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Corona-Strategie: Testen, testen, testen. Oder lieber nicht?

Corona-Strategie

Testen, testen, testen. Oder lieber nicht?

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    Testen: ja. Aber wie?Professor Harald Renz hält das Konzept der Massentestungen für gescheitert.
    Testen: ja. Aber wie?Professor Harald Renz hält das Konzept der Massentestungen für gescheitert. Foto: Moritz Frankenberg, dpa

    Sehr widersprüchlich erweist sich bis heute das Thema Corona-Tests. Während etwa Bayerns Ministerpräsident Markus Söder völlig davon überzeugt zu sein scheint, dass eine möglichst breit angelegte Diagnostik als ein Königsweg zur Eindämmung des Coronavirus zu werten ist, gibt es – auch von ärztlicher Seite – nicht unerhebliche Kritik.

    Erst unlängst monierte der Hausärztesprecher von Bayerisch-Schwaben, Dr. Jakob Berger, im Gespräch mit unserer Redaktion, dass es dringend angezeigt sei, die vorhandenen Testkapazitäten für den Herbst und den Winter aufzusparen. Für jene Zeit nämlich, wenn es viel mehr Bedarf an Testungen geben wird.

    Es mache überhaupt keinen Sinn, Menschen ohne Symptome zu überprüfen. Das wiege sie nur in womöglich falscher Sicherheit. Zumal es viele negative Testergebnisse gebe, obwohl der Patient eigentlich positiv sei – und umgekehrt.

    „Das Konzept der Massentestung ist kläglich gescheitert"

    Ins gleiche Horn stößt Professor Harald Renz, Vizepräsident der Deutschen Gesellschaft für klinische Chemie und Laboratoriumsmedizin. „Das Konzept der Massentestung – man könnte auch sagen, der Schrotschuss-Testung – ist kläglich gescheitert“, sagt der 59-Jährige, der auch Ärztlicher Geschäftsführer und Ärztlicher Direktor des Universitätsklinikums Gießen und Marburg ist. „Das Problem ist, dass die Aussagekraft der Tests zu schlecht ist.“ Womit wir wieder dabei wären, dass es nach wie vor zu viele falsch-positive und falsch-negative Testergebnisse gibt.

    Und ein Testergebnis nur eine Momentaufnahme darstellt – die schon in Kürze völlig obsolet sein kann. Überdies ein positives Testergebnis nicht unbedingt aussagt, ob der Getestete überhaupt infektiös ist.

    „Es würde viel mehr Sinn machen, konsequent Hochrisikogruppen zu testen – das Schrotschussverfahren ist nicht zielführend.“ Was den Facharzt für Laboratoriumsmedizin, klinische Chemie und Allergologie ärgert: „Es gibt so viel Expertise in diesem Land – aber sie wird von der Politik viel zu wenig abgerufen.“ Dadurch seien in puncto Testungen zu viele handwerkliche Fehler entstanden.

    Die Politik hätte sich mehrseitig beraten lassen müssen

    „Schon allein bei der Probenentnahme kann man viel falsch machen.“ Immer wieder hörte man von Teststationen, wo letztlich völlig fachfremdes Personal – versehen mit einer Minischulung – auf die Menschen „losgelassen“ wurden. „Der Mund-Rachen-Test heißt nicht umsonst so“, sagt Renz. Man müsse den Tupfer durch die Nase ganz in den Rachen schieben – eine unangenehme Sache. „Es ist kein Wunder, dass dabei viele Proben entnommen werden, die zu wenig Aussagekraft haben.“

    Zudem kritisiert Renz Organisationsfehler, die im 21. Jahrhundert nun wirklich nicht mehr sein dürften. Dass etwa Stammdaten der Patienten nicht richtig erfasst wurden. Und: „Fehler wurden nicht nur in Bayern gemacht. Das sieht man hier auch bei uns in Hessen – etwa am Frankfurter Flughafen.“

    Laut Renz wären diese Fehler vermeidbar gewesen. „Man hätte es ruhiger angehen lassen müssen. Und die Politik hätte sich mehrseitig beraten lassen sollen – anstatt einseitig.“ Überdies wiesen die Test-Kits der verschiedenen Hersteller unterschiedliche Qualitäten auf. „Das Bundesgesundheitsministerium und das Robert-Koch-Institut sollten endlich eine Positiv-Liste veröffentlichen, welche Tests von welchen Herstellern verwendet werden sollten.“ Doch das werde gescheut, weil man nicht in den Markt eingreifen wolle und Klagen von Firmen, die sich benachteiligt sehen, befürchte, sagt Renz.

    Die Fallzahlen steigen, die Todeszahlen nicht

    Grundsätzlich fordert der bekannte Bonner Virologe Hendrik Streek einen anderen Blick auf die Testergebnisse: „Wir dürfen uns bei der Bewertung der Situation nicht allein auf die reinen Infektionszahlen beschränken“, sagte er.

    Zwar steige die Zahl der positiv getesteten Menschen in Deutschland und Europa derzeit signifikant an. „Gleichzeitig sehen wir aber kaum einen Anstieg der Todeszahlen.“ Was wieder ein Beleg dafür ist, dass Covid-19 inzwischen besser behandelt werden kann. Und für manche zwar sehr gefährlich, für sehr viele Infizierte aber nicht gefährlich ist. In diesem Lichte sollte etwa die bayerische Staatsregierung ihre Teststrategie neu überdenken.

    Dieser Artikel ist Teil unseres Schwerpunkts "Corona und die Folgen: Was hätte die Politik besser machen können?" Lesen Sie hier weitere Texte zum Thema:

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