Es kommt nicht häufig vor in diesen Wochen, dass sowohl von den Ärzten als auch der Politik so etwas wie vorsichtiger Optimismus verbreitet wurde. Nicht zu viel, eher wohldosiert. Seit die Inzidenzwerte langsam zurückgehen und gleichzeitig das Impftempo deutlich zunimmt, wächst die Hoffnung, dass die Corona-Krise ihren Höhepunkt überschritten haben könnte. Und doch wird uns das Virus wohl auch nach dem Sommer noch begleiten und stark in den Alltag der Menschen eingreifen.
„Herdenimmunität im Sinne vom kompletten lokalen Ausrotten des Virus ist bei Covid-19 in Europa derzeit schwer erreichbar“, sagt Viola Priesemann, Forscherin am Max-Planck-Institut in Göttingen. Zu hoch ist der Anteil derer, die sich entweder nicht impfen lassen wollen – oder es nicht können. Für Kinder etwa ist bislang kein Impfstoff zugelassen, auch wenn es entsprechende Pläne gibt. Allein diese Gruppe macht 16 Prozent der Bevölkerung in Deutschland aus. Experten gehen davon aus, dass für eine Herdenimmunität mindestens eine Impfquote von 75 bis 80 Prozent erreicht werden müsste. Hinzu kommt, dass aktuell selbst die beste Impfung keinen hundertprozentigen Schutz vor dem Virus bietet und die Wirkung des Vakzins mit der Zeit nachlässt. Auch weitere Mutationen des Coronavirus sind wahrscheinlich. Und doch kann Viola Priesemann Zuversicht verbreiten. „Herdenimmunität im Sinne einer niedrigen Inzidenz und einer gezielten, lokalen Eindämmung wird mit dem Impffortschritt immer einfacher erreichbar“, sagt sie. Das heißt: Das Virus verschwindet nicht, es lässt sich aber beherrschen. Deutliche Erleichterungen für alle scheinen damit zum Greifen nah – selbst dann, wenn die immer noch recht hohe Zahl der Impfskeptiker in den kommenden Wochen nicht signifikant sinken sollte.
70 Prozent der Deutschen wollen sich gegen Corona impfen lassen
Einer Umfrage der Universität Erfurt zufolge wollen sich rund 70 Prozent der Deutschen „auf jeden Fall“ impfen lassen – der Rest zögert zumindest. Auch deshalb reagiert die Politik mit dem Versprechen, dass Geimpfte künftig mehr Rechte haben sollen. Allerdings zeigt die Studie auch, dass Impfskeptiker das kaum als Anreiz empfinden. Den größten Ausschlag macht das Vertrauen in die Impfstoffe: Mit dem Impfstoff von AstraZeneca wollen sich weniger Menschen bereitwillig impfen lassen als mit mRNA-Impfstoffen, wie sie etwa Biontech herstellt. Doch selbst mit einer Impfquote von 70 Prozent ließe sich die Pandemie zumindest stark eindämmen.
„Wir erwarten, dass bei rund 50 Prozent geimpften Erwachsenen das Testen, Kontaktnachverfolgen und Isolieren, zusammen mit den AHA-Regeln und dem Verzicht auf Großveranstaltungen, ausreichen wird, um die Inzidenz niedrig zu halten“, sagt Viola Priesemann. „Das bedeutet, dass im Sommer die Schulen, Restaurants und Geschäfte wieder offen sein werden, und wir auch kleinere Feiern und Veranstaltungen mit Hygienekonzept genießen können.“ Diese Prognose gelte freilich nur, solange sich keine sogenannte Flucht-Variante entwickle, also eine Mutation, die nicht auf den Impfstoff reagiert.
Impfbereitschaft in Israel und in den USA gerät ins Stocken
Und solange die Impfbereitschaft nicht weiter sinkt. „Wir stehen vor einem Dilemma: Nehmen die Fallzahlen über den Sommer ab, dann wird die Impfbereitschaft relativ niedrig sein“, befürchtet Priesemann. Entsprechende Erfahrungen machen gerade Israel und die USA. In beiden Ländern ist die Impfbereitschaft deutlich eingebrochen. Israels Impfkampagne stockt bei einem Anteil von 60 Prozent Geimpften in der Bevölkerung und auch in den USA sind die täglich verabreichten Impfdosen rückläufig – viele Menschen erscheinen unter anderem nicht zur Zweitimpfung. Auf Deutschland übertragen könnte dies heißen: Im Herbst, sobald das Wetter wieder schlechter wird, könnten damit selbst vergleichsweise geringe Steigerungen der Fallzahlen eine neue Corona-Welle auslösen. „Gibt es hingegen schon im Sommer eine weitere Welle, weil zu schnell gelockert wird oder weil eine Virusvariante kommt, die der Immunantwort entkommt, dann könnte das die Impfbereitschaft weiter erhöhen“, sagt die Max-Planck-Wissenschaftlerin Priesemann.
Aktuell haben in Deutschland 28,2 Prozent der Menschen mindestens eine Corona-Impfung erhalten. Den vollen Impfschutz erhielten bislang hingegen nur acht Prozent der Bevölkerung. Je nach Bundesland variiert die Impfquote. Die höchste Quote an mindestens Erstgeimpften hat das Saarland mit 31,4 Prozent. Brandenburg liegt mit 25,5 Prozent leicht hinter den anderen Bundesländern zurück. Von etwa 35,7 Millionen gelieferten Impfdosen wurden bislang 84,4 Prozent verbraucht. Bei Menschen über 80 sind in Deutschland zwei Drittel geimpft, bei Menschen über 70 rund 30 Prozent.
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