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Corona-Pandemie: In Österreich geht die Sorge vor einem "neuen Ischgl" um

Corona-Pandemie

In Österreich geht die Sorge vor einem "neuen Ischgl" um

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    So war das mit der gesunden Gemeinde sicher nicht gedacht: In dem beliebten österreichischen Urlaubsort hat sich ein Corona-Hotspot gebildet, der den Verantwortlichen zunehmend Kopfzerbrechen bereitet.
    So war das mit der gesunden Gemeinde sicher nicht gedacht: In dem beliebten österreichischen Urlaubsort hat sich ein Corona-Hotspot gebildet, der den Verantwortlichen zunehmend Kopfzerbrechen bereitet. Foto: dpa

    Der konservative Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) feierte sich während der Corona-Hochzeit im Frühjahr noch für sein erfolgreiches Krisenmanagement und betonte bei jeder Gelegenheit, dass Österreich besser durch die Krise gekommen sei als die meisten anderen europäischen Länder. Nun, nachdem er das Land rasch wieder „aufsperren“ ließ, bekommt diese Außendarstellung erste Risse.

    Kanzler Sebastian Kurz hat offensiv um die Urlauber geworben

    Die Infektionszahlen in Österreich stiegen in den letzten Tagen meist im dreistelligen Bereich, am Donnerstag waren es 90 Neuinfektionen. Intensiv hatte Sebastian Kurz und seine konservativ-grüne Regierung in Wien um deutsche Urlauber geworben und auch die Österreicher selbst ermutigt, heuer den Urlaub zu Hause zu verbringen. Mit Erfolg: An den Badeseen können die Hoteliers nicht über Gästemangel klagen. Doch ausgerechnet im idyllischen St. Wolfgang am Wolfgangsee entwickelte sich ein Corona-Cluster, der sich rasch ausbreitete: Mindestens 18 Betriebe sind inzwischen von Corona-Fällen betroffen.

    Die ersten Infizierten waren Praktikanten, die sich – so bemühten sich die Verantwortlichen rasch zu betonen – wohl in ihrer Freizeit beim Ausgehen angesteckt hätten. Gäste seien nicht betroffen, hieß es zuletzt. 68 Personen waren in dem rund 3000 Einwohner zählenden St. Wolfgang positiv getestet worden – schon kommt es zu ersten Stornierungen.

    Jetzt hat Tourismusministerin Elisabeth Köstinger "große Sorge"

    Tourismusministerin Elisabeth Köstinger von der ÖVP betrachtete die Entwicklung mit „großer Sorge“, die oberösterreichischen Behörden aber sahen von gravierenden Maßnahmen ab: Die Entwicklung gebe „keinen Anlass zur Sorge“, sagte etwa die Gesundheitslandesrätin Christina Haberlander, ebenfalls ÖVP. Von einem „neuen Ischgl“ aber will man nicht sprechen.

    Doch wie schon in Ischgl schubsen sich Hoteliers und Behörden gegenseitig den ungeliebten Ball zu. „Eigenverantwortung“ der Hotelbetreiber sei gefragt, sagt Haberlander. Und Ministerin Köstinger gab den Hotels einen „Leitfaden“ in die Hand. Darin findet sich eine grobe, schematische Handlungsanleitung, was im Falle von positiv Getesteten zu tun sei. Dazu Musterzettel zum Ausfüllen von Gästedaten, die das Nachverfolgen von Infektionen ermöglichen, und Infos für die Gäste. Den Hoteliers reicht das nicht. Zu unkonkret sei der Leitfaden, zudem nur auf Deutsch verfasst.

    Haben Hoteliers Angst vor positiven Test-Ergebnissen?

    Wenig erfolgreich war auch bisher die Initiative der Tourismusministerin, den Hoteliers Gratis-Tests anzubieten. Köstinger sah auch hier Österreich als Pionier: 65.000 Tests für Gastronomie-Mitarbeiter pro Woche sollten das Land zu einer unvergleichbar sicheren Urlaubsdestination im Corona-Sommer machen. Bisher wurden jedoch nur etwas mehr als 10.000 Tests durchgeführt – in der gesamten laufenden Saison. Offenbar scheuen viele Betriebe die Tests, deren Ergebnisse ihnen viele Schwierigkeiten einbringen können. Heftige Kritik an Köstinger gibt es auch an der Einbindung der Beraterfirma McKinsey. Laut Medienberichten soll diese bis zu 200.000 Euro pro Woche für die misslungene Gratis-Test-Aktion kassieren. Die Tourismusministerin stellte aber sogleich in Abrede, dass McKinsey bezahlt wird. Die Firma selbst sprach davon, nur an vagen Vorgesprächen zum Projekt beteiligt gewesen zu sein.

    Nicht nur Minister der Kanzlerpartei ÖVP, auch Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) muss in seinem Corona-Management einen herben Rückschlag einstecken. Seit Donnerstag gelten neue Einreisebestimmungen nach Österreich, die sein Ministerium ausarbeiten ließ. Diese aber wurden noch vor Inkrafttreten von Spitzenjuristen quasi in der Luft zerrissen. Die Verordnung strotze nur so von grammatikalischen und legistischen Fehlern, befand etwa der ehemalige Verfassungsrechtsprofessor an der Uni Wien, Heinz Mayer.

    Rückkehrer aus Ungarn in Quarantäne gesteckt - widerrechtlich

    Wer nun aus einem der 32 definiteren Risikogebiete nach Österreich einreisen will, braucht einen negativen Corona-Test, der nicht älter als drei Tage sein darf. Wer keinen Test hat, kann einen beantragen, und muss bis zum Ergebnis in Heimquarantäne. Ist der Test negativ, endet die Quarantäne – aber nur für Österreicher und EU-Bürger. Drittstaatsangehörige, die über ein Schengenland einreisen, müssen auch mit einem negativen Ergebnis weiter in zehntägiger Quarantäne verbleiben. Für den Verfassungsrechtler Mayer ist das klar rechtswidrig: „Für das Ziel, die Ausbreitung des Virus zu verhindern, ist es völlig unerheblich, ob es sich um Österreicher, EU-Bürger oder Drittstaatsangehörige handelt“, sagt er gegenüber unserer Redaktion.

    Möglicherweise war es auch der missratenen Verordnung geschuldet, dass Anfang der Woche kurzzeitig Wiener, die aus dem nahen Ungarn wieder nach Österreich einreisten, an der Grenze vom Bundesheer in eine zehntägige Quarantäne gesteckt wurden – und zwar rechtswidriger Weise, denn für Ungarn gilt die Verordnung nicht.

    Der grüne Gesundheitsminister ging daraufhin in die Offensive und kündigte gleich eine Reform des gesamten Ministeriums an. Künftig sollen mehr Juristen bei der Erstellung von Verordnungen mitwirken, der gesamte Prozess werde umstrukturiert, der verfassungsrechtliche Dienst werde ab sofort jede neue Rechtsordnung prüfen, so Anschober. Die besagte Einreiseverordnung wird evaluiert, die Schwachstellen sollen bereinigt werden, hieß es aus Anschobers Büro. Ob die fragwürdige Ungleichbehandlung zwischen EU-Bürgern und Drittstaatsangehörigen hält, vermag man im Gesundheitsministerium noch nicht einzuschätzen. Primär gehe es darum, die Verordnung „verständlicher zu fassen“.

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