sie nun vorstellten, überzeugt selbst vormals scharfe Kritiker. Etwa SPD-Chefin Saskia Esken, die befürchtet hatte, dass die anfangs geplante Nutzung von Standortinformationen zum Einfallstor für Datenmissbrauch und Ausspähung werden würde. Unserer Redaktion sagte Esken: „Die Corona-Warn-App hat ja einige Ab- und Umwege genommen, bevor sie auf die Zielgerade eingebogen ist. Daran, dass es am Ende in die richtige Richtung ging, dass die App wirksam Kontakte verfolgen und Infektionsketten durchbrechen kann und dabei Daten und Privatsphäre optimal schützt, hat die kritische Zivilgesellschaft einen erheblichen Anteil.“ Es gebe keinen Grund mehr, die App, die bereits seit dem frühen Dienstagmorgen zum Download bereitsteht, nicht zu installieren. „Ich habe das heute früh schon erledigt“, fügt die einstige App-Skeptikerin an.
Die Präsentation der Bundesregierung fiel fast schon euphorisch aus
Erwartungsgemäß noch weit euphorischer fiel die offizielle Vorstellung der Warn-Software durch Vertreter der Bundesregierung am Dienstag in Berlin aus. Die Worte von Kanzleramtsminister Helge Braun (CDU) erinnerten gar an den berühmten Satz des Astronauten Neil Armstrong bei der Mondlandung 1969. Die Corona-App, so Braun, sei „ein kleiner Schritt für jeden von uns, aber ein großer Schritt für die Pandemiebekämpfung“. Sie sei nicht die erste ihrer Art auf der Welt, doch er sei überzeugt, dass sie „die beste ist“. Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) betonte, dass es „absolut freiwillig“ sei, die App auf dem Smartphone zu installieren. „Jeder Bürger entscheidet selbst, ob er sie nutzt“, sagte Seehofer.
Mit der App wird per Bluetooth-Funktechnik gemessen, welche Nutzer sich für längere Zeit näher als etwa zwei Meter gekommen sind. Dazu tauschen die Handys Zufallscodes aus. Wird ein Nutzer positiv auf das Coronavirus getestet und teilt die Information mit der App, wird die Kontaktperson anonym verständigt. Und kann sich dann ihrerseits testen lassen. Laut Lothar Wieler, dem Chef des staatlichen Robert-Koch-Instituts, lassen sich dadurch die „Infektionsketten brechen“, die App sei „ein zusätzliches Werkzeug“ zur Nachverfolgung von Kontakten. Dabei, so Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU), gebe die App „Empfehlungen, keine Anweisungen“.
Spahn dämpfte gleichzeitig die Erwartungen: App ist kein Allheilmittel
Gleichzeitig dämpfte Spahn die Erwartungen. Die App sei kein Allheilmittel gegen die Corona-Pandemie und schon gar kein Freifahrtschein für ihre Nutzer, andere Vorsichtsmaßnahmen weniger ernst zu nehmen. „Das Virus ist immer noch da. Abstand halten, in bestimmten Situationen Alltagsmasken tragen und die Hygieneregeln einzuhalten, das bleibt weiter wichtig“, sagte Spahn. Dies gelte erst recht, wenn nun im Zuge der Lockerungen wieder mehr Kontakte erfolgten, etwa bei Demonstrationen, in Zügen oder Bussen. Eine bestimmte Schwelle von Nutzern, die nötig sei, damit die App wirkt, nannte der Bundesgesundheitsminister nicht. Jeder einzelne Teilnehmer zähle. „Sicher, freiwillig, einfach handhabbar, mehr geht kaum“, so Spahns Fazit zur App.
Gebremst hatte die Entwicklung der Irrweg, den das Gesundheitsministerium anfangs eingeschlagen hatte. Es wollte eine App, die die Daten zentral auf einem Server speichert – was Datenschützer scharf kritisierten. Erst Mitte April erfolgte die Kehrtwende, die auch die Hackervereinigung Chaos Computer Club (CCC) überzeugte. Diese teilte unserer Redaktion zwar mit, dass sie keine konkreten Apps zertifizieren oder empfehlen wolle. „Dank Dezentralität und Datensparsamkeit“ sei das Risiko jedoch minimiert, schreibt der CCC. Dies gelte auch, wenn jetzt noch Schwachstellen gefunden werden. Einem Forschungsteam der Universitäten Darmstadt, Würzburg und Marburg etwa war das am Wochenende gelungen.
Die Entwicklungskosten summieren sich auf rund 20 Millionen Euro
Entwickelt wurde die Software für rund 20 Millionen Euro von den Firmen Telekom und SAP, die sich dabei auch auf Technik von Google und Apple stützten. Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) betonte, sie könne die Nutzung der App aus rechtlicher wie aus der Sicht des Verbraucherschutzes „ausdrücklich empfehlen“. Ein Gesetz, das eine Benachteiligung derjenigen ausschließt, die sich der Nutzung der App verweigern, hält sie nicht für nötig. Grüne, Linke und Verbraucherschützer fordern, dass es verboten wird, dass sich etwa Ladenbesitzer oder Gastronomen von Kunden den Gebrauch der App nachweisen lassen. Lambrecht hält es dagegen für unwahrscheinlich, dass etwa Gastwirte den Zutritt zu ihrem Lokal vom Gebrauch der App abhängig machen könnten.
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