Gut sechs Wochen braucht das Coronavirus von seiner Ankunft in Deutschland bis in den Bundestag. Am 11. März 2020 berichten die Medien, dass sich mit dem FDP-Mann Hagen Reinhold er erste Abgeordnete angesteckt hat. Am selben Tag bricht Bundeskanzlerin Angela Merkel endlich ihr Schweigen zu der hochansteckenden Seuche, die längst die Schlagzeilen bestimmt. Eben ist in Heinsberg der dritte Bundesbürger an Corona gestorben und die CDU-Politikerin spricht von einer „Notsituation“ in der sich das Land befinde, mahnt zu Besonnenheit, aber auch zu einem entschlossenen Kampf, gegen eine Krise, deren Entwicklung sich nicht voraussehen lasse.
Ihr selbst bringt die Ausnahmesituation auf der Zielgeraden ihrer Kanzlerschaft noch einmal ungeahnte Popularität. In schweren Krisen schlägt die Stunde der Exekutive, heißt es, und die Regierungschefin übernimmt zusammen mit den Ministerpräsidenten der 16 Bundesländer das Heft des Handelns. In stundenlangen Videokonferenzen werden Ausgangssperren, Schulschließungen, Reisebeschränkungen sowie das Herunterfahren von Wirtschaft und Kultur beschlossen. Dabei sind die Runden, in der sich zumindest Thüringens Landeschef Bodo Ramelow (Linke) die Zeit mit Handyspielchen vertreibt, im Grundgesetz eigentlich gar nicht vorgesehen. Es ist das zuvor wenig beachtete Infektionsschutzgesetz, dass der Regierung die mit weitreichenden Grundrechtseinschränkungen verbundenen Maßnahmen ermöglicht.
Das Parlament verliert in der Corona-Krise an Bedeutung
Das Parlament gerät zunächst ins Hintertreffen, darf vieles erst im Nachhinein absegnen. Doch der Bundestag gewöhnt sich schließlich an die Bedingungen von Quarantäne, Maskenpflicht und Homeoffice, setzt auf digitale Konferenzen, tagt in kleineren Gremien und macht weiter Gesetze.
Die schwarz-rote Bundesregierung rauft sich zur Krisenbewältigung zusammen. Vizekanzler Olaf Scholz, zuvor pingeliger Kämmerer der Nation, darf verkünden, dass Geld nun keine Rolle mehr spielt und mit der fiskalischen „Bazooka“ gegen die Krisenfolgen schießen.
Drosten, Wieler, Lauterbach: neue Akteure auf dem Spielfeld
Mit Corona treten in der Politik ganz neue Akteure aufs Spielfeld. Auf die Empfehlungen von Christian Drosten, den smarten Chef-Virologen der Berliner Charité, und Lothar Wieler, den spröden Leiter des Robert Koch Instituts, hören die Entscheider. Plötzlich ist der Fliegenträger und SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach als Corona-Mahner auf allen Kanälen präsent.
Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) wird, als Deutschland die Lage besser im Griff hat, als andere Länder, immer beliebter. Doch mit dem holprigen Impfstart und explodierenden Infektionszahlen im Winter fallen seine Aktien wieder. Friedrich Merz, zeitweise als künftiger CDU-Chef und Merkel-Nachfolger gehandelt, kann ohne Amt kaum mehr punkten. Dagegen liefern sich die Länderchefs von Nordrhein Westfalen und Bayern ein Fernduell um die entschlossenste Corona-Politik. Armin Laschet gegen Markus Söder – dabei geht es auch um die Frage, wer Kanzlerkandidat der Union wird.
Union im Höhenflug, Rechtsradikale bei Querdenker-Demos
In den Umfragen erleben CDU und CSU einen Höhenflug, die SPD kommt, wiewohl Teil der Regierung, nur schleppend aus dem Tief. Auffällig mit Kritik an der Regierung zurück halten sich die oppositionellen Grünen – Vorgeschmack auf ein schwarz-grünes Bündnis im Herbst? Kaum hinterher mit der Forderung nach neuen sozialen Wohltaten kommt die Linkspartei, meist ist die Regierung schneller. Auch die FDP kann mit ihren Mahnungen vor zu heftigen Einschnitten in die Grundrechte kaum punkten. Verzweifelt umgarnt die AfD jene, die sich eine andere Pandemiepolitik wünschen. Doch auf den Querdenker-Demos tummeln sich neben Bürgern mit berechtigten Sorgen auch Corona-Leugner, Verschwörungstheoretiker und Rechtsextremisten.
Der versuchte Sturm auf das Reichstagsgebäude und die Störaktion mit AfD-Hilfe im Bundestag markieren die politischen Tiefpunkte der Pandemie. Zwar trägt eine breite Mitte den Regierungskurs mit, doch die Ränder sind radikaler geworden. Ein Jahr Corona hat die politische Landschaft in einem Maß gewandelt, das anfangs wohl auch Angela Merkel kaum vorhergesehen hat. Die bange Frage ist, was von den Veränderungen bleibt, wenn das Virus einmal gegangen ist.
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