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Corona-Pandemie: Warum Mediziner einen drei Wochen längeren Lockdown fordern

Corona-Pandemie

Warum Mediziner einen drei Wochen längeren Lockdown fordern

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    Drohen bald deutlich mehr Corona-Intensivpatienten?
    Drohen bald deutlich mehr Corona-Intensivpatienten? Foto: Robert Michael, dpa

    Die Impfungen sollen Corona den Schrecken nehmen. Doch es sieht ganz so aus, als ob das Virus nicht kampflos aufgeben will. Die britische Virus-Mutation mit dem harmlosen Namen B.1.1.7 hat der deutschen Corona-Politik einen dicken Strich durch die Rechnung der Statistik-Zahlenwerke gemacht. Trotz Lockdown und Impfungen der Hochrisikogruppen in den Seniorenheimen sinken die Infektionszahlen kaum noch.

    Die Zahl der Corona-Patienten auf den Intensivstationen hat sich seit dem Höhepunkt zum Jahreswechsel zwar halbiert, doch dahinter steht auch eine tragische Entwicklung: Fast jedes dritte Bett wird frei, weil der Covid-19-Patient die Erkrankung nicht überlebt. Spätestens kommende Woche dürfte die Zahl der Corona-Toten in Deutschland auf über 70.000 steigen. Und inzwischen weiß man durch zahlreiche Obduktionen, dass die allermeisten davon direkt an den Folgen der Virusinfektion sterben.

    Neue Virusvarianten erhöhen Risiko schwerer Erkrankung

    Nach wie vor benötigt jeder zehnte an Corona Erkrankte eine stationäre Behandlung im Krankenhaus, auch wenn viele davon nicht intensivmedizinisch versorgt oder beatmet werden müssen. In Dänemark ist die britische Variante bereits noch weiter verbreitet als in Deutschland. Laut einer Studie des Landesgesundheitsdienstes SSI erhöht die Mutation B.1.1.7 das Risiko, wegen Corona ins Krankenhaus zu müssen, um mehr als 60 Prozent.

    Vor diesem Hintergrund betrachten die deutschen Intensivmediziner sowohl die Ausbreitung der Virus-Mutationen als auch die vor dem Bund-Länder-Gipfel am kommenden Mittwoch geführten Lockerungsdiskussionen mit großer Sorge. Denn es ist absehbar, dass in einigen Wochen die britische Variante in Deutschland genauso verbreitet ist wie in Dänemark oder Großbritannien. Die große Frage ist: Reichen die Impfungen bis dahin aus, um die Lage unter Kontrolle zu haben?

    Die deutsche Vereinigung der Intensiv- und Notfallmediziner Divi hat nun ein bemerkenswertes Berechnungsmodell entwickeln lassen, um das Rennen zwischen steigender Mutationsausbreitung und Massenimpfungen im Wettlauf gegen die Zeit so exakt wie möglich vorhersagen zu können. Die zentrale Frage lautet dabei: Wann kann man den Lockdown lockern oder aufheben?

    „Wir müssen mit der Impfwelle vor die Infektionswelle kommen“, sagt der Intensivmedizin-Professor Christian Karagiannidis von der Lungenklinik Köln-Merheim. Eine entscheidende Rolle spielt dabei der sogenannte R-Wert: Die Reproduktionszahl gibt an, wie viele andere Menschen ein Infizierter ansteckt. Am Donnerstagabend lag er bei 1,05. Erst bei unter 1,0 sinken die Zahlen, bei einem R-Wert von 1,4 verdoppeln sich die Infektionszahlen schneller als alle zwei Wochen.

    Die britische Variante gilt um 35 Prozent infektiöser als das Ursprungsvirus. Dies bedeutet, dass in Phasen, in denen die R-Zahl bei 1,0 in Deutschland lag, sie bald auf 1,35 steigen würde. Die dramatische Wirklichkeit hinter diesen Zahlen haben in den vergangenen Monaten insbesondere Irland und Großbritannien erlebt. Dort mussten viel härtere Lockdown-Maßnahmen als in Deutschland das Gesundheitssystem vor dem Kollaps retten, die Todeszahlen schossen dennoch in die Höhe. Die entscheidende Stellschraube dagegen sind Impfungen.

    Zahl der Intensivpatienten könnte auf 25.000 steigen

    Würde die Runde aus Bundeskanzlerin Angela Merkel und den Regierungschefs der Länder am Mittwoch Lockerungen ab 7. März beschließen und der R-Wert – wie im Oktober – bei der Ursprungsvariante auf 1,2 steigen, hätte dies laut dem Divi-Modell fatale Folgen: Bis Mai würden angesichts der wenigen Impfungen 25.000 Corona-Patienten auf den Intensivstationen landen. Vermutlich wären mehrere tausend Tote pro Tag zu beklagen.

    Würden die Lockerungen nur drei Wochen später zum 1. April erfolgen, wären deutlich mehr Menschen geimpft und die Intensivstationen müssten im Szenario des schlimmsten Falls 6000 Patienten wie zum Jahreswechsel verkraften.

    Drei Wochen entscheiden möglicherweise über Corona-Pandemie

    Gelänge es bei der Ursprungsvariante die R-Zahl bei 1,0 und bei der Mutation bei 1,35 zu halten, würden die Intensivpatientenzahlen bei Lockdown-Lockerungen zum 7. März ebenfalls schnell auf 4000 ansteigen. Würde man den Lockdown erst ab dem 1. April lockern, wären es angesichts der fortschreitenden Impfungen deutlich unter 2000 Intensivpatienten. „Dreieinhalb Wochen machen einen entscheidenden Unterschied aus, sagt der Divi-Mediziner Karagiannidis. „Mit Disziplin bis Ende März können wir extrem viel erreichen“, fügt er hinzu. „Drei Wochen Disziplin zwischen 7. März und 1. April entscheiden das Spiel in der Nachspielzeit.“

    Die Intensivmediziner fordern deshalb die Politik auf, die Maßnahmen am kommenden Mittwoch nochmals zu verlängern. Neben ihren Schreckensszenarien haben sie allerdings auch eine positive Perspektive: So oder so könnte die Pandemie bis Ende des Sommers laut dem Rechenmodell trotz britischer Mutation weitestgehend überwunden sein. Vorausgesetzt, 80 Prozent der Deutschen lassen sich impfen.

    Lesen Sie mehr dazu:

    Wie die Deutschen über Corona denken

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