Im Schnitt alle 0,2 Sekunden ist es so weit: So oft wird aktuell ein Mensch in Deutschland gegen das Coronavirus geimpft. Bald soll das Impftempo noch einmal kräftig anziehen: Im Mai und Juni erwartet die Bundesregierung große Mengen Impfstoff – so groß, dass Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) damit rechnet, ab Juni die Impfpriorisierung aufheben zu können. Jeder Erwachsene kann sich dann also für einen Termin anmelden.
Um dieses Ziel zu erreichen, muss Deutschland nach Ansicht des Immunologen Carsten Watzl jedoch sicherstellen, dass die Impfdosen auch so schnell wie möglich verimpft werden. „Was uns nicht passieren darf, ist, dass die Logistik irgendwann das Tempo bestimmt, nicht mehr die Lieferungen“, betont der renommierte Experte, der an der TU Dortmund lehrt.
Helge Braun: Fachärzte und Betriebsärzte sollen ebenfalls impfen
Im Kanzleramt ist man zuversichtlich, dass die Impflogistik in Deutschland auch für größere Lieferungen ausgelegt ist. „Die Hausärzte haben zu Beginn sehr wenige Impfdosen erhalten“, erläutert Kanzleramtsminister Helge Braun im Interview mit unserer Redaktion. „Je mehr Impfstoff da ist, umso mehr werden sie bekommen.“ Auch Fachärzte und die etwa 8000 Betriebsärzte sollen demnach im Frühsommer eingebunden werden. „Auf diese Weise werden wir auch die hohen Zahlen bewältigen können“, betonte Braun. „Im Juni kann man damit rechnen, dass wir pro Woche acht Millionen Impfdosen bekommen.“ Der CDU-Politiker dämpft zugleich Hoffnungen, dass bereits Anfang Juni genug Impfstoff für alle Menschen da sei.
Unter den Hausärzten geht jedoch die Sorge um, dass viele Menschen genau das annehmen – und die Praxen ab Juni förmlich überrennen. Viele Ärzte sehen deshalb dem Ende der Impfpriorisierung mit Unbehagen entgegen. „Ich halte es für schwierig, den Menschen zu suggerieren, mit der Aufhebung der Priorisierung könnten alle sofort und umgehend auch eine Impfung erhalten", sagte Hans-Michael Mühlenfeld unserer Redaktion. Der Bremer Mediziner ist Vorsitzender des Instituts für hausärztliche Fortbildung im Deutschen Hausärzteverband und kennt die Stimmung unter seinen Kollegen. Solange es nicht genug Impfstoff für alle gebe, "werden wir in den Hausarztpraxen selbstverständlich Wartelisten führen müssen und dabei natürlich im Auge behalten und auch entscheiden müssen, wer aus ärztlicher Sicht die Impfung dringlicher braucht und wer vielleicht noch etwas warten kann".
Ende der Priorisierung beim Impfen: Hausärzte befürchten Ansturm
Mühlenfeld fordert deshalb, die Entscheidung über die Priorisierung in die Hände der Mediziner zu legen. „Hausärzte kennen ihre Patienten“, betont der Experte. „Sie sollten selbst entscheiden dürfen, wem sie den Vorzug geben.“ Mühlenfeld spricht von einer individuellen Abwägung, wie sie Ärzte jeden Tag treffen würden.
Mit dem Impfstoff des Herstellers AstraZeneca gehen einige Bundesländer bereits diesen Weg. Kanzleramtsminister Braun begrüßt das. „Man muss einmal mit demjenigen, der sich impfen lassen will, darüber reden, ob er eine besondere Thromboseneigung hat“, erläuterte der Politiker. „In so einem Fall würde man das nicht empfehlen, aber ansonsten kann der Arzt entscheiden.“
Immunologe Watzl sieht diese Entscheidung dagegen kritisch. Er plädiert dafür, mit dem Impfstoff von AstraZeneca gezielt Menschen über 60 Jahren zu impfen, also jene Menschen, die als Risikopatienten gelten. Nur so könne man Todesfälle und Krankenhausaufenthalte verhindern. Allein mit den vorhandenen Impfstoffmengen lässt sich die dritte Welle in seinen Augen noch nicht brechen. Ab wann ist die Herdenimmunität erreicht? „Das ist schwer vorherzusagen“, sagt Watzl. In Israel, wo etwas mehr als 60 Prozent der Menschen geimpft sind, steige die Inzidenz aktuell trotz der Lockerungen nicht mehr. Neben den Geimpften gibt es auch noch eine unbekannte Zahl von Menschen, die nach einer überstandenen Infektion immun sind. „Das scheint für Israel zumindest zu reichen."
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