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Corona-Pandemie: So ungerecht ist der Corona-Impfstoff auf der Welt verteilt

Corona-Pandemie

So ungerecht ist der Corona-Impfstoff auf der Welt verteilt

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    Die panafrikanische Gesundheitsbehörde Africa CDC ist besorgt, dass die Verzögerungen durch die Exportblockade in Indien den Kampf gegen das Coronavirus in Afrika stark beeinträchtigen könnte.
    Die panafrikanische Gesundheitsbehörde Africa CDC ist besorgt, dass die Verzögerungen durch die Exportblockade in Indien den Kampf gegen das Coronavirus in Afrika stark beeinträchtigen könnte. Foto: Ben Curtis/AP/dpa

    Understatement ist die Sache von Boris Johnson nicht. Wenn es darum geht, seine eigene Politik zu beschreiben, darf die verbale Zuckerguss gerne einmal ein wenig üppiger sein. Nicht weniger als eine „Heldentat“ verkündet er, zu der er beim G7-Gipfel bereit ist. „Ich fordere meine Kollegen der G7-Staaten auf, diese schreckliche Pandemie mit uns zu beenden und zu versprechen, dass wir die durch das Coronavirus angerichtete Verwüstung nie wieder zulassen werden“, sagt der britische Premier. „Die Welt bis Ende des nächsten Jahres zu impfen, wäre die größte Heldentat der medizinischen Geschichte.“ Ganz Unrecht hat Johnson damit nicht, doch Helden sind dünn gesät in diesen Tagen. Vor allem, wenn die, die sich dafür halten, schon im eigenen Land massiv unter Druck stehen. Und so warten die meisten Schwellen- und Entwicklungsländer trotz aller Aufrufe zu einer fairen Verteilung noch immer auf Impfstoffe, um die Corona-Krise zu bekämpfen.

    Stand Mai, so eine Analyse der Internationalen Föderation der Rotkreuz- und Rothalbmond-Gesellschaften (IFRC), hatten die ärmsten 50 Länder der Welt gerade einmal zwei Prozent der weltweit zur Verfügung stehenden Impfdosen abbekommen. Afrika, das 14 Prozent der globalen Bevölkerung ausmacht, erhielt ein Prozent der weltweiten Impfdosen. Die Impfrate der 50 reichsten Länder ist 27-mal höher als die der 50 ärmsten Länder. In Ländern wie Benin, Kamerun, der Zentralafrikanischen Republik erreicht die Impfquote noch nicht einmal ein Prozent. Selbst Schwellenländer in Südostasien wie Vietnam haben erst 1,3 Prozent der eigenen Bevölkerung eine erste Impfdosis verabreicht. Im Urlaubsparadies Thailand wurden trotz einer heftigen Welle, die auch die Inhaftierten in den Gefängnissen in Massen ereilt hat, erst 1,1 Millionen der 69 Millionen Menschen vollständig geimpft. In der Ukraine sind 2,9 Prozent der Menschen einfach geimpft, in Guatemala 2,7 Prozent. Der Impfinitiative Covax, die ärmere Länder mit Impfstoffen versorgen soll, fehlen 190 Millionen Impfdosen. Der globale Wettkampf um Impfdosen vertieft die ohnehin vorhandene Spaltung damit noch mehr.

    Südafrikas Wirtschaft ist deutlich eingebrochen

    Tedros Adhanom Ghebreyesus, Generaldirektor der Weltgesundheitsorganisation (WHO), übt Kritik an der mangelnden Hilfe des Westens.
    Tedros Adhanom Ghebreyesus, Generaldirektor der Weltgesundheitsorganisation (WHO), übt Kritik an der mangelnden Hilfe des Westens. Foto: Salvatore Di Nolfi/KEYSTONE/dpa

