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Corona-Pandemie: Im Angesicht des Scheiterns: Das Corona-Gipfel Protokoll

Corona-Pandemie

Im Angesicht des Scheiterns: Das Corona-Gipfel Protokoll

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    15 Stunden haben Kanzlerin Angela Merkel und die Ministerpräsidenten getagt, ehe sie einen Kompromiss verkünden konnten.
    15 Stunden haben Kanzlerin Angela Merkel und die Ministerpräsidenten getagt, ehe sie einen Kompromiss verkünden konnten. Foto: Filip Singer, Getty Images

    Am Anfang geht es noch um mögliche Lockerungen der Corona-Regeln. Am Ende steht der schärfste Lockdown, den Deutschland in der Pandemie bisher verhängt hat. Bei der längsten und turbulentesten Videokonferenz von Bund und Ländern muss Angela Merkel (CDU) ihr gesamtes politisches Gewicht in die Waagschale werfen, um ein Scheitern zu verhindern. Es reicht gerade so für die Bundeskanzlerin.

    Als der Gipfel am Montag gegen 15 Uhr beginnt, hat er schon mehr als eine Stunde Verspätung, es bricht ein Konflikt offen aus, der gerade überall im Land schwelt. 13 Monate nachdem das Coronavirus in Deutschland ankam, ist die Bevölkerung erschöpft, giert nach Signalen der Lockerung, nach Perspektiven für die schrittweise Rückkehr zur Normalität. Doch gleichzeitig steigen die Infektionszahlen, Sorgen macht vor allem, dass sich Corona-Mutanten, die ansteckender und womöglich auch tödlicher sind als die Urform, gerade rasend schnell ausbreiten.

    Schock-Diagramme über die Corona-Zahlen wirken nicht mehr

    Kanzleramtsminister Helge Braun (CDU) präsentiert Zahlen, die den Ernst der Lage verdeutlichen sollen. Doch auf einen Teil der Ministerpräsidenten wirken die Schock-Diagramme nicht mehr. Ebenso verhallt zunächst die Mahnung ihres bayerischen Kollegen Markus Söder (CSU), der erklärt, es gehe nun sogar darum, „eine völlig neue Pandemie“ zu bekämpfen. Dieses Mal haben die Befürworter scharfer Lockdown-Maßnahmen um Merkel und Söder starke Gegner, die so zahlreich und gut aufgestellt sind wie nie.

    Zulassen oder verbieten, besonders viel Sprengkraft hat diese Frage, wenn es um das Thema Urlaub geht. Schon Tage vor dem Gipfel hatte Manuela Schwesig, die streitbare Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern, den Ton gesetzt: Es sei überhaupt nicht einzusehen, dass Urlaub zwar auf Mallorca wieder möglich sei, nicht aber in der eigenen Heimat. Sie denkt an die gebeutelte Tourismuswirtschaft an der Ostseeküste.

    Auch Merkel ist gegen Mallorca-Urlaube - sie hat aber keine Handhabe

    Merkel ist also durchaus darauf gefasst, als sich die SPD-Politikerin in der Runde gegen Reise- und Beherbergungsverbote ausspricht. Die Kanzlerin weist ihre Argumente zurück. Mit einem falschen Schritt dürfe kein zweiter falscher Schritt gerechtfertigt werden, sagt Merkel. Sie sei ja selbst nicht begeistert, dass Deutsche nun wieder auf die Urlaubsinsel fliegen dürften. Merkel lässt Justizministerin Christine Lambrecht (SPD) erklären, warum es rechtlich kaum Handhabe gebe, die Reisen zu stoppen. Den Ministerpräsidenten bleibt nur, zu beschließen, dass sich Mallorca-Heimkehrer wenigstens auf das Coronavirus testen lassen müssen. Unterschätzt hat Merkel womöglich, wie stark bei der Videokonferenz die Unterstützung für Schwesig ausfällt. Den Wunsch nach Urlaub im eigenen Land teilen nicht nur die beiden SPD-Kollegen Malu Dreyer aus Rheinland-Pfalz und Stephan Weil aus Niedersachsen.

    Auf Konfrontationskurs zur Kanzlerin gehen auch zwei Leute aus Merkels eigenem CDU-Lager. Die Ministerpräsidenten Daniel Günther (Schleswig-Holstein) und Reiner Haseloff (Sachsen-Anhalt) wollen den „kontaktlosen Urlaub“ in ihren Ländern ebenfalls erlauben. Das Konzept sieht etwa Aufenthalte in Ferienwohnungen oder Wohnwagen unter strengen Abstands- und Hygieneregeln vor. Günther, der eigentlich als Merkel-Getreuer gilt, hält das für vertretbar. Nach rund drei Stunden sind die Fronten völlig verhärtet. Als die fünf Ministerpräsidenten nicht von ihren Forderungen nach einer Freigabe von Ferien daheim ablassen, droht der Eklat. Das Scheitern der Gespräche, das Ende der gemeinsamen Linie von Bund und Ländern beim Krisenmanagement, liegt in der Luft. Merkel macht klar, dass sie einen Beschluss nicht mittragen würde, sollten einige Länder beim Urlaub auf einem Sonderweg beharren.

