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Corona: Virus mutiert nach Delta Variante weiter

Interview

Wird das Coronavirus nach der Delta-Variante noch gefährlicher?

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    Die Aufnahme von der von TU-Wien-Forschern gegründeten Firma „Nanographics“ zeigt echte Coronaviren. Rosa gefärbt ist das sogenannte Spike-Protein, mit dem das Virus in Körperzellen eindringt.
    Die Aufnahme von der von TU-Wien-Forschern gegründeten Firma „Nanographics“ zeigt echte Coronaviren. Rosa gefärbt ist das sogenannte Spike-Protein, mit dem das Virus in Körperzellen eindringt. Foto: Nanographics, Mindek, dpa

    Herr Professor Weber, wir sprechen seit Corona oft von Virusmutanten und Virusvarianten. Gibt es denn einen Unterschied zwischen Mutationen und Varianten?

    Friedemann Weber: Ja, streng genommen gibt es einen Unterschied: Eine Mutation ist einfach eine Änderung des Erbguts. In der Wissenschaft sprechen wir von einer Punkt-Mutation, wenn sich das Genom an einer Stelle verändert hat. Eine Virus-Variante hat aber meistens mehr als eine Mutation in ihrem Erbmaterial. Die Varianten zeigen meistens einen ganzen Strauß an neuen Mutationen.

    Und wie entstehen diese Virus-Varianten?

    Weber: Viren mutieren eigentlich immer. Und bei den sogenannten RNA-Viren, zu denen das SARS-Corona-Virus 2 gehört, ist die Mutationsrate besonders hoch. Das fällt aber oft gar nicht auf, denn die meisten Mutationen wirken sich negativ auf die Nachkommen aus, weshalb sich diese Mutanten nicht verbreiten. Wenn die Umweltbedingungen für Virus stabil sind, werden die

    Wie in Indien Sorglosigkeit die Delta-Variante verursachte

    Heute wird von der Alpha-, Beta-, Gamma- und Delta-Variante geredet. Früher benannte man sie nach ihren Herkunftsländern Großbritannien, Südafrika, Brasilien und Indien. Alles Staaten, die mit Sorglosigkeit im Umgang mit dem Virus Schlagzeilen machten: Zuletzt

    Weber: Es ist stark zu vermuten, dass es einen solchen Zusammenhang gibt. Dabei kommen unterschiedliche Ursachen zusammen. Zum einen: Je größer das Repertoire an vorhandenen Viren ist, indem also ein Land eine hohe Durchseuchung verzeichnet, desto mehr Mutationen gibt es automatisch. Und wenn sich für diese Mutanten dann noch Bedingungen zum Positiven verändern, können sie sich durchsetzen. So waren in Indien vermutlich viele Menschen ein bisschen immun, weil sie schon eine leichte Infektion hatten. Aber nicht genug, um eine robuste Immunität zu entwickeln, die das Virus komplett abwehrt. Wenn dazu noch große, dichte Menschenansammlungen kommen, fördert das die Vermehrung derjenigen Mutanten, die sich besonders leicht übertragen. Daraus entsteht am Ende eine Variante, die ansteckender und zusätzlich widerstandsfähiger gegen Teilimmunität ist. Man sieht hier die Darwin’sche Evolution am Werk: Die Variante, die am schnellsten ist, setzt sich gegen die anderen durch und verbreitet sich. Große Menschenansammlungen verstärken die Verbreitung dieser Varianten. Das gilt nicht nur für religiöse Feste, sondern sicher auch für Fußballmeisterschaften. Wenn die Menschen und die Politik dagegen vorsichtiger handeln, haben aggressiv wachsende Varianten nicht so ein leichtes Spiel.

    Das heißt, wir können daraus lernen, je niedriger die Infektionsraten und die Inzidenzzahlen sind, desto geringer ist das Risiko, dass sich Varianten ausbreiten können?

    Weber: Ja, auf jeden Fall. Je weniger sich das Virus vermehrt, desto weniger Mutanten entstehen und können sich weiterverbreiten.