    „Das Frustrierendste an dieser Statistik ist, dass sie sich seit Monaten nicht geändert hat“, sagt WHO-Chef Tedros Adhanom Ghebreyesus. Trotz leidenschaftlicher Bekenntnisse geschieht wenig. Die Ungleichheit zwischen den armen und den reichen Ländern spiegelt sich selbst in den Preisen wieder. Während die EU für eine AstraZeneca-Impfdosis 1,78 Euro zahlt - die eigentlich geheim gehaltenen Preise wurden mal von einer belgischen Staatssekretärin auf Twitter verbreitet -, muss Uganda für eine Dosis 7 Dollar, also etwa 5,80 Euro, auf den Tisch legen. Und das, obwohl gerade in diesen Staaten die ökonomischen Folgen besonders deutlich zu spüren sind. Südafrikas Wirtschaft etwa ist um 8 Prozent eingebrochen, zwei Millionen Menschen haben ihren Job verloren und mit dem nun aufziehenden afrikanischen Winter könnte die nächste Infektionswelle über das Land hereinbrechen. In Uganda wurde schon jetzt eine Steigerung der Infektionszahlen von 131 Prozent innerhalb einer Woche registriert, auch in Angola und Namibia gehen die Zahlen wieder nach oben.

    Dass das Thema noch immer auf der politischen Warteliste steht, ist nicht nur ein moralisches Dilemma – es ist auch fahrlässig. Denn schon jetzt zeigt sich, wie riskant es ist, wenn erneute Pandemie-Ausbrüche ein Land treffen und – wie im Fall Indien – gefährlichere Mutationen entstehen. Großbritannien überlegt angesichts dieser sogenannten Delta-Variante sogar, die geplanten Öffnungsschritte nach hinten zu verschieben. Wegen des weltweiten Personen- und Warenverkehrs kann deren Ausbreitung kaum gestoppt werden. Das hat sich im Laufe der Pandemie immer wieder bewahrheitet. Die aktuelle Infektionswelle in Vietnam etwa wurde von einem 27-Jährigen, der aus Japan zurückgekehrt war, und einem eingereisten Chinese ausgelöst. In Kambodscha sollen vier Chinesen, die Anfang Februar von Dubai nach Phnom Phenh geflogen waren, durch Bestechung eines Sicherheitsbeamten ihre Quarantäne gebrochen und ausgiebig in Clubs gefeiert haben. Zwei hatten Corona, einer brachte damit die hochansteckende Variante „Alpha“, die zuerst in Großbritannien entdeckt wurde, ins Land. „Die Pandemie ist erst besiegt, wenn sie überall auf der Welt besiegt ist“, sagt der Grünen-Politiker Omid Nouripour. „Und je länger sie dauert, desto mehr Mutationen entwickeln sich.“

    Europäische Union kauft mehr Impfstoff als sie braucht

    Verständnis für die zögerliche Haltung der westlichen Staatschefs, die selbst unter Druck stehen, hat Nouripour nicht. „Die europäische Union erklärt voller Stolz, dass sie 1, 8 Milliarden Dosen Impfstoff gekauft hat“, sagt er. „Selbst wenn jeder europäische Staatsbürger dreimal geimpft ist, bleiben so noch 350 Millionen Dosen übrig – die fehlen woanders.“ Auch die deutsche Öffentlichkeit hätte es verstanden, dass die Pandemiebekämpfung eine globale Aufgabe sei, glaubt er. „Ich kann nur hoffen, dass das griechische Alphabet nach Delta aufhört und wir mit den Mutanten nicht auch noch bis Omega kommen“, sagt er mit Blick auf die indische Variante, die seit kurzem den Namen „Delta“ trägt.

    Lieferung des Covax-Impfstoffs: Viele Länder sind auf Spenden aus reichen Ländern dringend angewiesen.
    Lieferung des Covax-Impfstoffs: Viele Länder sind auf Spenden aus reichen Ländern dringend angewiesen. Foto: Wail Shaif, dpa

