Die Ministerpräsidentenkonferenz (MPK), so ist auf der Seite der Berliner Senatskanzlei zu lesen, ist "Ausdruck eines gelebten Föderalismus". Sie ist ein Gremium der "Selbstkoordination der Länder, die auf diese Weise ihre Interessen gegenüber dem Bund vertreten". Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller muss es wissen. Er hat derzeit den Vorsitz.
Der Ruf der MPK war schon mal besser. Was weniger mit Michael Müller und mehr mit Bundeskanzlerin Angela Merkel zu tun hat. Schon länger ist die Runde als Format zur Corona-Krisenbewältigung in der Kritik. Diese hat sich nach Merkels Frühlingsrolle – erst Osterruhe an Gründonnerstag, dann doch nicht, dann öffentliche Entschuldigung – rasant verschärft. Zu unausgeschlafen war die fragliche Entscheidung in dieser jüngsten, bis tief in die Nacht dauernden Sitzung gewesen. Zu wenig nachvollziehbar und intransparent.
Die Ministerpräsidentenkonferenz ist kein Verfassungsorgan
Die Ministerpräsidentenkonferenz ist kein Verfassungsorgan. Auch deshalb ist sie nun so infrage gestellt. Ziel ihrer Beratungen ist "die Abstimmung gemeinsamer Positionen der Länder untereinander beziehungsweise gegenüber dem Bund in wichtigen politischen Fragen außerhalb des normalen Gesetzgebungsverfahrens".
Wenn Gemeinsamkeit besser gelänge, wenn die tagelange Exegese der zuvor mühsam gefassten Beschlüsse aufhörte und es eine Linie, gemeinsame Positionen gäbe, würde Leonard Novy, Direktor des Instituts für Medien- und Kommunikationspolitik, mit Blick auf den von der MPK gefassten und dann wieder kassierten Beschluss zur Osterruhe nicht sagen: "Die Politik hatte da ihren eigenen AstraZeneca-Moment." Weil es aber zu selten gelingt, sagt er: "Mit dieser MPK ist sehr viel Vertrauen kaputt gegangen."
Chronologie der Corona-Pandemie in Deutschland
Im Januar 2020 ist die erste Corona-Infektion in Deutschland bekannt geworden. Ein Rückblick:
27. Januar: Erste bestätigte Infektion in Deutschland. Zwei Wochen später ist der Mann aus Bayern wieder gesund.
25./26. Februar: Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen melden erste nachgewiesene Fälle. Weitere Bundesländer folgen, am 10. März hat Sachsen-Anhalt als letztes Land seinen ersten Fall.
9. März: In NRW gibt es die ersten Todesfälle innerhalb Deutschlands. Die Zahl der Infektionen steigt bundesweit auf mehr als 1000.
12./13. März: Immer mehr Theater und Konzerthäuser stellen den Spielbetrieb ein. Die Fußball-Bundesliga pausiert.
16. März: An den Grenzen zu Frankreich, Österreich, Luxemburg, Dänemark und der Schweiz gibt es Kontrollen und Einreiseverbote. In den meisten Bundesländern sind Schulen und Kitas geschlossen.
17. März: Mehrere Konzerne kündigen an, ihre Fabriken vorübergehend zu schließen.
22. März: Verbot von Ansammlungen von mehr als zwei Menschen. Ausgenommen sind Angehörige, die im eigenen Haushalt leben. Cafés, Kneipen, Restaurants, aber auch Friseure zum Beispiel schließen.
15. April: Auf eine schrittweise Aufnahme des Schulbetriebs ab 4. Mai verständigen sich Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und die Länderchefs.
20. April: Geschäfte unter 800 Quadratmetern Fläche dürfen wieder öffnen. Als erstes Bundesland führt Sachsen die Maskenpflicht für ÖPNV und Einzelhandel ein. Alle anderen ziehen nach.
