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Corona: Warum die Corona-Pandemie ein Härtetest für den Rechtsstaat ist

Corona

Warum die Corona-Pandemie ein Härtetest für den Rechtsstaat ist

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    Auch der Bundesverfassungsrichter Peter M. Huber hält sich an die Vorgaben zu Alltagsschutzmasken.
    Auch der Bundesverfassungsrichter Peter M. Huber hält sich an die Vorgaben zu Alltagsschutzmasken. Foto: Uli Deck, dpa

    Kontaktbeschränkungen, Sperrstunden, Alkoholverbote, eine Maskenpflicht auf vielen Plätzen und verpflichtende Corona-Tests für Pendler aus dem benachbarten Ausland: Mit immer schärferen Maßnahmen versucht die Politik, den Anstieg der Infektionszahlen zu stoppen. Dabei greift der Staat auch massiv in Grundrechte seiner Bürger wie die Versammlungsfreiheit, die allgemeine Handlungsfreiheit oder das Recht auf die freie Entfaltung der Persönlichkeit ein. Aber befindet Deutschland sich deshalb bereits in einer Art Ausnahmezustand, in dem die Politik reihenweise Grundrechte opfert, um ein anders zu verteidigen – nämlich das auf körperliche Unversehrtheit?

    Reiner Schmidt ist einer der angesehensten Verfassungsjuristen in Deutschland. Der 83-Jährige, der lange an der Universität Augsburg gelehrt hat, hält den Vorwurf, Bundes- und Landesregierung begingen im Kampf gegen die Pandemie fortgesetzten Rechtsbruch, für überzogen. "Bisher schlägt sich der Rechtsstaat nicht so schlecht", sagt er im Gespräch mit unserer Redaktion. Mit einigen Maßnahmen wie den inzwischen von mehreren Gerichten wieder einkassierten Beherbergungsverboten seien die Bundesländer zwar zu weit gegangen – Notsituationen aber seien Stunden der Exekutive. Das sei unvermeidlich, und hier habe eine Regierung auch großen Ermessensspielraum.

    Gerichte kippten einige Corona-Maßnahmen

    "Dieser Ermessensspielraum aber", fügt Schmidt hinzu, "bleibt nicht unkontrolliert." Wo er ende, klärten im Zweifel die Gerichte. So wie im Juni, als der Bayerische Verwaltungsgerichtshof die auf 22 Uhr vorgezogene Sperrstunde für die Gastronomie gekippt und längere Öffnungszeiten für Biergärten und Restaurants im Freistaat ermöglicht hatte. In Berlin erzwangen mehrere Wirte vor Gericht ebenfalls eine Rücknahme der Sperrstunde. In München scheiterte ein nächtliches Alkoholverbot vor Gericht.

    Der Münchner Rechtsanwalt Stephan Vielmeier, der bereits mehrere Corona-Verordnungen zu Fall gebracht hat, warnt nun auch vor neuen Ausgangsbeschränkungen, sollten die Zahlen noch weiter steigen: "Ich lasse mich nicht von Markus Söder daheim einsperren." Einen zweiten pauschalen Lockdown hält auch der frühere Vizepräsident des Bundesverfassungsgerichtes, Ferdinand Kirchhof, für verfassungswidrig: Die Gefährdung durch eine zweite Schließung, sagt er, sei für Gastronomie, Einzelhandel und Tourismus heute erheblich größer.

    Corona-Maßnahmen: Es kommt auf die Verhältnismäßigkeit an

    Wie unterschiedlich die Bewertungen ausfallen können, zeigen zwei der bislang spektakulärsten Fälle: Nach einer Masseninfektion beim westfälischen Fleischverarbeiter Tönnies hatten die Behörden im Juni zunächst einen Lockdown für die Landkreise Gütersloh und Warendorf verhängt. Das Oberverwaltungsgericht Münster aber stoppte diese Verordnung wieder mit dem Argument, das Infektionsgeschehen sei lokal sehr begrenzt und nicht die ganze Region gleichermaßen gefährdet. Das Berchtesgadener Land dagegen befindet sich gerade in einem kompletten Lockdown, obwohl auch hier viele Infektionen zu einem Ort zurückverfolgt werden konnten: einer Geburtstagsparty in einer Garage. Landrat Bernhard Kern dagegen verteidigt die Entscheidung, den Landkreis auf das Nötigste herunterzufahren, mit einem "diffusen Geschehen" im gesamten Kreis.

