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Corona-Pandemie: Sinnlos oder nützlich: Was bringen nächtliche Ausgangssperren?

Corona-Pandemie

Sinnlos oder nützlich: Was bringen nächtliche Ausgangssperren?

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    Verwaist zeigt sich am Abend kurz vor Beginn der Ausgangsbeschränkungen zur Eindämmung der Corona-Pandemie die Innenstadt von Hannover.
    Verwaist zeigt sich am Abend kurz vor Beginn der Ausgangsbeschränkungen zur Eindämmung der Corona-Pandemie die Innenstadt von Hannover. Foto: Moritz Frankenberg, dpa

    Es ist der Punkt im Infektionsschutzgesetz, um den am heftigsten gerungen wird: Sobald die Inzidenzwerte an drei aufeinanderfolgenden Tagen über 100 steigen, sollen nächtliche Ausgangssperren verhängt werden. Von 21 bis 5 Uhr ist dann der Aufenthalt außerhalb einer Wohnung oder eines dazugehörigen Gartens im Grundsatz nicht erlaubt. Zahlreiche europäische Länder wie Portugal und Irland nutzten das Mittel, um die eigenen Pandemiezahlen zu drücken.

    Kritiker halten dem entgegen: Der Nutzen der Maßnahme sei nicht belegt. „Pauschale und flächendeckende Ausgangssperren halten wir für unverhältnismäßig“, sagt FDP-Chef Christian Lindner unserer Redaktion. „Sie sind ein zu großer Eingriff in die Freiheit. Außerdem bringen sie uns bei der Pandemiebekämpfung nicht weiter.“ Von einem geimpften Paar etwa, das abends spazieren gehen wolle, gehe keine Gefahr für die Allgemeinheit aus. Es sei richtig, große Wohnungspartys zum Beispiel zu verhindern. „Die gesamte Bevölkerung allerdings in ihrer Bewegungsfreiheit massiv einzuschränken, ist dafür nicht das geeignete Mittel“, sagt Lindner.

    Das sagen Studien zum Thema Ausgangssperren

    Tatsächlich ist die Frage nach dem Nutzen so einfach nicht zu beantworten. Laut Robert-Koch-Institut ist einer der wichtigsten Ansteckungsorte – neben Schulen und beruflichem Umfeld – nach wie vor der private Haushalt. Ziel der Ausgangssperren ist es, dort Treffen zu minimieren. Durch die abendlichen Einschränkungen sollen Nach-Feierabend-Besuche unattraktiv werden.

    Um nicht Wohnungen kontrollieren zu müssen und damit einen weiteren Tabubruch zu begehen, nutzt die Politik die pauschale Beschränkung. „Es gibt eine Korrelation zwischen Mobilität und Infektionsgeschehen, und jede Maßnahme, die Mobilität verringert, sollte in Betracht gezogen werden durch die Politik, die das abzuwägen und zu entscheiden hat“, sagt Susanne Glasmacher, Sprecherin des RKI.

    Eine Untersuchung britischer Wissenschaftler zeigt, dass sich nächtliche Ausgangsbeschränkungen als Ergänzung zu anderen Regeln durchaus auswirken auf die Corona-Lage. Der R-Wert, der angibt, wie viele Personen ein Infizierter ansteckt, konnte nach Berechnungen der Forscher damit um rund 15 Prozent gesenkt werden. Forscher der TU Berlin bestätigen dies. „Es ist in der Wissenschaft inzwischen grundsätzlich akzeptiert, dass vor allem ungeschützte Kontakte in Innenräumen vermieden werden müssen“, schreibt die Gruppe um den Mobilitätsforscher Kai Nagel. Gegenseitige Besuche könnten den R-Wert um 0,6 Punkte erhöhen.