    Wer kann, wendet sich inzwischen an China oder Russland. Die beiden Staaten betreiben ihre ganz eigene Impfstoff-Diplomatie und sichern sich damit Einfluss in Afrika und Lateinamerika. „Unsere Uns-egal-Ausstrahlung hat ein Vakuum geschaffen, das schnell gefüllt worden ist“, sagt Nouripour. „Während Europa zögert, haben China und Russland erklärt, dass sie die Welt retten werden. In der Not blieb vielen Staaten nichts anderes übrig, als auf das Angebot einzugehen.“ Die EU habe viel zu lange geglaubt, es würde reichen, wenn sie Geld an die Impfstoff-Initiative Covax spende – nur: wenn Covax keinen Impfstoff bekomme, helfe auch das Geld nicht. „Das war und bleibt ein Riesenfehler“, sagt Nouripour. Besonders paradox sind für den Grünenpolitiker die Folgeerscheinungen. „Lateinamerika haben wir so den russischen Impfstoff bezahlt – der übrigens bei weitem nicht so gut ist wie der von Biontech“, sagt er. „In der öffentlichen Wahrnehmung bleibt aber nicht hängen, dass die Europäer das Geld beigesteuert haben, sondern, dass die Russen den Impfstoff geliefert haben. Damit verspielen wir auf Jahre hinaus Glaubwürdigkeit und Einfluss in der Welt.“ Tatsächlich hat Russland in Argentinien sogar einen Produktionsstandort für Sputnik aufgebaut, Dosen des Vakzins gehen zudem nach Peru und Bolivien und in diverse afrikanische Staaten.

    US-Präsident Biden will die Impfstoff-Patente freigeben

    Nouripours Hoffnungen liegen auf den USA. „Ich habe das Gefühl, dass seit dem Vorschlag von Präsident Joe Biden, die Patente auf Impfstoffe freizugeben, die westlichen Staaten aufgewacht sind“, sagt Nouripour. „Zumindest hoffe ich das.“ Doch ausgebremst wird Biden ausgerechnet von Deutschland und Großbritannien. Beide Länder beheimaten mit Biontech und AstraZeneca wichtige Impfstoff-Hersteller und sperren sich dagegen, den eigenen Unternehmen dazwischenzufunken. Bei einer Freigabe der Patente könnten nämlich auch andere Hersteller ohne Lizenzgebühren produzieren, also vom Wissen der Erfinder profitieren. Dagegen stemmen sich die Pharmafirmen, die die Rechte besitzen. Zu Unrecht, finden Entwicklungsorganisationen.

    Ein Arbeiter desinfiziert die Hände einer Frau auf einem Sammelpunkt für Taxis.  In Uganda steigen derzeit die Corona-Zahlen.
    Ein Arbeiter desinfiziert die Hände einer Frau auf einem Sammelpunkt für Taxis. In Uganda steigen derzeit die Corona-Zahlen. Foto: Hajarah Nalwadda, dpa

    „Das ist eine weltweite Katastrophe“, sagt Jörn Kalinski, Sprecher der Hilfsorganisation Oxfam, im Gespräch mit unserer Redaktion. „Da können die Mittel zur Bewältigung dieser Krise nicht in Privatbesitz sein.“ 100 Milliarden Euro an öffentlichen Geldern seien in die Entwicklung der Corona-Vakzine geflossen. Deshalb habe jeder Mensch ein Recht auf Zugang zu den Impfstoffen, dafür müsse die Politik sorgen. Stattdessen gebe es eine Art Impfstoff-Apartheid. „Wenn man das Impftempo vom Mai zugrunde legt, werden die armen Länder 57 Jahre brauchen, ehe sie ihre Bevölkerung geimpft haben. Die G7-Länder werden das im Januar nächsten Jahres geschafft haben“, sagt Kalinski. Deshalb müsse dringend mehr Impfstoff hergestellt werden und das gehe am schnellsten und am nachhaltigsten über die Aussetzung von Patenten.

    Die Entwicklungsländer brauchten die Rechte, das Know-how und die Technologie zur eigenen, regionalen Herstellung der Impfstoffe. Man müsse davon ausgehen, dass sich die Pandemie immer wieder in Wellen wiederhole, dass es eine Auffrischung der Impfungen brauche – deshalb sei eine langfristige Planung wichtig. „Damit hätte man schon vor 15 Monaten anfangen können“, sagt der Entwicklungs-Experte. Umso dringender sei jetzt der Handlungsbedarf. Entgegen aller (Vor-)Urteile mangele es auch nicht an Möglichkeiten. Schon heute komme etwa ein Großteil der Veterinär-Impfstoffe aus Nigeria. „Nichts zu tun, ist moralisch, medizinisch und ökonomisch falsch“, sagt Kalinski.

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