Teststation und Testlabor sind noch nicht einsatzbereit, da bildet sich schon quer über den Tübinger Marktplatz eine lange Warteschlange vor dem Rot-Kreuz-Pavillon. Jung und Alt stehen da, die Menschen halten Abstand, tragen Maske und warten geduldig in der Kälte. Ganz vorne zwei junge Männer, Leon Müller und Tim Ludwig, die eine Kontaktwarnung von ihrer Corona-App bekamen. Kostenlos können sie hier in Tübingen einen Schnelltest machen. Personalien angeben, Abstrich aus der Nasenschleimhaut nehmen lassen, auf das Ergebnis warten – und 15 Minuten später ist der Befund da. Wer positiv getestet wird, dessen Daten gehen sofort ans Gesundheitsamt, die Betroffenen werden vor Ort über die Folgen aufgeklärt und nach Hause geschickt. „Ich finde das richtig gut“, sagt Passantin Irmtraut Hermann, 87 Jahre alt. Und sie ist nicht die einzige.
Im April-Lockdown noch hatte der Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer bundesweit für einen Aufschrei der Empörung gesorgt mit seiner Aussage, der Lockdown rette mit enormen gesellschaftlichen Folgen möglicherweise Menschen, die aufgrund ihres Alters oder von Krankheiten in einem halben Jahr sowieso tot wären. Er erhielt Morddrohungen, entschuldigte sich später, sprach von einem Missverständnis. Statt Wirtschaft und Kultur lahmzulegen, wollte er eigentlich die Älteren speziell schützen, sagte er – und setzte das daraufhin um.
Corona-Krise: Olaf Scholz spricht von einer Naturkatastrophe
Auf Befehle aus der Staatskanzlei zu warten, ist die Sache des grünen Rebellen aus Baden-Württemberg nicht. Anfangs belächelt, gilt er inzwischen bundesweit als Vorbild im Kampf gegen Corona und vor allem bei der dringenden und immer lauter gestellten Frage nach einem langfristigen Konzept gegen die Pandemie schaut man inzwischen in den Südwesten der Republik. Denn kaum ein Experte glaubt, dass mit dem 10. Januar der Spuk der Pandemie vorüber sein wird. Bis dahin soll der harte Lockdown vorerst gelten. Doch zehn Tage vor Weihnachten blickt das Land verzweifelt auf die steigenden Infektionszahlen und muss erkennen: Der Stichtag wird allenfalls eine Zwischenetappe sein.
Auf unter 50 soll der Inzidenzwert gedrückt werden – aktuell liegt er deutschlandweit bei 176. Vizekanzler Olaf Scholz bekennt offen: „Das ist, wie wenn der Vesuv ausbricht. Da kann man nur noch sehen, dass man sich in Sicherheit bringt – und das ist das, was wir tun.“ Was fehlt, ist eine Strategie, die sich über Monate bis in den Frühsommer durchhalten lässt.
Corona lässt die Sorgen der Deutschen wachsen
Dabei verschärfen sich schon jetzt die Sorgen der Deutschen. Im November berichteten bereits 40 Prozent der Befragten von eigenen Einkommenseinbußen, so das Ergebnis einer Umfrage der Hans-Böckler-Stiftung. Im Juni hatten das erst 32 Prozent gesagt. „Die Pandemie verstärkt bestehende soziale Schlagseiten“, erklärt die wissenschaftliche Direktorin des WSI-Instituts, Bettina Kohlrausch. In der Folge hat auch die Zustimmung zum Krisen-Management der Bundesregierung abgenommen. Nur noch 55 Prozent zeigten sich zufrieden oder sehr zufrieden mit den Maßnahmen. 90 Prozent machen sich Sorgen um den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Der im Frühjahr so erfolgreich herausgearbeitete medizinische und politische Vorsprung ist verloren. Die Angst vor einer Lockdown-Endlosschleife geht um. Was also tun?