    Für Juristen ist in solchen Fällen die Frage der Verhältnismäßigkeit das entscheidende Kriterium. Vereinfacht gesagt: Behörden sollen nicht härter durchgreifen als unbedingt nötig. Jede Pandemiemaßnahme, schreiben die Staatsrechtler Jens Kersten und Stephan Rixen in ihrem Buch "Der Verfassungsstaat in der Corona-Krise", müsse geeignet, erforderlich und angemessen sein.

    Doch so einfach das klinge, so kompliziert sei das in der Realität. Vieles haben danach auch die Menschen in Deutschland selbst in der Hand: "Je mehr Hygiene und Distanzgebote beachtet werden, desto weniger sind Freiheitsbeschränkungen gerechtfertigt." Umgekehrt allerdings lässt das Infektionsschutzgesetz eben auch harte Eingriffe in die Grundrechte zu. Die zuständige Behörde, heißt es dort in Paragraf 28, treffe die nötigen Schutzmaßnahmen. Und weiter: "Die Grundrechte der Freiheit der Person, der Versammlungsfreiheit, der Freizügigkeit und der Unverletzlichkeit der Wohnung werden insoweit eingeschränkt."

    Experte: "Die Gewaltenteilung funktioniert"

    Josef Franz Lindner, der an der Universität Augsburg unter anderem Medizinrecht lehrt, geht das zu weit. Mögliche, weit in die Grundrechte eingreifende Verbote, verlangt er, müssten im Infektionsschutzgesetz präziser formuliert werden. "Hier brauchen wir mehr Detailschärfe." Außerdem halte er es für äußerst problematisch, dass der Gesundheitsminister mithilfe spezieller Verordnungen von bestehenden Gesetzen abweichen dürfe. "Das kann meines Erachtens nicht so bleiben", sagt Lindner, der beide Seiten gut kennt.

    Ehe er seine Professur in Augsburg antrat, hat er unter anderem in der Bayerischen Staatskanzlei für den damaligen Ministerpräsidenten Edmund Stoiber gearbeitet. Insgesamt jedoch fällt sein Urteil ähnlich aus wie das des Kollegen Schmidt: Abgesehen von einigen Ausreißern, etwa bei den Beherbergungsverboten, halte der Rechtsstaat die Balance zwischen dem Gesundheitsschutz und den Freiheitsrechten seiner Bürger: "Im Großen und Ganzen bewährt sich der Rechtsstaat, die Gewaltenteilung funktioniert."

    Die richtige Bewährungsprobe aber, findet Lindner, stehe dem Rechtsstaat erst noch bevor. Sollten die Zahlen weiter steigen und großflächige Einschränkungen wie im Berchtesgadener Land nötig sein, müsse die Politik genau hinsehen und differenzieren: "Ein pauschaler Lockdown wie im Frühjahr wäre unverhältnismäßig." Ganze Bereiche wie die Gastronomie noch einmal komplett zu schließen, werde nicht mehr gehen. "Die Maßnahmen müssen zu den Ursachen passen", sagt Lindner. In der Gastronomie habe es bisher keine größeren Infektionsherde gegeben, da die Hygienekonzepte funktionierten und beachtet würden. Eine weitere Reduzierung der Teilnehmerzahlen an öffentlichen und privaten Veranstaltungen oder Feiern sei dagegen aus rechtlicher Sicht unproblematisch – damit sich Garagenpartys wie im Berchtesgadener Land nicht wiederholen.

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