Es waren massive Eingriffe in die Grundrechte, die die Regierung in den vergangenen Monaten der Corona-Krise vorgenommen hat. Doch die gesetzliche Grundlage war dünn. Das soll sich mit der Erweiterung des Infektionsschutzgesetzes ändern.
Warum braucht es überhaupt ein neues Infektionsschutzgesetz?
Seit Ausbruch der Corona-Krise bestimmen weitgehend die Kanzlerin und die Ministerpräsidenten, welche Maßnahmen und Beschränkungen zur Eindämmung der Pandemie in Deutschland gelten. Dies geschieht auf Grundlage von Verordnungen. Möglich macht dies das bestehende Infektionsschutzgesetz grundsätzlich bereits heute – aber eine Pandemie wie Corona war darin nicht erwähnt. Die Formulierung ist sehr allgemein: Bei einer pandemischen Lage können die "notwendigen Maßnahmen" ergriffen werden. Doch was genau soll das sein? Und wie lange sollen diese "notwendigen Maßnahmen" gelten? Nicht nur die Opposition, sondern auch Richter hatten angezweifelt, dass das Infektionsschutzgesetz in seiner aktuellen Form die weitreichenden Eingriffe rechtfertigt. Genaue Vorgaben sollen daher das Gesetz ergänzen, festgehalten werden sie im Paragrafen 28a. Er nimmt ausdrücklich Bezug auf die Corona-Pandemie. Unter anderem werden dort aufgelistet: Maskenpflicht, Kontaktbeschränkungen, Ladenschließungen, Abstandsgebot, Beherbergungsverbot – also all die Maßnahmen, die in den vergangenen Wochen immer wieder zum Einsatz kamen. Das soll größere Rechtssicherheit gewähren und bundesweit einheitliche Lösungen zumindest anstreben. Beschlossen wird das Gesetz vom Parlament, danach kam es in den Bundesrat (Länderkammer) und schließlich zum Bundespräsidenten. Alle drei Verfassungsorgane sind also beteiligt.
Können die Kanzlerin und die Ministerpräsidenten damit grenzenlos durchregieren?
Nein, parallel zu den Verordnungen wird die Politik verpflichtet, ihre Maßnahmen zum einen öffentlich zu begründen und zum anderen sie zeitlich zu befristen. Vier Wochen beträgt der Rahmen für die Einschränkungen, danach muss neu beraten werden. Auch die Religionsausübung und das Demonstrationsrecht stehen unter besonderem Schutz. Hier sollen Maßnahmen nur zulässig sein, "soweit auch bei Berücksichtigung aller bisher getroffenen anderen Schutzmaßnahmen" die Corona-Eindämmung "erheblich gefährdet wäre". Allerdings geht es der Opposition zu schnell und die Rechte der Regierung seien zu weitreichend. Tatsächlich dauert es normalerweise Wochen oder gar Monate, ehe ein Gesetz in Kraft tritt – der Weg durch die Instanzen wird diesmal im Schnelldurchlauf abgeschlossen. Die FDP bemängelt zudem, dass der Handlungsspielraum der Regierung beim Eingriff in die Grundrechte zu groß sei.
Das Infektionsschutzgesetz wird immer wieder mit dem Ermächtigungsgesetz verglichen – was steckt dahinter?
Das Ermächtigungsgesetz erinnert an düstere Zeiten der deutschen Geschichte. Es wurde im März 1933 erlassen, mit ihm hat sich das deutsche Parlament als demokratische Institution selbst abgeschafft. Die Macht ging praktisch vollständig an Adolf Hitler über, die Gewaltenteilung wurde aufgehoben. Hitler konnte ohne Zustimmung von Reichstag und Reichsrat walten, damit war der Grundstein für die Errichtung einer nationalsozialistischen Diktatur gelegt. Vollständig hieß das Gesetz "Gesetz zur Behebung der Not von Volk und Reich", es wurde immer wieder verlängert und blieb bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges die Grundlage für die deutsche Gesetzgebung. Die Gleichsetzung mit dem Infektionsschutzgesetz ist daher nicht haltbar. Die Bundesregierung erhält zwar weitgehendere Kompetenzen, um Verordnungen zu lassen. Das demokratische Prinzip aber kann sie mit dem Gesetz nicht außer Kraft setzen. Das sagt selbst die Opposition, die ansonsten wenig von der Erweiterung des Gesetzes hält: "Ja, wir erleben eine massive Beschränkung von Grundrechten", sagt etwa Vize-Fraktionschef Stephan Thomae. "Aber wir erleben keinen inneren Notstand. Es ist keine Diktatur. Es ist nicht so, dass die Demokratie abgeschafft wäre. Die Verfassung gilt, die Gewaltenteilung funktioniert, die Justiz arbeitet."
Was sagen Juristen zum neuen Infektionsschutzgesetz?
Bei einer Anhörung im Gesundheitsausschuss hatten Juristen im ersten Entwurf den Paragrafen 28a ziemlich zerpflückt. Dieser "genügt den Vorgaben von Parlamentsvorbehalt und Bestimmtheitsgrundsatz nicht", schrieb zum Beispiel die Juristin Andrea Kießling von der Ruhr Universität Bochum in ihrer Stellungnahme. Union und SPD besserten dann kurzfristig nach. "Das Gesetz, das nun verabschiedet wurde, sagt im Unterschied zur bisherigen Fassung mehr darüber, welche Maßnahmen zulässig sind. Das ist ein Erfolg. Man weiß jetzt klarer, womit zu rechnen ist", sagt jetzt der Staatsrechtler Christoph Gusy im Gespräch mit unserer Redaktion. Trotzdem merke man dem neuen Paragrafen an, dass er unter Zeitdruck entstanden sei, an vielen Stellen fehle es weiterhin an Klarheit und einer Differenzierung. "Aus diesen Gründen würde ich es für die bessere Alternative halten, das Gesetz zu befristen", sagt Gusy. "Dann wäre man nach der Pandemie in Ruhe veranlasst, darüber zu reden, ob das wirklich alles nötig und richtig gewesen ist." Wenn die Politik nicht selbst zu dieser Einsicht kommt, könnte sie bald schon dazu gezwungen sein. Denn dass die Regierung mit dem neuen Gesetz einen Schlussstrich unter das Pandemie-Wirrwarr ziehen kann, ist unwahrscheinlich. Der Staatsrechtler Gusy prognostiziert jedenfalls schon jetzt: "Es ist wahrscheinlich, dass das Infektionsgesetz vor dem Bundesverfassungsgericht landet. Allerdings wird eine Entscheidung wohl erst nach der Pandemie fallen."
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