Chronologie der Corona-Pandemie 2020 in Eilmeldungen
Mehr als 600 Eilmeldungen hat die Deutsche Presse-Agentur bis Dezember 2020 allein zum Corona-Virus gesendet. Die Überschriften dokumentieren die Zeitspanne von den ersten Hinweisen auf eine Ausbreitung der Viruserkrankung bis zu den jüngsten Erfolgen bei der Impfstoffentwicklung. Ein Überblick:
Januar
22.1. WHO ruft wegen Virus in China vorerst keine "internationale Notlage" aus
24.1. Zwei Fälle der neuen Lungenkrankheit in Frankreich nachgewiesen
28.1. Erster Coronavirus-Fall in Deutschland bestätigt
30.1. Coronavirus in China: WHO erklärt internationale Notlage
Februar
15.2. Frankreich meldet ersten Coronavirus-Todesfall in Europa
22.2. Italien will mit Coronavirus betroffene Städte abriegeln
29.2. Erster Coronavirus-Todesfall in den USA
März
9.3. Coronavirus: Landrat meldet ersten Todesfall in Deutschland
11.3. WHO bezeichnet Verbreitung des neuen Coronavirus als Pandemie
12.3. USA erlassen wegen Coronavirus 30-tägigen Einreisestopp aus Europa
12.3. CDU verschiebt Parteitag wegen Corona-Krise
12.3. Merkel: Wegen Coronavirus auf Sozialkontakte weitgehend verzichten
12.3. Bund und Länder: Ab Montag alle planbaren Operationen verschieben
13.3. UEFA stoppt vorerst Spielbetrieb im Fußball-Europapokal
13.3. NRW schließt nächste Woche alle Schulen
(plus 14 weitere Eilmeldungen zu Schulschließungen in anderen Bundesländern)
13.3. DFL: Fußball-Bundesliga stellt Spielbetrieb vorerst ein
13.3. Trump ruft wegen Coronavirus nationalen Notstand aus
16.3. Regierung schlägt Schließung von Läden vor - Supermärkte aber offen
17.3. Maas startet Rückholaktion für im Ausland festsitzende Deutsche
17.3. Bundesregierung spricht weltweite Reisewarnung aus
17.3. Fußball-EM wegen Coronavirus um ein Jahr verschoben
17.3. Nur noch EU-Bürger sollen nach Deutschland reisen dürfen
18.3. Österreich kontrolliert ab Mitternacht Grenze zu Deutschland
19.3. Coronavirus-Pandemie: Italien meldet mehr Tote als China
21.3. Mietern soll in Krise nicht gekündigt werden dürfen
22.3. Bund und Länder wollen Restaurants unverzüglich schließen
24.3. IOC bestätigt: Olympia in Tokio wird verschoben
25.3. Historisches Hilfspaket in Corona-Krise beschlossen
27.3. Corona-Pandemie: Italien meldet fast 1000 Tote an einem Tag
April
2.4. Weltweit mehr als eine Million nachgewiesene Coronavirus-Infektionen
6.4. Kreise: Zwei Wochen Quarantäne bei Rückkehr nach Deutschland
6.4. Corona-Infektion: Britischer Premierminister auf Intensivstation
15.4. Bund will Öffnung von Geschäften bis 800 Quadratmeter ermöglichen
15.4. Schulstart in Deutschland schrittweise ab 4. Mai geplant
17.4. Spahn: Ausbruch ist beherrschbar geworden
21.4. Saison in Handball-Bundesliga abgebrochen
22.4. Erste klinische Studie zu Corona-Impfstoff in Deutschland zugelassen
23.4. Merkel: Länder in Corona-Krise teils zu forsch
28.4. Nun bundesweite Maskenpflicht auch im Einzelhandel
30.4. Betriebe melden für 10,1 Millionen Menschen Kurzarbeit an
Mai
5.5. Wirtschaftsminister der Länder wollen Gastronomieöffnung ab 9. Mai
6.5. Bund will Öffnung aller Geschäfte in Corona-Krise erlauben
6.5. Politik erlaubt Geisterspiele der Fußball-Bundesliga ab Mitte Mai
13.5. Bundesregierung beschließt Lockerung der Grenzkontrollen
15.5. Deutsche Wirtschaft bricht in der Corona-Krise ein
26.5. Bund und Länder einig: Kontaktbeschränkungen bis 29. Juni
Juni
9.6. Deutscher Export bricht im April um mehr als 30 Prozent ein
16.6. Offizielle Corona-Warn-App steht zum Download bereit
17.6. Großveranstaltungen werden mit Ausnahmen bis Ende Oktober verboten
17.6. Schulen sollen nach Sommerferien wieder komplett öffnen können
23.6. Zahlreiche Einschränkungen nach Corona-Ausbruch bei Tönnies