22. April: Für Firmen, Arbeitnehmer und Gastronomie werden milliardenschwere Hilfen beschlossen.
6. Mai: Die Länder bekommen weitgehende Verantwortung für die Lockerung von Beschränkungen - etwa für Hotels, Gastronomie, Fahrschulen, Schwimmbäder und Fitnessstudios.
16. Mai: Sachsen-Anhalt registriert als erstes Bundesland seit Ausbruch der Pandemie keine Neuinfektionen im Vergleich zum Vortag. Die Fußball-Bundesliga legt wieder los - ohne Fans in den Stadien.
16. Juni: Im Kampf gegen das Virus geht eine staatliche Warn-App an den Start. Sie soll dabei helfen, Infektionen nachzuverfolgen.
29. August: Etwa 40.000 Menschen protestieren in Berlin gegen die Corona-Maßnahmen. Demonstranten durchbrechen die Absperrung vor dem Reichstag und stürmen auf die Treppe.
30. September: Angesichts wieder steigender Infektionszahlen fordert die Kanzlerin zum Durchhalten auf. "Wir riskieren gerade alles, was wir in den letzten Monaten erreicht haben", sagt Merkel im Bundestag.
7./8. Oktober: Die Bundesländer beschließen ein Beherbergungsverbot für Urlauber aus inländischen Risikogebieten.
22. Oktober: Die Zahl der Neuinfektionen binnen eines Tages hat erstmals den Wert von 10.000 überschritten. Das Robert Koch-Institut (RKI) macht vor allem private Treffen dafür verantwortlich.
2. November: Ein Teil-Lockdown mit Einschränkungen bei Kontakten und Freizeitaktivitäten soll die zweite Infektionswelle brechen.
9. November: Als erste westliche Hersteller veröffentlichen Biontech und der US-Pharmakonzern Pfizer vielversprechende Ergebnisse einer für die Zulassung ihres Corona-Impfstoffs entscheidenden Studie.
18. November: Unter dem Protest Tausender in Berlin machen Bundestag und Bundesrat den Weg für Änderungen im Infektionsschutzgesetz frei.
25. November: Die Beschränkungen für persönliche Kontakte werden für weitere Wochen verschärft. Darauf verständigen sich Bund und Länder.
27. November: Die Zahl der nachgewiesenen Infektionen in Deutschland hat nach RKI-Daten die Millionenmarke überschritten.
2. Dezember: Als erstes Land der Welt erteilt Großbritannien dem Impfstoff von Biontech und Pfizer eine Notfallzulassung und startet seine Impfkampagne wenige Tage später.
16. Dezember: Der seit November geltende Teil-Lockdown reicht nicht aus. Der Einzelhandel muss mit wenigen Ausnahmen schließen.
18. Dezember: Die Zahl der binnen eines Tages gemeldeten Infektionen in Deutschland ist erstmals auf mehr als 30.000 gestiegen.
21. Dezember: Zum Schutz vor einer infektiöseren Virus-Variante dürfen keine Passagierflugzeuge aus Großbritannien mehr in Deutschland landen. Der Corona-Impfstoff von Biontech erhält von Brüssel die bedingte Marktzulassung. Somit können die Impfungen in der EU beginnen. Am 6. Januar wird auch der von Moderna zugelassen.
24. Dezember: Heiligabend im Zeichen der Pandemie. Familienfeiern sollen klein bleiben, Christmetten wenn überhaupt nur auf Abstand stattfinden. Zudem wird die in Großbritannien aufgetretene Variante des Coronavirus erstmals auch in Deutschland nachgewiesen.
26. Dezember: Einen Tag vor dem offiziellen Impfstart werden in einem Seniorenzentrum in Sachsen-Anhalt eine 101 Jahre alte Frau und etwa 40 weitere Bewohner geimpft.
27. Dezember: In allen Bundesländern beginnen die Impfungen. Zuerst sollen Menschen über 80, Pflegeheimbewohner sowie Pflegekräfte und besonders gefährdetes Krankenhauspersonal immunisiert werden.