    WHO zählt schon die Epsilon-Variante bis zur Lambda-Variante

    Während wir bei der Delta-Variante angekommen sind, zählt die WHO bereits das griechische Alphabet schon von Epsilon bis Lambda mit Varianten hoch, stuft diese aber nicht als besorgniserregend ein. Was bedeutet das?

    Weber: Varianten mit spezifischen Mutationen werden zunächst als „von Interesse“ eingestuft. Es gibt genaue Definitionen, ab wann eine Variante von Interesse in eine Variante der Besorgnis hochgestuft wird. Dazu zählt zum Beispiel, ob man eine verstärkte Übertragung registriert oder auch, ob Geimpfte in auffälliger Anzahl von Infektionen betroffen sind.

    Setzen sich denn in der Praxis immer die ansteckenderen Virusvarianten durch?

    Weber: Wenn sich die Bedingungen ändern, indem die Menschen wieder Abstand halten, Maske tragen, sich testen lassen und generell vorsichtiger sind, dann können plötzlich andere Virus-Varianten im Vorteil sein. Möglicherweise jene, die länger im Körper verweilen und nicht so krank machen.

    Varianten müssen also nicht immer unbedingt gefährlicher werden?

    Weber: Nein, überhaupt nicht. Aber machen Sie bitte keine Schlagzeile: „Professor Weber sagt, das Virus wird zum Schnupfen“! Manche haben tatsächlich erwartet, dass sich das Virus bald in Richtung einer Erkältung mutieren würde. Aber es gibt überhaupt keinen Automatismus, dass Viren sich letztlich in eine weniger aggressive Richtung entwickeln. Es kommt immer auf die Bedingungen an, die bestimmte Strategien von Viren fördern oder eben nicht fördern. Das Coronavirus „will“ sich vermehren. Aber es hat im Grunde nichts davon, dass es die Menschen krank macht und tief ins Gewebe eindringt. Da kommen die Viren ja nie wieder raus, um jemand anderen anzustecken. Es ist durchaus vorstellbar, dass sich eine neue Variante irgendwann in die Richtung entwickelt, dass das Virus harmloser wird. Aber ob und wann das passieren wird, kann niemand vorhersagen.

    Virologe: Impfungen bieten Grundschutz auch vor neuen Varianten

    Das heißt, es ist auch nicht Gesetz, dass wie bislang eher die Schwarzseher recht behalten?

    Weber: Zum Glück nicht. Der Verlauf einer Pandemie oder eine Epidemie hängt von der Anzahl und Verfügbarkeit von Menschen ab, die für eine Ansteckung empfänglich sind. Solange noch genug empfängliche und ungeschützte Individuen vorhanden sind, gibt es für das Virus tatsächlich keinen Grund, sich irgendwie in etwas Harmloseres zurückzuentwickeln. Aber mit den Impfungen produzieren wir eine andere Umwelt für das Virus. Theoretisch könnte das Spiel dann von vorne losgehen, aber es ist zu erwarten, dass die Grundimmunität, die wir durch die Impfung bekommen, uns hochgradig vor schweren Verläufen schützt. Es ist keine neue Variante in Sicht, mit der wir wieder bei null anfangen müssten.

    Demnach bleibt Impfen momentan das beste Mittel?

    Weber: Nicht nur momentan, sondern das wird auch so bleiben. Eine Therapie wird nie den gleichen Effekt haben wie eine Impfung. Denn eine Therapie kommt ja eigentlich immer zu spät, da ist die Infektion schon passiert. Geimpfte werden immer besser dagegen geschützt sein, schwer zu erkranken, selbst wenn sie sich durch eine neue Variante infizieren sollten.

    Professor Friedemann Weber leitet das Institut für Virologie der Uni Gießen.
    Professor Friedemann Weber leitet das Institut für Virologie der Uni Gießen. Foto: Rolf K. Wegst

    Zur Person: Professor Friedemann Weber leitet das Institut für Virologie der Uni Gießen und forscht seit langem an hochkrankheitserregenden RNA-Viren, zu denen auch das Coronavirus Sars-CoV-2 gehört.

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