25.6. EU-Kommission genehmigt Rettungspaket für Lufthansa
29.6. Bundestag beschließt Mehrwertsteuersenkung und Familienbonus
Juli
3.7. Arznei Remdesivir erhält europäische Zulassung für Covid-19
7.7. Brasiliens Präsident Bolsonaro mit Coronavirus infiziert
22.7. Corona-Tests bei Einreise aus Risikogebieten sollen Pflicht werden
30.7. Deutsche Konjunktur bricht dramatisch ein
30.7. Historischer Konjunktureinbruch in den USA wegen Corona-Krise
August
11.8. Putin: Russland lässt Impfstoff gegen Coronavirus zu
14.8. Reisewarnung des Auswärtigen Amts für fast ganz Spanien samt Mallorca
27.8. Bund und Länder: Großveranstaltungen bis Ende des Jahres verboten
September
29.9. Feiern in öffentlichen Räumen auf 50 Teilnehmer beschränkt
30.9. Neue Corona-Risikogebiete in elf europäischen Ländern
Oktober
2.10. US-Präsident Trump und First Lady positiv auf Coronavirus getestet
7.10. Länder: Beherbergungsverbot für Reisende aus Risikogebieten
8.10. Corona-Neuinfektionen in Deutschland steigen sprunghaft auf über 4000
14.10. Beschluss: Sperrstunde um 23 Uhr für Gastronomie in Corona-Hotspots
14.10. Bund und Länder wollen striktere Kontaktbeschränkungen in Hotspots
14.10. Frankreich führt Gesundheitsnotstand wieder ein
15.10. RKI meldet Rekordwert bei Corona-Neuinfektionen in Deutschland
21.10. Gesundheitsminister Spahn positiv auf Corona getestet
26.10. CDU-Spitze verschiebt Parteitag zur Vorsitzendenwahl ins nächste Jahr
28.10. Bund und Länder: Beginn von Kontaktbeschränkungen am 2. November
28.10. Bund und Länder wollen Gastronomiebetriebe vorübergehend schließen
November
2.11. Teil-Lockdown startet: Öffentliches Leben wird heruntergefahren
9.11. Biontech veröffentlicht vielversprechende Daten zu Corona-Impfstoff
16.11. Auch US-Konzern Moderna legt positive Daten zu Corona-Impfstoff vor
16.11. Bund und Länder appellieren: Keine privaten Feiern mehr
18.11. Bundestag beschließt Änderungen beim Infektionsschutzgesetz
25.11. Private Zusammenkünfte werden auf fünf Personen begrenzt
25.11. Bund und Länder lockern Kontaktbeschränkungen für Weihnachten
30.11. Moderna will Zulassung für Corona-Impfstoff in EU beantragen
Dezember
1.12. Biontech und Pfizer beantragen EU-Zulassung für Corona-Impfstoff
2.12. Biontech und Pfizer: Großbritannien lässt Corona-Impfstoff zu
2.12. Bund und Länder: Teil-Lockdown wird bis in den Januar verlängert
9.12. Verfassungsschutz Baden-Württemberg beobachtet "Querdenken"-Bewegung
12.12. Corona-Impfstoff von Biontech und Pfizer erhält US-Notfallzulassung
13.12. Bund und Länder beschließen harten Lockdown ab dem 16. Dezember
13.12. Bund und Länder beschließen Versammlungsverbot an Silvester
13.12. Möglichst keine Schul- und Kita-Besuche ab Mittwoch bis 10. Januar
13.12. Bund erhöht Corona-Finanzhilfen für Unternehmen
19.12. Corona-Impfstoff von Moderna erhält Notfallzulassung in den USA
21.12. EMA empfiehlt erste Zulassung eines Corona-Impfstoffs in der EU
21.12. EU-Kommission genehmigt Corona-Impfstoff von Biontech/Pfizer
22.12. Bayern führt Corona-Testpflicht für Reisende aus Risikogebieten ein
(dpa)
Anders als Bund und Länder, baut Tübingen nicht auf die Wucht eines Lockdowns für alle, sondern auf den Schutz von Risikogruppen. Schon seit Mai gibt es ein spezielles Programm für Senioren. Dazu gehören ein Senioren-Einkaufsfenster, günstige Einzelfahrten im Sammeltaxi und kostenlose FFP2-Masken von der Stadt. Seit September gibt es nun kostenlose Schnelltests in Heimen für Personal und Bewohner, seit Oktober für die Besucher und seit drei Wochen ist das Testmobil im Einsatz, fünf Tage die Woche. Rund 1500 Schnelltests haben die Ehrenamtlichen und Helfer schon durchgeführt, finanziert durch das Rote Kreuz und Spenden. Die Stadtkasse überweist vorerst eine halbe Million Euro.