    Und doch schränken die Experten ein: „Eine abendliche und nächtliche Ausgangssperre reduziert laut unseren Modellen vor allem private Kontakte. Es ist allerdings anzunehmen, dass die Bevölkerung mittelfristig auf frühere Besuchszeiten ausweicht, insofern ist dies ein Werkzeug, welches relativ schnell stumpf werden dürfte.“ Ihr Vorschlag geht deshalb noch weiter: Sie fordern ein Verbot aller privaten Kontakte, so wie es Großbritannien vorgemacht hat. Und auch die Vorschriften im Bereich Arbeit müssten strenger werden. Für Mehrpersonenbüros etwa müsse gelten, dass man dort nur mit gültigem Schnelltest oder nach Corona-Impfung sitzen dürfe – oder alle müssten FFP2-Masken tragen.

    Das sagt Bayerns Gesundheitsminister Holetschek zu Ausgangsbeschränkungen

    Ganz neu ist das Instrument der nächtlichen Ausgangsbeschränkung in Deutschland nicht. Bayern etwa hatte für alle Corona-Hotspots entsprechende Regeln erlassen und unterstützt deshalb den aktuellen Vorstoß. „Bei allen Maßnahmen, die wir ergreifen, muss unser Ziel klar sein: Wir brauchen einen spürbaren und dauerhaften Rückgang der Infektionszahlen“, sagt Gesundheitsminister Klaus Holetschek. „Die nächtliche Ausgangssperre leistet dazu einen wichtigen Beitrag.“ Die erste Welle habe gezeigt, dass zuverlässig eingehaltene kontaktreduzierende Maßnahmen maßgeblich zur Eindämmung der Pandemie beitragen würden.

    Auch Baden-Württemberg hat Erfahrungen mit nächtlichen Ausgangssperren. Seit dem 12. Dezember 2020 galt dort landesweit eine Ausgangssperre zwischen 20 und 5 Uhr. Nach einem Urteil des Verwaltungsgerichts Mannheim wurde diese zum 11. Februar 2021 aufgehoben und durch regional beschränkte Ausgangssperren zwischen 21 und 5 Uhr in den Hotspots ersetzt. "Anhand dieses regionalen Beispiels lässt sich der mögliche Effekt der Aufhebung von Ausgangssperren auf die Mobilität nachvollziehen", analysiert das statistische Bundesamt in Wiesbaden.

    So war der nächtliche Mobilitätsrückgang (Bewegungen zwischen 21 und 5 Uhr) zwischen dem 11. und 15. Februar 2021 (im Vergleich zum Februar 2019) in den 17 Kreisen mit fortbestehender Ausgangssperre rund 10 Prozentpunkte stärker als in den 27 Kreisen mit aufgehobener Ausgangssperre. Besonders deutlich war dieser Effekt bei Bewegungen unter 5 Kilometern: In Kreisen mit Ausgangssperre ging die nächtliche Mobilität hier 17 Prozentpunkte stärker zurück als in Kreisen ohne Ausgangssperre. Vor dem 11. Februar war die nächtliche Mobilitätsveränderung gegenüber Februar 2019 in den beiden Vergleichsgruppen noch nahezu identisch.

    Söder will strengere Corona-Maßnahmen

    Doch selbst wenn die Ausgangssperre wirken sollte - reicht sie auch? Genau das wird in Bayern bezweifelt. Ministerpräsident Markus Söder sagt: "Wir halten es für richtig, dass auf Bundesebene diese Notbremse fest verankert wird. Allein das wird es aber noch nicht helfen, wir müssen uns mehr überlegen." Notwendig sei etwa "ein moderneres und flexibleres Impfkonzept", um die Geschwindigkeit durch einen Bürokratieabbau zu erhöhen und "vor allem um zu flexibilisieren". Die Corona-Lage in Deutschland sei weiter sehr schwierig. Es würden sich alle Prognosen zu den Infektionszahlen bestätigen. "Es steigt und steigt und steigt. Es geht nicht zurück", sagte Söder. Dies gelte sowohl für die Zahl der Infizierten als auch für die Belegung der Intensivbetten in den Krankenhäusern. "Regional stoßen wir mittlerweile an unsere Grenzen."

    Bayernweit steigt die Zahl der Corona-Neuinfektionen laut RKI weiter an: Die Sieben-Tage-Inzidenz lag am Mittwoch bei 172,6. Nur noch die Landkreise Starnberg, Tirschenreuth und Miltenberg befanden sich unter dem Wert von 100.

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