    Die Ministerpräsidenten ringen Merkel ein Zugeständnis ab

    Die Kanzlerin verlangt eine Pause. Eine Viertelstunde solle unterbrochen werden, heißt es zunächst. Doch daraus werden schließlich sieben Stunden. In dieser Zeit laufen in kleineren Grüppchen Verhandlungen, Absprachen, Sondierungen. Eine Vierer-Runde aus Merkel, Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) sowie den Länder-Vertretern Söder und Michael Müller (SPD) aus Berlin tüftelt den Plan für den Super-Lockdown über Ostern aus. Fünf Tage lang soll das Land über das Fest weitgehend stillstehen, um die Wucht der dritten Welle zu brechen. Sollte dies gelingen, dann könne wieder über Lockerungsstrategien diskutiert werden, heißt es. Dafür braucht es aber Fortschritte beim Impfen und Testen.

    Die Befürworter von Lockerungen ringen dem Kanzlerinnen-Lager ein aus ihrer Sicht wichtiges Zugeständnis ab: Über die Öffnung von Schulen und Kitas darf jedes Land nach eigenem Ermessen entscheiden. Dabei war zuletzt viel von einem erhöhten Infektionsgeschehen an Schulen die Rede. Mit einem „Guten Morgen allerseits“ eröffnet Merkel die Runde gegen 1 Uhr früh wieder. Ein Scheitern des Gipfels ist abgewendet. Jetzt geht es nur noch darum, den Kompromiss in Worte zu fassen, damit er bei der Pressekonferenz gegen 2.30 Uhr früh verkündet werden kann. 15 Stunden haben gereicht, um alle Klarheiten zu beseitigen. Details bleiben offen, vieles muss noch geklärt werden. Sogar die Ministerpräsidenten, die den neuen Kurs mit Merkel in der 15-stündigen Sitzung beschlossen haben, können nicht alle Fragen beantworten. Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) muss in einem Interview auf Nachfragen mit den Schultern zucken. Ob ein Ruhetag gleichbedeutend mit einem gesetzlichen Feiertag sei, wird er im Radio gefragt. „Nicht ganz so, aber so etwas Ähnliches“, sagt Woidke. Weiter: Der Begriff sei „definiert im Arbeitsschutzgesetz, glaube ich, irgendwo steht es drin, aber es war heute früh um halb drei, als wir angefangen haben, darüber zu diskutieren.“ Man merkt, der Plan ist aus der Not heraus geboren, weil immer mehr Inhalte aus dem ursprünglichen Beschluss keine Mehrheit finden.

    Die Umfragen sprechen für Söder - und gegen Laschet

    Als der neue Tag anbricht, erhebt sich in der Opposition ein Sturm der Entrüstung: FDP-Vize Wolfgang Kubicki sagt unserer Redaktion: „Mit diesen Beschlüssen hat die Bundeskanzlerin ihrer Partei künftige Wahlpleiten beschert.“ Die jetzt auf den Weg gebrachten Einschränkungen seien „das Resultat vielfachen Scheiterns dieser Regierung“. Vor allem die Kanzlerin greift der Liberale scharf an. „Angela Merkel und ihr Kabinett haben fertig“, sagt er.

    Armin Laschet, CDU-Bundesvorsitzender und Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, gilt vielen als zu inkonsequent.
    Armin Laschet, CDU-Bundesvorsitzender und Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, gilt vielen als zu inkonsequent. Foto: Michael Kappeler, dpa

    Der Meinungsforscher Manfred Güllner rechnet dagegen nicht damit, dass die Zustimmung der Bevölkerung zu den Corona-Schutzmaßnahmen der Regierung nun schwinden könnte. Unserer Redaktion sagt der Forsa-Chef: „Natürlich sind die Bundesbürger die Pandemie leid, klar wollen alle eine Rückkehr zur Normalität. Aber die Leute wollen vor allem, dass das Virus verschwindet, und das tut es eben nicht von allein. Deshalb gehen vielen die Maßnahmen in Wirklichkeit nicht weit genug.“ Rund 70 Prozent der Bundesbürger stünden hinter dem Pandemie-Kurs der Regierung. Das Problem sei vielmehr der „Hickhack zwischen Lockdown und Lockerungen“. Noch unveröffentlichte Zahlen seines Instituts zeigten, dass CDU-Chef Armin Laschet durch seinen „schwammigen Kurs“ an Zustimmung verliere. CSU-Chef Söder dagegen profitiere durch seine konsequente Haltung.

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