1. Januar 2021: Deutschland kommt vergleichsweise ruhig ins neue Jahr. Der Verkauf von Silvesterfeuerwerk war verboten.
14. Januar: Das Statistische Bundesamt schätzt, dass die deutsche Wirtschaftsleistung 2020 im Vergleich zum Vorjahr um 5,0 Prozent eingebrochen ist.
15. Januar: Mehr als zwei Millionen Corona-Fälle sind hierzulande bekannt geworden, knapp 45.000 Menschen sind an oder unter Beteiligung einer nachgewiesenen Sars-CoV-2-Infektion gestorben.
19. Januar: Bund und Länder verlängern den Lockdown bis Mitte Februar. Zudem werden die besser schützenden FFP2-Masken oder OP-Masken in Bus und Bahn sowie beim Einkaufen obligatorisch.
21. Januar: Mehr als 1,3 Millionen Menschen haben in Deutschland bereits ihre erste Corona-Impfung erhalten, etwa 77.000 auch schon die zweite. (dpa)
Der Kommunikationsexperte sieht das Land nach dieser Woche am wohl kritischsten Punkt der Krise angelangt. "Ich bin sehr unsicher, wo das alles hinführen soll." Vertrauen sei die wichtigste Ressource der Politik. Sie speise sich aus der Qualität der Entscheidungen und der Einbindung der Bevölkerung in diese. Sprich: Die Beschlüsse müssen professionell und gut erklärt werden. Das ist erneut nicht gelungen.
Kommunikationsexperte Novy: "Da ist zuletzt total viel falsch gelaufen."
Im Gegenteil, betont Novy: "Da ist zuletzt total viel falsch gelaufen." Dabei lehnt er die MPK gar nicht grundsätzlich als Organ der Krisenpolitik ab. Diese habe durchaus ihre vorteilhafte Berechtigung, weil man in ihr gemeinsame Leitplanken zur Eindämmung des Virus ziehen könne. Aber nach dieser Nachtsitzung konstatiert Novy der Runde einen "Ermüdungsbruch".
Novy plädiert für das weitere Navigieren nach dieser Woche umso nachdrücklicher für eine "bessere Einbindung" des Bundestages und der Landtage. Das ist kein neuer, aber umso relevanterer Kritikpunkt an der MPK. "Das Vorbeiregieren an den Parlamenten – verfassungsrechtlich zwar legitimiert, demokratiepolitisch aber schwierig – wird sich nicht aufrechterhalten lassen", sagt Novy. Nicht, wenn man bessere Akzeptanz für die nächsten notwendig werdenden Krisenentscheidungen haben wolle. Und Vertrauen zurückgewinnen wolle.
Merkels Rolle wird zunehmend kritisch gesehen
Auch die Rolle von Bundeskanzlerin Merkel sieht Novy zunehmend kritisch. In der jetzigen Krisensituation werde ihr Autoritätsverlust deutlich. Sie ist nicht mehr Parteivorsitzende, ihre Kanzlerschaft endet sicher. Novy: "Im Prinzip kann ihr alles egal sein, was nicht ihrer Vorstellung der Pandemiebekämpfung entspricht. Das kann dann auch abgehoben wirken."
Dabei liegt der Kanzlerin das Krisenformat eigentlich. Nicht nur in Brüssel hat sie das in all den Jahren oft bewiesen. Verbesserungsvorschläge für die MPK gibt es jedenfalls viele: morgens (ausgeruht) anfangen, weniger Infos durchstechen, weniger Candy Crush spielen, rechtzeitiger die Expertise der Beamten einholen, die Schlussrunde öffentlich tagen lassen. Egal, was geändert wird, betont Novy, bewusst muss man sich sein: "In dieser existenziellen Krise gelten ganz andere Maßstäbe zur Legitimierung der Politik."
Lesen Sie dazu auch:
- Warum die Deutschen der Corona-Politik nicht mehr vertrauen
- Jens Spahn drängt Bundesländer zu schnellerem Impftempo
- Norbert Röttgen fordert konsequente Fortsetzung des Lockdowns