Der Erfolg gibt dem grünen Oberbürgermeister recht: Zumindest in den Pflegeheimen konnte die Pandemie inzwischen weitgehend eingedämmt, wenn auch nicht ausgemerzt werden. Vom „Tübinger Wunder“ war die Rede. Dabei, so Palmer, ist es doch nur nüchterne Krisenpolitik. „Das ist ja keine Erfindung von mir, sondern steht in jedem Pandemieplan: Wenn die Infektionen nicht mehr ausgerottet werden können, muss man zum Schutz der Risikogruppen übergehen“, sagt Palmer. Doch dafür habe der Mut gefehlt. „Die Verwechslung von Differenzierung und Diskriminierung ist eines der Probleme der Politik.“
Boris Palmer kritisiert zögerliche Politik
Hätte ein landes- oder gar bundesweites Schutzkonzept nach dem Tübinger Muster also dazu beitragen können, die aktuelle dramatische Infektionslage und damit den ab Mittwoch geltenden Lockdown zu verhindern? „Nein“, bekennt Palmer. „Dafür reicht unser Konzept nicht – weil es die allgemeine Infektionsausbreitung nicht unterbinden kann.“ Hierfür hätte es weitere Instrumente gebraucht, wie eine bessere App zur Nachverfolgung der Infektionsketten – einen gemeinsamen Kraftakt von ganz oben also. „Aber das Tübinger Modell hätte sicher viele Todesfälle verhindern können.“
Und genau deshalb sieht sich der als streitbar bekannte Palmer in seinem Weg bestätigt. Denn einiges von dem, was Kanzlerin Angela Merkel und die Riege der Ministerpräsidenten in ihrer Hauruckkonferenz am Sonntag beschlossen haben, wirkt tatsächlich wie eine Blaupause der Strategie der Kleinstadt am Neckar. Neben dem Lockdown sind verpflichtende Tests in Alten- und Pflegeheimen eines der zentralen Elemente des Masterplans der Bundesregierung und der Länder. „Damit wird eine ganz große Leerstelle in der Corona-Politik geschlossen“, sagt der Oberbürgermeister.
Weitere klaffen allerdings noch immer – und zwar sperrangelweit. Und diese Leerstellen haben den bevorstehenden Lockdown aus Sicht von Palmer letztlich unvermeidbar gemacht. „Es geht nicht anders“, sagt der OB über das Herunterfahren des öffentlichen Lebens. Und schiebt hinterher: „Hätten wir das letzte halbe Jahr genutzt, um effektive Schutzstrategien für die älteren Menschen zu etablieren, hätten wir eine Kontaktverfolgung wie in Südkorea oder Taiwan gegen absurde Datenschutzbedenken durchgesetzt, hätten wir diesen Kampf gesucht, stünden wir heute besser da.“
Abschied von Datenschutz-Grundsätzen in der Corona-Krise
Tatsächlich ist es die technische Nachverfolgung von Kontakten und damit der Abbau des Datenschutzes, die inzwischen immer wieder genannt wird, als scharfe Waffe im Kampf gegen das Virus. Die jetzige Corona-Warn-App erfüllt die Erwartungen nicht, zu viele Hindernisse bremsen sie aus. Das Vertrauen in ihre Möglichkeiten ist angeknackst.
Und auch Palmer hält einen Neustart oder zumindest eine Ergänzung für dringend erforderlich; GPS-Daten etwa in die App zu integrieren, um so Laufwege nachzuverfolgen. Technisch ist das kein Problem, moderne Smartphones zeichnen ohnehin eine Vielzahl von Bewegungsprofilen auf. „Dann müssten wir auch nicht mehr mit der Schrotflinte rumschießen, wir brauchen jetzt chirurgische Eingriffe“, appelliert Palmer. Viel hänge nun am Mut der Politik – und da seien die nächsten vier Wochen entscheidend. „Wenn wir am 10. Januar den Lockdown verlängern und das vielleicht sogar bis April durchziehen, dann ist der Schaden an Wirtschaft und Gesellschaft und Gesundheit so immens, dass wir das nicht durchstehen.“
Das glaubt auch Palmers bayerische Parteifreundin Katharina Schulze. „Die Pandemie ist am 10. Januar nicht zu Ende“, sagt die Fraktionschefin der Grünen im Landtag. Einen Fünf-Stufen-Plan mit dem schlichten Titel „Leben mit der Pandemie“ schlägt sie vor, der soll bei Erreichen regionaler Inzidenzschwellen klare Handlungsmaßgaben festlegen. Die Menschen und die Betriebe bräuchten endlich Planungssicherheit, bis es einen Impfschutz gebe.
Christian Lindner: "Der harte Lockdown ist eine Notbremse"
Einer, der den Corona-Kurs der Regierung seit langem kritisiert, ist FDP-Chef Christian Lindner. Durch die Entscheidung der Ministerpräsidentenrunde sieht er sich in seiner Haltung bestätigt, dass es den Entscheidern an einem Plan fehle. „Der harte Lockdown ist eine Notbremse“, sagt Lindner. Sein dringender Rat: „Die Zeit über Weihnachten muss genutzt werden, um endlich eine Langfriststrategie zu entwickeln. Ansonsten werden wir aus der Dauer-Debatte um Verlängerungen und Verschärfungen nicht herausfinden.“
Bis heute sei es nicht gelungen, einen Schutzschirm über die wirklich gefährdeten Menschen zu spannen. Die vergangenen Monate seien trotz wiederholter Forderungen der FDP nicht dafür genutzt worden, etwa Alten- und Pflegeheime mit Schnelltests und FFP2-Masken auszustatten. Was Lindner fordert, dürfte Boris Palmer gefallen: Die Schnelltestkapazitäten müssten ausgebaut werden. Ohne Schnelltest soll es keinen Zugang mehr zu den Einrichtungen geben. Die Bundesregierung sollte kostenlos ausreichend FFP2-Masken zur Verfügung stellen. In Alten- und Pflegeheimen, aber auch in Schulen müsse unverzüglich mit der Installation von Luftfilteranlagen begonnen werden. Für Gastronomie, Sport und Kultureinrichtungen müssten Schutzkonzepte entwickelt werden, die einen Betrieb auch in Zeiten der Pandemie ermöglichen. Es ist eine ganze Litanei aus Maßnahmen, die inzwischen zum Konsens wurden – und an deren Umsetzung es hapert.
Physikerin Priesemann: Corona-Inzidenzwert muss unter 50 sinken
Und doch gibt es durchaus so etwas wie (verhaltene) Rückendeckung für die aktuelle deutsche Corona-Politik. Und die kommt ausgerechnet von Viola Priesemann, Physikerin am Max-Planck-Institut, geboren in Bobingen. Priesemann hatte zuletzt immer wieder die Ministerpräsidenten für ihre zögerliche Haltung kritisiert. Das Herumdoktern war ihr ein Dorn im Auge. Durch die Entscheidung für einen harten Lockdown sieht sie sich in ihrer Haltung klar bestätigt. Nicht der Lockdown sei das Problem, sondern die hohen Fallzahlen. „Man kann sich das wie einen Brand vorstellen: Wir versuchen ihn, mit dem Wasserschlauch und ein paar Eimern Wasser oder Sand unter Kontrolle zu bringen. Das kann man anfangs versuchen. Wenn das aber nicht gelingt, dann muss man die Feuerwehr rufen: Je schneller, desto geringer der Schaden und desto kürzer der Lockdown“, sagt sie.
Das Herunterfahren des öffentlichen Lebens ist also auch aus ihrer Sicht alternativlos. Es müsse das unverrückbare Ziel sein, die Wocheninzidenz unter 50 oder gar unter 35 zu drücken. Priesemann ist überzeugt: In den meisten Bundesländern könnte das gelingen. Für alle Länder und alle Landkreise, die nicht klar unter der Grenze von 50 sind, müsse man aus wissenschaftlicher Sicht den Lockdown verlängern oder verschärfen. „Ansonsten verpuffen die Maßnahmen“, sagt die Wissenschaftlerin. „Außerdem gefährden Regionen mit hohen Fallzahlen die Kontrolle und Sicherheit in den Nachbarregionen.“ Dass wir bis zum Frühjahr mit hohen Fallzahlen leben können, glaubt sie nicht. „Bei hohen Fallzahlen ist die Eindämmung viel schwieriger und aufwendiger“, sagt Priesemann. „Hohe Fallzahlen haben keinerlei Vorteile für Gesundheit, Gesellschaft und Wirtschaft.“
Deshalb fordert sie, den eingeschlagenen Weg mit aller Konsequenz zu gehen. Firmen müssten mehr Homeoffice ermöglichen, Kantinen schließen, Arbeitstreffen in die virtuelle Welt verlegt werden. „Es geht jetzt darum, die nächsten drei Wochen zu nutzen, um die Fallzahlen deutlich unter 50 zu senken – damit wir nicht ewig unter einem Lockdown light leiden, sondern wieder mehr Freiheiten bekommen“, sagt Viola Priesemann.
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